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Koenig 

Nun kommt sie doch … die Preis-Kosten-Schere im Postrechtsmodernisierungsgesetz

Prof. Dr. Christian Koenig*

Abbildung 1

Kaum ein Regulierungsaspekt war hier umkämpfter als die Preis-Kosten-Schere. Dabei gehört der Preis-Kosten-Scheren-Test doch zum kleinen regulatorischen Einmaleins (vgl. § 28 Abs. 2 Nr. 2 TKG). Nun soll in einem Postrechtsmodernisierungsgesetz eine Preis-Kosten-Scheren-Entgeltkontrolle kodifiziert werden, nach der ein Marktmachtmissbrauch zu vermuten ist, wenn die überlebensnotwendige Spanne zwischen dem Entgelt, das ein marktbeherrschender vertikal integrierter Anbieter Wettbewerbern für eine Zugangsleistung/Teilleistung in Rechnung stellt, und den wettbewerblich erzielbaren Endkundenentgelten nicht ausreicht, um einem effizienten Unternehmen die Erzielung einer angemessenen Verzinsung des eingesetzten Kapitals zu ermöglichen. Ohne eine solche Kodifikation sah sich die Bundesnetzagentur mangels einer Ermächtigungsgrundlage bisher nicht in der Lage, die Preis-Kosten-Schere im Postsektor regulatorisch aufzugreifen. Damit fehlte ihr das entscheidende Instrument zur Verhinderung einer missbräuchlichen strategischen Verquickung von Vorleistungs- und Endkundenmärkten etwa durch exzessive Großkundenrabatte des marktbeherrschenden Unternehmens. Dies hat das BKartA in die dysfunktionale Rolle einer „Ersatzregulierungsbehörde“ gedrängt. So hatte das Amt in seinem Beschluss vom 2. Juli 2015 (Az. B9-128/12) im Rahmen seiner Kontrollbefugnisse zum allgemeinen Marktmachtmissbrauchsverbot (§ 19 GWB) die Preis-Kosten-Schere im Hinblick auf die von der Deutschen Post AG (DPAG) stark rabattierten Großkundenentgelte für den Briefversand aufgrund einer Beschwerde aufgegriffen. Zuvor hatten die Beschwerdeführer erfolglos versucht, die Bundesnetzagentur zum Einschreiten gegen die exzessiven Großkundenrabatte des marktbeherrschenden Unternehmens zu bewegen, die ihre überlebensnotwendigen Margen zu negieren drohten. Das BKartA und ihm folgend das OLG Düsseldorf (N&R 2016, 313 [Beschl. v. 6.4.2016 – Az. VI-Kart 9/15 (V)]) erkannten in der Preis-Kosten-Schere aufgrund der Rabattvereinbarungen zwischen der DPAG und ihren Großkunden über die effektiv zu zahlenden Endkundenpreise, die unter den von den Wettbewerbern zu zahlenden Entgelten für die bei der DPAG eingekauften Vorleistungen/Teilleistungen lagen, einen Marktmachtmissbrauch (Marktverschließungs- und Verdrängungseffekte).

Die Anerkennung der Preis-Kosten-Schere als Fallgruppe des gemäß Art. 102 AEUV verbotenen Marktmachtmissbrauchs gründet sektorenübergreifend auf der ständigen Rechtsprechung des EuGH zur gesteigerten Verantwortung marktbeherrschender Unternehmen für den bestehenden Restwettbewerb (u. a. ECLI:EU:C:2010:603 [Urt. v. 14.10.2010 – Rs. C-280/08] – Deutsche Telekom/Kommission; ECLI:EU:C:2011:83 [Urt. v. 17.2.2011 – Rs. C-52/09] – TeliaSonera; ECLI:EU:C:2014:2062 [Urt. v. 10.7.2014 – Rs. C-295/12 P] – Telefónica). Diese Rechtsprechung zur Preis-Kosten-Schere hat der EuGH konsequent weiterverfolgt und in seinem Urteil „Post Danmark II“ (ECLI:EU:C:2015:651, Rn. 59 ff. [Urt. v. 6.10.2015 – Rs. C-23/14]) klargestellt, dass im Falle monopolbedingter struktureller Vorteile des marktbeherrschenden Unternehmens das Kriterium des ebenso effizienten Wettbewerbers nicht gerecht ist und folglich der Maßstab des „hinreichend effizienten“ Wettbewerbers zur Anwendung kommen muss. Dem wird nur eine Kodifikation – zumindest aber deren Auslegung – gerecht, welche auf die Kostenstruktur eines wirklichen oder hypothetischen hinreichend effizienten Wettbewerbers abstellt und es damit kleinen oder mittleren Unternehmen mit ihren – im Vergleich zur DPAG – geringen Größen- und Netzeffekten ermöglicht, die hohen Investitionskosten in der Folgezeit zu amortisieren und einen (Groß-)Kundenstamm kompetitiv aufzubauen.

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Direktor am Zentrum für Europäische Integrationsforschung (ZEI) und Mitglied der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. Der Beitrag hat einen Bezug zu rechtsgutachterlichen Arbeiten.

 
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