Logistik als Digitalisierungstreiber
Philipp Reusch
Liebe Leserinnen und Leser,
es freut und ehrt mich, bereits in der zweiten Ausgabe der Logistik & Recht ein Editorial beitragen zu dürfen. Dr. Saive hat mit der Zeitschrift einen notwendigen Eckpfeiler der wissenschaftlichen und praktischen Diskussion in einem bedeutsamen Themenfeld geschaffen. Passend zum Weihnachtsgeschäft widmet sich diese Ausgabe schwerpunktmäßig der Paketlogistik.
Leider hält uns auch der bestialische Angriff Russlands auf die Ukraine weiterhin in Atem. Inzwischen hat die EU ihr 8. Sanktionspaket verabschiedet, das von Melchior ausführlich beleuchtet wird.
Dabei wird erneut deutlich, dass die Verkürzung der Logistik auf reine Transportvorgänge den tatsächlichen Herausforderungen eines multikomplexen Themenfeldes nicht gerecht wird. Wie bereits der instruktive Beitrag von Prof. Tripp zu Trends in der E-Commerce-Logistik und ihren Auswirkungen auf die operative Logistikabwicklung zeigt, ist der durch Globalisierung und Digitalisierung angetriebene Wandel auch im Handel und E-Commerce von entscheidender Bedeutung.
Die von Dr. Saive tatkräftig angestoßenen Themen des Paperless Trade führen nahtlos in die evolvierenden Digitalisierungsbestrebungen der Produktwelt selbst. Während Logistik Digitalisierungseffekte faktisch umsetzt, liefert der rechtliche Rahmen sukzessive nach – siehe dazu den von der ICC Germany entwickelten Verordnungsentwurf zu den elektronischen Transport- und Lagerdokumenten, hier dargestellt von Saive. Daneben vollzieht sich ein ähnlicher Effekt in der Produktwelt selbst und lässt damit das Produktrecht und das Recht der Logistik inhaltlich und prozessbezogen miteinander verschmelzen.
Deutlicher Indikator und gleichsam ein gelungenes Beispiel für die mannigfaltigen Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen Marktentwicklung und Regulatorik im oben angesprochenen Entwicklungsfeld sind die Überlegungen rund um den Digitalen Produktpass (DPP). Durch den Green Deal der Europäischen Kommission und die darauf basierende Ökodesign-Verordnung ins Leben gerufen, soll der Digitale Produktpass nach Darstellung des in Deutschland federführenden BMUV umweltrelevante Daten strukturieren. Seine Funktion wird weiter beschrieben als:
Der digitale Produktpass ist ein Datensatz, der die Komponenten, Materialien und chemischen Substanzen oder auch Informationen zu Reparierbarkeit, Ersatzteilen oder fachgerechter Entsorgung für ein Produkt zusammenfasst.
Die umweltpolitische Begründung hierfür mag mancherorts überzeugen, der Sprung ist aber offenkundig in vielerlei Hinsicht nicht zu Ende gedacht. Bietet sich nämlich beispielsweise ein solcher DPP nicht generell auch für alle weiteren Informationen aus produktrechtlicher Sicht an? Hierzu zählen all die Informationen, die Sie heute als Nutzer:innen in Gestalt von Piktogrammen, Aufdrucken oder papierenen Instruktionen in der Hand halten und sehen. Dieselben Informationen könnten digital als Datenpunkt des DPP mit einigen Vorteilen vorgehalten werden, sind etwa deutlich flexibler an aktuelle Entwicklungen und Erkenntnisse anzupassen und im Vergleich zu Papier auch noch nachhaltiger.
Gleichzeitig enthielte der DPP dann alle notwendigen Informationen, die im Zoll bei der Einfuhr in den Raum des Europäischen Wirtschaftsraums notwendig vorzuhalten sind. Welche Erleichterungen die Digitalisierung gerade bei der Zollkontrolle bietet, zeigt Dammholz auf.
Für alle am Produktgeschäft beteiligten Parteien ergäbe sich ein deutlicher Effektivitätsgewinn. Vom Hersteller und Verkäufer der Produkte, der alle für seinen Käufer, die Nutzer, aber auch den Zoll und die Marktüberwachungsbehörden sowie exportfinanzierende Banken relevanten Informationen digital im DPP des jeweiligen Produktes ablegt. Die Vorteile beim Zoll liegen ebenso auf der Hand, deutlich effektivere Überwachungen und Kontrollen auf Basis einer zentralen Datenbasis anstelle punktueller Überwachungen; es ist offenkundig, dass dieser Effekt auch im Bereich produktrechtlicher Marktüberwachung deutliche Verbesserungen ermöglicht. Und nicht zuletzt die Nutzer der Produkte selbst, die alle relevanten Informationen – und so ehrlich darf man sein: die Frage der Entsorgung eines Produktes ist für die meisten Nutzer nicht die relevanteste – über die Dauer der Existenz des Produktes zur Verfügung haben. Spannend sind daher auch die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet des Paket-Trackings, Hessel und Callewaert geben hier einen äußerst nützlichen Leitfaden aus datenschutzrechtlicher Sicht an die Hand.
Nach alledem erscheint es mir nahezu offensichtlich, dass gerade die Logistik der alles verbindende Prozessbaustein sein kann, der alle Beteiligten der Kette des Produktvertriebs bis zum Nutzer verbindet. Gerade hier werden Synergieeffekte deutlich sichtbar, die in den angrenzenden Bereichen ihre Auswirkungen zeitigen, aber solitär dort nur einen Binneneffekt haben. Auch insoweit macht die LogR Hoffnung auf einen deutlich über die Fragestellungen aus Transport und Lagerung hinausgehenden Fragestellungen der Handelsketten im 21. Jahrhundert. Herausgeber wie Verlag ist zu diesem Wurf ausdrücklich zu gratulieren.
Ihr Philipp Reusch