Wegweisende Urteile des EGMR zum Presserecht
Finale Niederlage für Prinzessin Caroline
Seit dem Jahr 2004 ist nicht nur den meisten Juristen das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Sachen "Prinzessin Caroline von Hannover" (ehemals Monaco) bekannt, das die frühere deutsche Rechtsprechung in Frage stellte, wonach ein Foto stets auch ein "Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte" darstellte, wenn es eine "absolute Person der Zeitgeschichte" abbildete. Seit diesem Urteil verzichtet der BGH auf die Rechtsfigur der "Person der Zeitgeschichte" und bestimmt seitdem im Rahmen seines "neuen abgestuften Schutzkonzeptes" durch Abwägung zwischen öffentlichem Informationsinteresse und Persönlichkeitsrecht, ob ein "Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte" vorliegt. Nachdem aber auch unter diesem Schutzkonzept Bildberichte aus dem Bereich des Privatlebens des Ehepaares von Hannover sowohl vom BGH als auch vom BVerfG für zulässig erklärt wurden, legten Prinzessin Caroline (und ihr Ehemann Ernst August) erneut Beschwerde beim EGMR in Straßburg ein.
War es 2004 "nur" eine kleine Kammer, entschied nun die Große Kammer des EGMR mit Urteil vom 7. 2. 2012 (K&R 2012, 179 ff.), dass die Ergebnisse der neuen deutschen Rechtsprechung mit Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention und dem darin enthaltenen Recht auf Privatleben (~ allg. Persönlichkeitsrecht) vereinbar seien. Dabei präzisierte der EGMR nun auch folgende Abwägungskriterien: a) Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse, b) Bekanntheit der betroffenen Person und Inhalt der Berichterstattung, c) vorhergehendes Verhalten der betroffenen Person, d) Inhalt, Aufmachung und Folgen der Veröffentlichung, sowie e) Umstände, unter denen das Foto aufgenommen wurde.
In einem Parallelverfahren (K&R 2012, 187 ff.) hatte der EGMR zudem über die Zulässigkeit zweier Wort-/Bildberichte hinsichtlich des Kokainkonsums eines deutschen Filmdarstellers und dessen späterer strafrechtlicher Verurteilung zu entscheiden, wobei er sich hierbei insbesondere auch auf die Wahrheit der übermittelten Information und deren Beschaffungsmethode fokussierte sowie auf die Bedeutung einer Untersagungsverfügung für das Verlagshaus.
Beide Urteile lassen nun quer durch Europa ein Stück mehr Rechtssicherheit für Journalisten einkehren, was einer Stärkung der Pressefreiheit gleich kommt. Im Ergebnis ist dem EGMR voll zuzustimmen und auch in seiner Begründung kann man ihm weitgehend folgen. Dass der EGMR beispielsweise das vorhergehende Verhalten der Betroffenen gegenüber der Presse berücksichtigt, verdient deshalb Zustimmung, weil viele Prominente freiwillig in der Öffentlichkeit stehen und bewusst die Grenze zwischen öffentlichem und privatem Leben verschwimmen lassen, um ihren Marktwert zu erhöhen (siehe dazu und zum Vorschlag der Rechtsfigur der "aktiven Person der Medienöffentlichkeit" Haug, Bildberichterstattung über Prominente, 2011, S. 149 - 168).
Dennoch bleiben zwei Kritikpunkte offen. Zum einen toleriert der EGMR, dass die deutsche Rechtsprechung der von ihr despektierlich bezeichneten "bloßen Unterhaltung" jeglichen Schutz versagt und diesbezüglich ein öffentliches Informationsinteresse verneint ("Neugier einer bestimmten Leserschaft"), ohne dabei die Erkenntnisse der Kommunikationswissenschaft in Erwägung zu ziehen, die auf empirischer Grundlage zum gegenteiligen Ergebnis gelangt (siehe dazu Haug, a. a. O., S. 112 - 132). Die von der Kommunikationswissenschaft erforschten Befunde mag man zwar vor dem Hintergrund einer wohltuenden bildungsbürgerlichen und kulturkonservativen Sichtweise bedauern, aus der Stars und Sternchen, Adlige, Fernsehformate und sonstige mediale Unterhaltung schlicht keine Rolle spielen. Empirische Befunde zu leugnen und durch eigene normative Erwägungen zu ersetzen, steht indes auch der Rechtswissenschaft nicht zu und zeugt von Überheblichkeit gegenüber anderen (empirischen!) Wissenschaften.
Daran knüpft auch unmittelbar der zweite Kritikpunkt an: Wird der Informationswert von Medienberichten nicht empirisch (insbesondere durch repräsentative Meinungsumfragen), sondern normativ bestimmt, wird die Meinungs- und Pressefreiheit, die sich bei historischer Betrachtung als besonders anfälliges Gut erwiesen hat, höchst subjektiven Erwägungen der Richter preisgegeben, was mit dem Gebot staatlicher Neutralität nicht zu vereinbaren ist (siehe dazu Haug, a. a. O., S. 202 - 214).