Trading und Settlement auf Basis der Distributed-Ledger-Technologie – macht das Sinn?
Marktteilnehmer sollten sich mit dem Potential von DLT-Marktinfrastrukturen auseinandersetzen.
Am 23.3.2023 ist die VO 2022/858 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABlEU vom 2.6.2022, L 151, 1) über eine Pilotregelung für auf Distributed-Ledger-Technologie (DLT) basierende Finanzmarktinfrastrukturen in Kraft getreten. Nun besteht die Möglichkeit, für drei Jahre (mit der Option auf Verlängerung um weitere drei) auszuprobieren, ob die Tokenisierung von Finanzinstrumenten Möglichkeiten für Effizienzsteigerungen im Handels- und Nachhandelsbereich eröffnet. Das Pilot Regime erfasst multilaterale DLT-Handelssysteme (DLT-MTF), DLT-Abwicklungssysteme (DLT-SS) und die Kombination von beidem, d. h. DLT-Handels- und -Abwicklungssysteme (DLT-TSS). Es gestattet sowohl natürlichen als auch juristischen Personen den Handel auf diesen Marktinfrastrukturen. Zwar blieb die finale Fassung des Pilot Regime hinter den Erwartungen einzelner Marktteilnehmer zurück – nicht nur wegen des kurzen Anwendungszeitraums von maximal sechs Jahren, sondern auch wegen der begrenzten auf diesen Marktinfrastrukturen handelbaren Instrumente (insbesondere Aktien, Anleihen, Corporate Bonds und OGAW) und der niedrigen Grenzwerte (Marktkapitalisierung bzw. Emissionsvolumen), bis zu denen DLT-Finanzinstrumente zum Handel über oder zur Verbuchung auf einer DLT-Marktinfrastruktur zugelassen werden. Warum lohnt es sich dennoch, das DLT Pilot Regime näher in den Blick zu nehmen?
Die DLT ermöglicht den Einsatz sog. Smart Contracts. Das sind Programme, die in einer Blockchain gespeichert sind und ausgeführt werden, wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dadurch lassen sich Vorgänge so automatisieren, dass alle Beteiligten sofort Gewissheit über das Ergebnis haben, ohne dass ein Vermittler eingeschaltet werden muss oder Zeit verloren geht. Smart Contracts machen es möglich, die verschiedenen Schritte – insbesondere das Orderbuch, den Matching-Algorithmus und die Abwicklungsprozesse – automatisiert auszuführen. DLT-Finanzinstrumente können gehandelt werden, ohne dass der Infrastrukturbetreiber Zugriff auf die Instrumente oder Gelder erhält, da diese vollständig von der On-Chain-Logik verwaltet werden. Zudem ermöglicht die Infrastruktur, dass Matching und Abwicklung zeitgleich stattfinden, wobei die Abwicklung – wie bei traditionellen Marktinfrastrukturen – im Wege des Delivery vs. Payment (DvP) erfolgt. Damit die smart-contract-basierten DvP-Prozesse ihr volles Potential entfalten können, ist allerdings der Einsatz von E-Geld-Token notwendig, den das Pilot Regime explizit vorsieht (Art. 5 Abs. 8 Unterabs. 2 DLT-Pilot Regime).
Noch nicht abschließend geklärt ist, welche Instrumente als DLT-Finanzinstrumente gelten. Das Pilot Regime legt fest, dass DLT-Finanzinstrumente solche sind, die mittels DLT emittiert, verbucht, übertragen und gespeichert werden (Art. 2 Nr. 11 DLT Pilot Regime). Eindeutig ist, dass sog. Kryptowertpapiere nach dem Elektronischen Wertpapiergesetz von dieser Definition erfasst werden, d. h. Wertpapiere, die in einem Kryptowertpapierregister eingetragen sind, das von einem lizensierten Kryptowertpapierregisterführer zu führen ist. Nicht ganz so eindeutig ist das für klassische, d. h. globalverbriefte Wertpapiere, da diese nicht ursprünglich mittels DLT emittiert wurden. Dennoch können auch diese Wertpapiere in das System eines DLT-SS oder DLT-TSS eingebucht und DLT-basiert gehandelt und abgewickelt werden. Dieser Meinung scheint sich auch die European Securities and Markets Authority (ESMA) anzuschließen (vgl. ESMA Report on the DLT Pilot Regime, 27.9.2022, ESMA70-460-111, Tz. 198 ff.). Dementsprechend scheint die Definition des DLT-Finanzinstruments weiter ausgelegt werden zu können. Dieses Ergebnis ist insbesondere für Deutschland wünschenswert, da der Anwendungsbereich von Kryptowertpapieren bislang auf Inhaberschuldverschreibungen und über den Verweis in § 95 Abs. 3 KAGB auf Anteile an Sondervermögen beschränkt ist. Zudem wird zu diskutieren sein, ob auch die sog. Security Token, die im Regelfall tokenisierte Vermögensanlagen darstellen und von der BaFin als Wertpapiere sui generis klassifiziert werden, in den Anwendungsbereich des DLT Pilot Regime fallen. Davon dürfte unter der Voraussetzung auszugehen sein, dass diese Instrumente in das System eines DLT-SS bzw. DLT-TSS eingebucht werden.
Auch wenn weitere Fragen offen sind, liegt das Potential, das die Infrastruktur bietet, auf der Hand. Umso mehr sollten sich Marktteilnehmer mit dem Pilot Regime auseinandersetzen und Anwendungsfelder ausloten.
Dr. Carola Rathke, RAin, ist Partnerin bei YPOG und berät in regulatorischen Fragestellungen, insbesondere beim Einsatz von Distributed-Ledger-Technologie sowie bei tokenisierten (Anlage-)Produkten.