R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
RIW 2025, I
Wulf 

Barrierefreiheit auch digital verbindlich

Abbildung 1

Dr. Hans Markus Wulf ist Rechtsanwalt/Fachanwalt
für Informationstechnologierecht
und Partner der Sozietät Heuking

Das BFSG verpflichtet Hersteller, Händler, Einführer und Dienstleister, Produkte und Services barrierefrei zu gestalten, wenn sie unter den Geltungsbereich der Verordnung fallen.

In Deutschland gelten seit dem 28. 6. 2025 neue verbindliche Anforderungen an die Barrierefreiheit bestimmter Produkte und Dienstleistungen. Die Grundlage dafür ist das 2021 verabschiedete Barrierefreiheitsstärkungsgesetz (BFSG), das die EU-Richtlinie 2019/882 in nationales Recht umsetzt. Details regelt die ergänzende Verordnung (BFSGV).

Unternehmen müssen seit Ablauf der Übergangsfrist am 28. 6. sicherstellen, dass bestimmte Produkte, die in Verkehr gebracht sowie Dienstleistungen, die ab diesem Zeitpunkt erbracht werden, den Vorgaben des BFSG entsprechen. Dazu zählen auch viele digitale Angebote. Unternehmen können bereits betroffen sein, wenn sie Dienstleistungen über ihre Website anbieten oder einen Webshop betreiben.

Das Gesetz gilt für bestimmte Produkte und Dienstleistungen, wenn sie nach dem 28. 6. 2025 bereitgestellt werden und in § 1 Abs. 2 und 3 BFSG genannt sind. Betroffen sind u. a. Telekommunikationsgeräte, Bankautomaten, E-Book-Reader sowie digitale Dienste in Bereichen wie Telekommunikation, Personenbeförderung, Bankwesen und E-Commerce.

Besonders relevant sind “Dienstleistungen im elektronischen Geschäftsverkehr”. Wirtschaftlich relevante Online-Dienste wie Terminbuchungen oder Bestellsysteme fallen darunter und sogar Bewerbungsformulare können erfasst sein. Es gibt nur wenige Ausnahmen, etwa für statische Inhalte, die nach dem 28. 6. 2025 nicht mehr verändert wurden, für vor diesem Datum veröffentlichte “Dateiformate von Büro-Anwendungen” – etwa PDF- oder Word-Dateien – oder für Inhalte von Dritten. Letztere findet jedoch nur Anwendung, wenn diese nicht von dem verantwortlichen Unternehmen finanziert, entwickelt oder kontrolliert wurden, was bei Plugins oder vor Veröffentlichung geprüften Forenbeiträgen regelmäßig nicht der Fall ist.

Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten und einem Umsatz, bzw. einer Bilanzsumme unter zwei Mio. Euro, sind bei Dienstleistungen ausgenommen. Wer jedoch mit erfassten Produkten handelt, muss unabhängig von der Größe die Vorgaben erfüllen.

Kurzum: Das BFSG verpflichtet Hersteller, Händler, Importeure und Dienstleister, Produkte und Services barrierefrei zu gestalten, wenn sie unter den Geltungsbereich fallen.

Über mehrere sensorische Kanäle müssen betroffene Produkte Informationen zugänglich machen – verständlich, visuell anpassbar, mit guter Lesbarkeit und Kontrast. Dies gilt für das Produkt selbst sowie für ergänzende Angaben auf Verpackungen oder digitalen Kanälen.

Digitale Dienstleistungen müssen für die Nutzer wahrnehmbar, bedienbar und verständlich sein. Barrierefrei gestaltete Informationen zu Merkmalen und Barrierefreiheit der Dienstleistung sind verpflichtend, ebenso der barrierefreie Zugang zu Supportkanälen. Hierzu bietet die Bundesfachstelle für Barrierefreiheit Leitlinien zur ersten Orientierung. Viele Fragen der Umsetzung und des Nachweises bleiben jedoch offen und müssen sich in der Praxis herausbilden.

Zur Umsetzung des BFSG auf Webseiten und in Apps empfiehlt sich die Orientierung an harmonisierten Vorschriften wie den Web Content Accessibility Guidelines (WCAG), da Barrierefreiheit dann vermutet wird. Kommen diese nicht in Betracht, muss für jedes Merkmal einzeln geprüft werden, ob alle Anforderungen eingehalten werden. Eine allgemeine Empfehlung zur Barrierefreiheit von Webseiten abseits der WCAG fehlt also noch.

Betriebe sollten prüfen, ob ihre Produkte, Services oder Webseitenunter das BFSG fallen. Der erste Schritt ist die Erfassung relevanter Angebote, v. a. online. Die noch umzusetzenden Anforderungen sollten anhand einer Gap-Analyse ermittelt und die Umsetzung an Standards wie den WCAG ausgerichtet werden. Dabei ist Barrierefreiheit im Internet kein einmaliges Projekt, denn Webseiten und Apps werden meist kontinuierlich verändert. Dabei werden schnell Fehler gemacht, beispielsweise wenn neu hochgeladene Bilder keine Alternativtexte enthalten.

Informationen zur Barrierefreiheit müssen passend bereitgestellt werden – z. B. in den AGB, auf der Website oder in Produktinfos – und selbst barrierefrei sein. Dabei ist eine Orientierung an bestehenden Barrierefreiheitserklärungen auf Behördenwebseiten nicht zu empfehlen, da diese häufig nach den abweichenden Vorgaben des Behindertengleichstellungsgesetzes erstellt wurden.

Übergangsfristen gibt es nur im Ausnahmefall. Im Übrigen müssen neue Inhalte und Produkte die Vorgaben seit dem 28. 6. 2025 erfüllen.

§ 37 BFSG sieht Bußgelder bis 100 000 Euro vor. Die Marktüberwachungsbehörden kontrollieren die Einhaltung. Zudem sind voraussichtlich Abmahnungen durch Wettbewerber oder Verbraucherverbände möglich und können erhebliche Zahlungspflichten verursachen.

Mit dem Inkrafttreten des BFSG ist Barrierefreiheit auch für Unternehmen digital verbindlich. Betriebe mit Online-Diensten oder relevanten Produkten sollten prüfen, ob sie unter die Regelungen fallen. So werden Sanktionen vermieden und Barrierefreiheit wird durch benutzerfreundliche und zukunftsfähige Angebote zum Qualitätsmerkmal.

Dr. Hans Markus Wulf, Hamburg

 
stats