Commercial Courts – Es braucht ein bisschen Expectation Management
Deutsche Commercial Courts als Alternative zur Schiedsgerichtsbarkeit?
Mit dem Ende April 2023 vorgelegten Referentenentwurf zum Justizstandort-Stärkungsgesetz soll der Justizstandort Deutschland durch Einführung sog. Commercial Courts und die Zulassung von Englisch als Gerichtssprache gestärkt werden. Entsprechende Versuche sind nicht neu. Erinnert sei an dieser Stelle zum Beispiel an die “Initiative Bündnis für das deutsche Recht” aus dem Jahre 2008. Im Wesentlichen war es seinerzeit eine bloße Marketingaktion zugunsten des damaligen Status quo des deutschen Rechts. Der Erfolg der Initiative war überschaubar.
Der Justizstandort Deutschland hat seither in Wirtschaftssachen wohl nicht an Popularität gewonnen, eher im Gegenteil. Einzelne Bundesländer wie Baden-Württemberg haben zwischenzeitlich versucht, mit dem bisher zur Verfügung stehenden, beschränkten Instrumentarium in ihren Landesgrenzen Commercial Courts einzuführen. Die Erfahrungen hier sind sehr gut. Mit einem Justizstandort-Stärkungsgesetz soll nunmehr den Ländern ein wesentlich effizienteres Besteck an die Hand gegeben werden: die Einrichtung von Commercial Chambers an den Landgerichten, bei denen Englisch Gerichtssprache ist, und englischsprachigen Commercial Courts an den Oberlandesgerichten mit der Möglichkeit der Verkürzung des Instanzenzuges. Begleitend sind hier wie dort verfahrenserleichternde Maßnahmen wie sog. case conferences, die Zulässigkeit eines Wortprotokolls sowie ein besserer Schutz der Vertraulichkeit geplant.
Das mit dem Referentenentwurf verbundene Ziel ist, Wirtschaftsstreitigkeiten aus anderen Rechtsordnungen und insbesondere auch aus der Schiedsgerichtsbarkeit zurückzuholen.
Dazu sind die Startbedingungen der deutschen ordentlichen Gerichtsbarkeit gar nicht einmal so schlecht. Das gilt nicht nur für die Einbeziehung Dritter in das Verfahren, sondern z. B. auch für die Verfahrensdauern (bei der ICC 24 Monate Durchschnitt vs. 8,7 Monate bei deutschen Landgerichten in 1. Instanz), die Qualität deutscher Richter (namentlich, wenn Spezialkammern gebildet werden sollten, wie dies der Referentenentwurf anregt) oder die Verfahrenskosten, wo in Schiedsverfahren gerade bei niedrigeren Streitwerten ein Obsiegen zuweilen wirtschaftlich zu einem Pyrrhussieg wird.
Ersetzen dementsprechend die Commercial Chambers und Courts künftig per se die Schiedsgerichte? Nein. In internationalen Sachverhalten wird dies häufig bereits daran scheitern, dass eine Gegenpartei, etwa aus einem Land des sog. Globalen Südens, schon aus Gründen der “Augenhöhe” einer Vereinbarung deutscher Gerichtsbarkeit bei deutscher Vertragspartei nicht zustimmen wird. Gleiches gilt in den meisten Fällen auch für die Vereinbarung des anwendbaren Rechts. Dabei ist das anwendbare Recht der eigentliche Hebel: Nur wenn deutsches materielles Recht zur Anwendung kommt, macht die Prorogation eines deutschen Commercial Courts Sinn. Und diese Fälle sind überschaubar. In ICC-Verfahren kam 2018 nur in etwa 40 Fällen (entsprechend 5 %) deutsches Recht zur Anwendung. Anders aber in DIS-Verfahren: In 60 % der 135 DIS-Verfahren waren 2022 ausschließlich deutsche Parteien beteiligt, in weiteren 30 % mindestens eine deutsche Partei. Es darf davon ausgegangen werden, dass in der weit überwiegenden Zahl dieser 90 % DIS-Schiedsverfahren deutsches Recht zur Anwendung kam. Hier und nicht in den ICC- und ähnlichen Verfahren läge letztlich das eigentliche Fall-Potential der Commercial Chambers und Courts. Das ist im Übrigen auch der Grund, weshalb das immer wieder zugunsten der Schiedsgerichtsbarkeit vorgebrachte Argument der weltweiten Vollstreckbarkeit hier viel weniger brennend ist.
Wenn der Hebel für den Erfolg der Commercial Chambers und Courts aber die Anwendbarkeit des deutschen Rechts ist, so muss dieses attraktiv sein und bleiben. In internationalen Sachverhalten hat deutsches Recht sicherlich einen kulturellen Nachteil gegenüber verschiedenen anderen, häufiger gewählten Rechtsordnungen, die, wie das englische oder französische Recht, gleichsam die “Leitordnungen” für verschiedene Rechte etwa afrikanischer Staaten sind, oder die, wie das Schweizer Recht, als “neutrales” Recht (was ist das?) gelten. Dieser Nachteil lässt sich nicht ausgleichen. Ein Nachteil deutschen Rechts lässt sich aber sehr wohl beseitigen. Dies ist das deutsche AGB-Recht, ein Punkt, der im Rechtsausschuss im März von so ziemlich allen dort angehörten Sachverständigen sowie in den meisten zum Referentenentwurf schon vorliegenden Stellungnahmen angesprochen wurde. Denn selbst zwei deutsche Parteien gehen zuweilen wegen der größeren Flexibilität bei der Rechtswahl in die Schiedsgerichtsbarkeit, wo Art. 3 Abs. 3 Rom-I-VO nicht durchschlägt und selbst Teile einer Rechtsordnung, etwa die §§ 305 ff. BGB, wirksam abbedungen werden können. Zumindest ein Drehen an der Schraube der Individualvereinbarung wäre hier zur Vermeidung einer Flucht in die Schiedsgerichtsbarkeit für den unternehmerischen Rechtsverkehr wünschenswert.
Auch wenn die Commercial Chambers und Courts ein Konzept mit Zukunft sind, so braucht es einen langen Atem. Denn eine entsprechende Prorogation wird in den allermeisten Fällen erst in (vielen!) Jahren zur Anrufung der Commercial Chambers und Courts führen. Bis dahin sollte den Parteien weiter auch über die aktuell (wie etwa in Baden-Württemberg) bestehende Lösung über die Geschäftsverteilungspläne der Weg zu den Commercial Chambers und über diese zu den Commercial Courts eröffnet werden.
Dr. Jörg Kondring, Rechtsanwalt, Heidenheim/Brenz