Der rechtlich abgesicherte Anspruch auf schnelles Internet – ein Déjà-vu des Holterdiepolters der Energiewende?
Prof. Dr. Christian Koenig*
Sie kam über Nacht. Doch ihre Finanzierungsmechanismen der EEG-Umlage verfingen sich über Jahre in der engmaschigen EU-Beihilfenkontrolle. Droht nun der im Koalitionsvertrag 2018 („an die Weltspitze im Bereich der digitalen Infrastruktur“) mit der „höchsten Priorität“ ausgewiesenen Zielvorgabe, „einen rechtlich abgesicherten Anspruch zum 1. Januar 2025 zu schaffen und diesen bis zur Mitte dieser Legislaturperiode auszugestalten“, ein ähnliches Holterdiepolter wie bei der Finanzierung der Energiewende?
Alles wird gut … wenn die Politik nur gelernt hat. Das Projekt „Schnelles Internet für alle“ klingt populär, ist jedoch regulatorisch mindestens so komplex wie die Finanzierung der Energiewende. Zunächst müssen die Mechanismen der Universaldienstleistungsfinanzierung nach der noch geltenden EU-Universaldienstrichtlinie 2002/22/EG und dem in Kürze zu verabschiedenden EU-Kodex für die elektronische Kommunikation, aber auch die Mechanismen der EU-Beihilfenkontrolle nach den Breitbandleitlinien der Kommission sowie zu sog. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI, Art. 106 Abs. 2 AEUV) verstanden werden. Um die Lernkurve zu optimieren, sei der Politik eine erste Pflichtlektüre ans Herz gelegt: Neumann/Sickmann, N&R Beilage 1/2018, 1.
Der Inhalt des „rechtlich abgesicherten Anspruchs auf schnelles Internet“ ist bisher nicht näher definiert. Das ist gut so. Denn bevor Bandbreitenziele, gar nahe dem – im politischen Eifer hochgesteckten – Gigabit-Bereich, einer Kodifizierung zugeführt werden können, sind u. a. folgende Fragenkomplexe weitsichtig zu beantworten:
Ist es nach dem europäischen Primär- (Art. 106 Abs. 2, Art. 107 AEUV) und Sekundärrecht (Universaldienstregime) zulässig, den Breitbandausbau in Gebieten staatlich zu fördern, in denen ohnehin bis 2025 mindestens 100 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) flächendeckend durch den Markt erbracht werden?
Welche Bandbreiten können die Mitgliedstaaten im Rahmen des Universaldienstes nach dem künftigen EU-Kodex maximal festlegen?
Welchen Restriktionen unterliegt der nationale Gesetzgeber im Rahmen der DAWI-Regeln nach Art. 106 Abs. 2 AEUV in Bezug auf einen Internetzugangsdienst vor dem Hintergrund der Festlegungen im künftigen EU-Kodex? Können Mitgliedstaaten einen Anspruch auf schnelles Internet losgelöst vom EU-Kodex als DAWI festlegen, selbst wenn dadurch eine Verdrängung privatfinanzierter Angebote aufgrund beihilfeninduzierter „erschwinglicher“ Preise droht?
Welche Nachweisanforderungen stellen die Breitbandleitlinien an eine staatliche Beihilfenförderung insbesondere in „grauen“ NGA-Gebieten? Kann ein politisch getriebenes Bandbreitenziel jenseits konkret unterlegter Bedarfsmarktprognosen den beihilfe- und universaldienstrechtlichen Anforderungen genügen?
Lässt sich eine beihilferechtskonforme Nachfrageförderung („Voucherlösung“) weniger wettbewerbsverzerrend gestalten als eine staatliche Angebotsförderung, welche zudem riskiert, privatfinanzierte oder bereits geförderte bestehende breitbandige Infrastrukturen zu überbauen? Wie kann eine Hemmung privater Investitionen durch eine übermäßige Angebotsförderung bei gleichzeitig begrenzten (Tiefbau-) Ressourcen vermieden werden (zumal schon die bloße politische Ankündigung des vagen Anspruchskonzepts private Investoren verunsichert hat)?
Hinter diesen Fragenkomplexen steht noch ein verfassungsrechtlicher Monolith: Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG postuliert die Privatwirtschaftlichkeit der Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen und verbietet jedenfalls einen physischen sowie ökonomischen Überbau durch eine private Investitionen erdrückende gemeinwohlorientierte Staatswirtschaft.
* | Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. |