Europas Verbriefungsmärkte: Hoffnung auf Revitalisierung
Ein höheres Maß an Standardisierung wäre wünschenswert
Die europäische Kapitalmarktunion wirkt bislang wie eine große Baustelle, auf der die Bauherren in unregelmäßigen Abständen vorbeischauen und ernüchtert feststellen, dass die Fortschritte viel kleiner ausgefallen sind als erhofft. Kein Wunder, möchte man denken: Wenn über die Architektur des Gebäudes kaum Einigkeit herrscht, geht es eben nur schleppend voran. An einer wichtigen Stelle könnte es nun aber Fortschritte geben, denn die Bauherren – um im Bild zu bleiben – wollen eines der tragenden Elemente der Kapitalmarktunion jetzt besonders zügig errichten. Konkret: Die Europäische Kommission soll auf Ersuchen der europäischen Finanzminister Möglichkeiten ausloten, wie der europäische Verbriefungsmarkt gestärkt werden kann.
Mit einem Male, so scheint es, werden Verbriefungen in der breiteren europäischen Politik als unverzichtbares Instrument angesehen, um die Finanzierungsmöglichkeiten der Kapitalmärkte zu stärken. Das ist erfreulich, denn dass Verbriefungen wichtig sind, um den gewaltigen Kapitalbedarf in Europa zu stemmen, ist keine neue Erkenntnis. Nur zur Erinnerung: Für die digitale und grüne Transformation der europäischen Wirtschaft sind schätzungsweise Investitionen von mehr als 600 Mrd. Euro jährlich notwendig. Diese Volumina können nur finanziert werden, wenn die verfügbaren Kapitalquellen – Eigenmittel der Unternehmen, Bankkredite, Kapitalmarkt und öffentliche Förderung – intelligent miteinander kombiniert werden. Der Vorzug von Verbriefungen: Sie eröffnen auch kleineren Unternehmen die Ressourcen des Kapitalmarkts. Indem Banken Kredite zu Wertpapieren bündeln und diese an Anleger verkaufen, machen sie Investitionen möglich, die sonst nicht über den Kapitalmarkt finanziert werden könnten. Gleichzeitig können auf Seiten der Institute Kapazitäten für die weitere Kreditvergabe freigesetzt werden.
Dass die Politik lange nicht gewillt war, den europäischen Verbriefungsmarkt in Schwung zu bringen, ist kaum überraschend. Seit dem Jahr 2008 haftet den Verbriefungen das Stigma an, Brandbeschleuniger der damaligen Finanzmarktkrise gewesen zu sein. Hinweise darauf, dass die Ausfallraten europäischer Verbriefungen schon damals gering waren, sind lange Zeit auf taube Ohren gestoßen. Auch deshalb hat die Regulierung der vergangenen Jahre zu praxisfernen Anforderungen geführt, die dem Verbriefungsinstrument nicht geholfen haben. Ergebnis: Der europäische Verbriefungsmarkt ist unterentwickelt, gerade im Vergleich zu den USA.
Was muss geschehen, damit Verbriefungen zu einem wirkungsvollen Instrument der Finanzierung werden können? Um den Verbriefungsprozess in Europa effizienter und damit kostengünstiger zu gestalten, wäre an vielen Stellen ein höheres Maß an Standardisierung wünschenswert – sowohl im gesetzlichen Bereich als auch in der Marktpraxis und bei aufsichtlichen Prozessen. Ein einfacher und standardisierter Verbriefungsprozess würde auch die Ein- bzw. Wiedereinstiegshürden für Investoren mindern. Dies ist wichtig, denn das Verbriefungs-Know-how bei potenziellen Investoren ist über die Jahre zurückgegangen. Entscheidend wird aber sein, die Anreize für Investments in Verbriefungen generell zu erhöhen. Dass die Investorenbasis gegenwärtig klein ist, hängt v. a. damit zusammen, dass die Alternativen – der direkte Erwerb von Kreditportfolien, Investitionen in Covered Bonds – kostengünstiger sind als Verbriefungen. Dies hat wesentlich mit den regulatorischen Anforderungen für Banken und Versicherungen zu tun und speziell mit der überproportional hohen Eigenkapitalunterlegung, die bei Verbriefungen verlangt wird. Eine angemessene Absenkung des p-Faktors, der zu einem pauschalen Risikoaufschlag bei den Kapitalanforderungen führt, könnte die Wirtschaftlichkeit der Verbriefung steigern. Für das Kapitalmanagement in den Banken sind insbesondere synthetische Verbriefungen, bei denen vertragliche Vereinbarungen direkt mit dem Investor geschlossen werden, von zentraler Bedeutung. Die regulatorischen Transparenzanforderungen gehen jedoch an den Bedürfnissen der Investoren vorbei. Auch hier besteht Reformbedarf. Klar ist: Der Verbriefungsmarkt muss revitalisiert, die Kosten müssen gesenkt und die Prozesse optimiert werden. Ob die nächste Kommission und die EU-Staaten wirklich zu den Bauherren eines attraktiven Verbriefungsmarkts werden, wird die Zukunft zeigen.
Dr. Hilmar Zettler ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Bundesverband deutscher Banken e. V. und dort für die Bereiche Bankenaufsicht, Einlagensicherung und Organisation zuständig.