Finanzkrise 2020
Manipulierte Risikoprämien destabilisieren Finanzmärkte und verursachen weltweit Kreditschwemmen
Zehn schwierige Jahre der Aufarbeitung und Schadensbegrenzung liegen zwischen der letzten Finanzkrise und heute. Dem Markteinbruch folgte ein in Theorie und Praxis nicht für möglich gehaltenes Marktversagen. Misstrauisch weigerten sich die Marktteilnehmer, Marktpreise zu stellen. In dieser chaotischen Situation versagten sämtliche Kapitalmarktmodelle zu Portfoliooptimierungen und Absicherungsstrategien. Empirisch ermittelte Daten zu den Korrelationen der Finanztitel verloren ihre Gültigkeit, denn der Crash zog auch die zum Markt vermeintlich negativ korrelierten Finanztitel mit in den Kursverfall. Bilder von ersten Panikschlangen vor britischen Bankschaltern sorgten für Aufsehen. Als sicher eingestufte Zertifikate wurden wertlos. Die von den Rating-Agenturen erstellten Bonitätstestate erwiesen sich als Makulatur. Über 70 Mrd. Euro hat die Finanzkrise den deutschen Steuerzahler bisher gekostet. Das Ausmaß der Krise bewirkte einen weltweiten Konsens, dass sich ein Marktzusammenbruch wie 2008 nicht wiederholen darf. Banken und Versicherungen werden deshalb heute durch ein aufwändiges Regelwerk zu mehr Transparenz, Risikovorsorge und Geldwäscheabwehr gezwungen. Systemrelevante Banken unterliegen besonders strengen Kontrollen.
Die Finanzkrise 2008 wird mit auf die Zukunft gezogenen Notkrediten bekämpft. Dies ist unumgänglich, erfolgt aber ohne Tilgungsplan. Stattdessen wird die Finanzwelt seit zehn Jahren mit billigem Geld geflutet. Der Zins auf Spareinlagen wird abgeschafft. Die EZB bläst ihre Bilanzsumme durch Anleiheaufkäufe auf. Der Schuldenstand Italiens bei der EZB beläuft sich auf 400 Mrd. Euro. Italiens Staatsschulden von 2300 Mrd. Euro stellen 130 % des BIP dar und sollen zur Erfüllung von Wahlversprechen weiter ausgedehnt werden. Bisher hat die EZB für 2,6 Bio. Euro Zinspapiere erworben, darunter neben Staatsanleihen sogar Unternehmensanleihen und ABS-Verbriefungen. Deutschlands Target-2-Forderungen liegen knapp unter einer Billion Euro. Die nächste Finanzkrise ist unvermeidbar, weil die Flutung der Finanzmärkte mit kostenlosem Geld die Steuerungsfunktion des risikogerechten Zinses aushebelt. Dies führt zu Fehlallokationen. Länder verschulden sich zum manipulierten Niedrigzins und erhalten damit die Ineffizienz ihrer Bürokratie. Schwellenländer wie Brasilien, Argentinien, Südafrika und die Türkei nehmen billige Dollarkredite auf und sind nicht in der Lage, diese angesichts des Verfalls ihrer Währungen zu tilgen. In den USA wachsen die Studentenkredite auf 1,3 Bio. Dollar an, und die US-Autokredite betragen 1,1 Bio. Dollar. Die Gründe für diese Kreditschwemme liegen wie 2008 in der Überversorgung der Banken mit zu billigem Geld. Diese finden keine soliden Investitionsgelegenheiten mehr und investieren wieder in Subprime-Kredite zu nicht risikoadäquaten Renditen. Es findet eine globale Umverteilung vom Gläubiger zum Schuldner statt. Der negative Realzins auf risikoarme Finanztitel beschädigt die private und betriebliche Altersvorsorge und zwingt die Sparer zu Umschichtungen in riskantere Anlageformen. Hierdurch entstehen an den Aktien- und Immobilienmärkten zinsinduzierte Blasen. Die Manipulation der Risikoprämien verschärft die Unterschiede zwischen den Reichen und der Mittelschicht. Große Vermögen wie Family Offices können die höheren Renditen im Private-Equity-Sektor abschöpfen und durch globale Streuung ihr Risiko begrenzen, während Kleinsparer täglich enteignet werden. Deutsche und chinesische Exporte boomen, weil viele Länder zu billigen Zinsen die Waren auf Pump importieren.
Die Blasenbildung bei Finanztiteln vollzieht sich zudem in instabilem Umfeld. Trotz im Mai 2018 bestandenen Stresstests brauchen griechische Banken im Oktober 2018 staatliche Hilfe, weil sie auf 88 Mrd. Euro fauler Kredite sitzen. Schattenbanken wie Hedge Fonds, Private Equity Fonds und Family Offices boomen ohne strenge Aufsicht. Im Handelskrieg mit den USA droht in China ein Wachstumseinbruch und im Iran die Verarmung. Im ölreichen Venezuela gehen aufgrund von Missmanagement und Korruption die Lichter aus. Synthetische ETF sind im Krisenfall Brandbeschleuniger, und traditionelle ETF stehen im Crash unter Verkaufsdruck. Robo Adviser lösen im nächsten Abschwung massenhaft Stopp-Loss-Signale aus, und der Hochfrequenzhandel sorgt dann für Kurseinbrüche im Sekundentakt. Angesichts der Manipulation der Risikoprämien werden die schneller als das Wirtschaftswachstum expandierenden Finanzwerte im instabilen geopolitischen Umfeld 2020 eine erneute Finanzkrise auslösen. Allen Unkenrufen zum Trotz gibt es aber auch nach dieser Krise ein Weiterleben. Finanztitel sind dann günstig zu erwerben, und das Spiel wird von vorne losgehen.
Autor
Prof. Dr. Wolfgang Gerke ist Präsident des Bayerischen Finanz Zentrums. Er lehrte an den Universitäten Passau, Mannheim und Erlangen-Nürnberg.