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K&R 2011, 1
Gramespacher, Thomas 

kino.to... oh, oh!

Seit dem 8. 6. 2011 müssen Millionen Cineasten auf eine ihrer ersten Anlaufstellen für den kostenfreien Genuss neuester Kinofilme und Serien verzichten. Die Staatsanwaltschaft Dresden legte das bis dato wohl reichweitenstärkste deutsche Video-on-Demand-Portal still; einfach so und ohne die Nutzer zu warnen oder zu fragen. Die waren schwer verunsichert - unterstützt freilich von großem medialen Interesse und "Aufgebausche". Wenn ein solches Angebot mit immerhin (je nach Quelle) vier Millionen Nutzern täglich - wie überraschend - illegal ist, gegen die Betreiber wegen "Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung zur gewerbsmäßigen Begehung von Urheberrechtsverletzungen" ermittelt wird, Durchsuchungen durchgeführt werden, es Haftbefehle, Festnahmen und Untersuchungsgefangene hagelte - vielleicht sind die Nutzer dann ja auch so "böse" wie die Betreiber?! Ein juristisch durchaus spannendes, aber längst kein neues Thema mehr, was auch schon zuvor nicht nur in der Fachliteratur umfangreich diskutiert wurde. Schließlich ergeben sich die maßgeblichen juristischen Fragestellungen nicht originär aus dem Szenario kino.to, sondern beim - altbekannten - Streaming im Allgemeinen.

Unabhängig von einer wohl recht klaren Rechtslage bezüglich der Hintermänner von kino.to kann man sich in der Tat über die rechtliche Beurteilung hinsichtlich der Nutzer streiten. Freier Werkgenuss für alle? Kann in dem sog. Streaming urheberrechtlich bereits eine Vervielfältigung (§ 16 UrhG) liegen? Kommt es auf § 44 a UrhG an? Ist es überhaupt denkbar anzunehmen, dass Vervielfältigungen eines Filmes im Rahmen eines Angebots wie kino.to nicht offensichtlich rechtswidrig sind und wie sieht es dann mit § 53 UrhG aus? Machen sich also auch Nutzer von illegalen Streamingdiensten strafbar (§§ 106 ff. UrhG)? Zu diesen Fragen wird mit mehr oder minder guter Begründung fast alles vertreten; dass diese Fragen für kino.to-Nutzer zum Tragen kommen, ist aus tatsächlichen Gründen zweifelhaft und jedenfalls die GVU will sich wohl diesbezüglich zurückhalten. Eine breite Palette an fachlichen Argumenten liegt also vor. Eigentlich ein guter Zeitpunkt um innezuhalten, zumindest bis besser oder schlechter besetzte Gerichte einmal zu dieser Thematik Stellung nehmen müssen.

Denn nicht weniger interessant als die rechtliche Beurteilung ist bei einem solchen Phänomen durchaus der Blick auch auf gesellschaftliche, moralische und ethische Zusammenhänge. "Illegale Massenmedien" wie kino.to sind nicht einfach da, sie müssen sich entwickeln und entwickeln können. Der überwiegende Teil Deutschlands ist am und im Netz. Das Internet ist "voll sozialisiert" und gewinnt auch nicht zunehmend an Bedeutung für was auch immer - so wie noch immer wieder leidlich zu lesen - es hat Bedeutung! Seit Jahren, eigenständig wie auch durch zunehmende Konvergenz sämtlicher Medien- und Kommunikationskanäle, verfügbarer und mobiler denn je. Der Umgang mit dieser Technologie wird aber nach wie vor nicht seiner Bedeutung gerecht. Uninformierte Nutzer, informationsfaule Macher, mangelndes oder nicht vorhandenes Problem- und Unrechtsbewusstsein, Verfall von rechtsstaatlichen Werten, mangelnder Respekt vor den (geistigen und persönlichen) Rechten anderer, Rechtsverletzungen, weil man es nicht besser weiß, wissen kann oder wissen will. Die Liste von Schlagworten und Themen ist lang und all dies ist vielleicht eine Folge eines zeitgeistigen "digitalen Egoismus"? Folge von Anonymität und Entpersonalisierung, an der auch Social-Networks nichts ändern?

Möglicherweise wären Erscheinungen wie kino.to kein so großes - tatsächliches und rechtliches - Problem, wenn man sich auf eine der größten Herausforderungen einlassen würde, die diese globale und "durchmedialisierte" Zeit an uns stellt: Verantwortung zu übernehmen, für sich und über den eigenen (Rechts-) Kreis hinaus, auch im wohlverstandenen Fremdinteresse; auch und gerade wenn alles so anonym, verfügbar, bequem erscheint. Den ständig neuen Problemkreisen und Realitäten, mit denen wir uns im Informationszeitalter konfrontiert sehen, kann nicht stets mit den richtigen Fragen und allwissenden Antworten, durch Norm und Subsumtion begegnet werden. Das Internet ist ein in jede Richtung aktives Medium. Reichweite und Dynamik, wie sie im Netz zu finden sind, lassen sich nicht so einfach vorausschauend erfassen. Derartige Versuche verlieren sich in Politik, Gesetzgebung und Judikatur zunehmend in hilflos erscheinendem Aktionismus. Es krankt an der Basis, an Kompetenzen im Status quo und deren Vermittlung, auch an der Rückbesinnung auf Existentes. Mündige Nutzer jedenfalls, die sich ihres Handelns im Netz in jeder Konsequenz bewusst sind und - was ebenso wichtig ist - sein wollen, die Interesse an den dortigen Vorgängen, dem Wirken und Werken anderer haben, würden es Angeboten wie kino.to vielleicht etwas schwerer machen. Vielleicht. Recht und Unrecht nähren sich an Angebot und Nachfrage. Das aber ist kein rein juristisches Problem. Und kino.to? Das heißt momentan kinox.to.

Rechtsanwalt Thomas Gramespacher, Bonn
 
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