Netzwirtschaftsübergreifende Lerneffekte bei neuen Gemeinwohlherausforderungen aktivieren
Prof. Dr. Jürgen Kühling*
Auf dem Weg in die „Gigabit“-Gesellschaft steht die Telekommunikationsordnung – wie etwa auch die Energieordnung angesichts der Energiewende – vor durchgreifend neuen Gemeinwohlherausforderungen. Hier wie dort gilt: je ambitionierter die Gemeinwohlziele, desto weniger wird der Markt allein es richten können. Je schneller also eine umso vollständiger auf Flächendeckung abzielende Versorgung mit möglichst hohen Bandbreiten erreicht werden soll, desto weniger wird sich diese eigenwirtschaftlich im Markt erbringen lassen. Damit kommt zwangsläufig der Staat als Akteur ins Spiel. Gleichwohl sollten deshalb die Errungenschaften der Telekommunikationsordnung nicht gefährdet werden: eine privatwirtschaftliche Leistungserbringung im funktionsfähigen Wettbewerb. Fehler aus anderen Netzwirtschaften sollten nicht wiederholt werden. Erst recht sollten nicht Konzepte aus der einen in die andere Ordnung unkritisch übertragen werden. Vielmehr gilt es, netzwirtschaftsübergreifende Lerneffekte zu berücksichtigen.
Positiv ist zunächst, dass beim geförderten Breitbandausbau in der Telekommunikationswirtschaft – anders als im Energiesektor bei der Förderung der erneuerbaren Energien – von Anfang an auf einen Ausschreibungswettbewerb gesetzt wurde. Neben den Fördermodellen können grundsätzlich auch weitere Ansätze hilfreich sein, um den Breitbandausbau in Randlagen voranzutreiben. Die verfassungs- und unionsrechtlichen Rahmenbedingungen müssen dabei aber gewahrt werden.
Kritisch ist daher etwa die Idee von Konzessionsmodellen mit exklusiven Wegerechten zu bewerten, da diese so im europäischen Kodex für elektronische Kommunikation nicht vorgesehen ist. Die Erfahrungen mit Konzessionsvergaben in der Energieordnung zeigen auch eine große Streitanfälligkeit und hohe Transaktionskosten. Angesichts der mit der Energiewirtschaft nicht vergleichbaren technologischen Vielfalt im Telekommunikationssektor stellt sich zudem die Frage, welchen Technologien anschließend Wegerechte verwehrt werden sollen: auch Anbietern zur Versorgung mit Funktechnologien?
Noch fraglicher ist der Vorschlag eines Anschlusszwangs. Das mag in der Wasserversorgung mit über Jahrzehnte stabilen, weitgehend exklusiven Anschlussnetzen sinnvoll sein, nicht aber in einer dynamischen Telekommunikationswirtschaft mit einem breiteren Angebot verschiedener Funk- und Festnetztechnologien. Mit Blick auf das in Art. 87f Abs. 2 S. 1 GG normierte Gebot der privatwirtschaftlichen Leistungserbringung sind auch die von der EU bezuschussten kostenlosen kommunalen WLAN-Angebote problematisch und jedenfalls kein Standardmodell der Zukunft. Bedenklich stimmt es erst recht, wenn der Städte- und Gemeindebund den Vorschlag, eine staatliche Gesellschaft zum Ausbau von Mobilfunkmasten in Randlagen einzusetzen, mit dem Argument unterstützt, der Staat könne es „deshalb besser, weil er selbst die Rahmenbedingungen setzen kann“. Bislang sind wir gut damit gefahren, dass der Staat Regelgeber und in Form der Bundesnetzagentur Schiedsrichter war. Zu einem mit Spezialverträgen ausgestatteten Spieler sollte der Staat hingegen nicht mutieren.
Sicherlich ist es richtig, angesichts der großen Herausforderungen alle Optionen auszuloten und dabei auch ins Ausland zu schauen – wie etwa nach Großbritannien mit dem dortigen „Voucher“-Modell. Dieses könnte etwa die Nachfrage stimulieren und somit Anreize für den Infrastrukturausbau schaffen. Das im Dezember angekündigte Gutschein-Pilotprojekt in Nordrhein-Westfalen ist ein erster Schritt in die richtige Richtung.
Teuer wird die Gemeinwohlverfolgung für den Steuerzahler allemal. Netzübergreifende Lerneffekte können diese Kosten aber immerhin reduzieren.
* | Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Immobilienrecht, Infrastrukturrecht und Informationsrecht sowie Dekan der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Regensburg und Mitglied der Monopolkommission. |