LG Bonn
Deutsche Verpackungsverordnung widerspricht europäischem Recht
LG Bonn, Entscheidung vom 25. Oktober 1999 - 1 O 173/98;
LG Bonn
vom 25.10.1999
- 1 O 173/98
RIW
2000, 144
(Heft 2)
SachverhaltDie Klägerin macht Schadensersatz wegen nicht erfolgter bzw. fehlerhafter Umsetzung der EG-Richtlinie 94/62/EG über Verpackungen und Verpackungsabfälle geltend. Diese Richtlinie wurde am 20. 12. 1994 erlassen (ABlEG v. 31. 12. 1994, L 365/10, und war von den Mitgliedstaaten bis zum 30. 6. 1996 umzusetzen. Die Bundesrepublik unterrichtete die EU-Kommission am 27. 6. 1996 über die Umsetzung der Richtlinie durch die zeitlich früher erlassene Verordnung über die Vermeidung von Verpackungsabfällen vom 12. 6. 1991 (Verpackungsverordnung-VerpackVO, BGBl. I S. 1234). Vorliegend ist vor allem die Vorschrift des § 9 Abs. 2 VerpackVO von Bedeutung. Danach bleibt die nach § 7 der Verordnung vorgesehene generelle Pfanderhebungs- und Rücknahmepflicht des Einzelhandels für Einwegverpackungen solange ausgesetzt als der nachweisbare Anteil von Getränken in Mehrwegverpackungen insgesamt über 72% des in Deutschland erfolgten Getränkeabsatzes ausmacht. Die Klägerin ist österreichische Herstellerin von Fruchtsaft-Erfrischungsgetränken. Sie belieferte in der Bundesrepublik Deutschland eine Handelskette mit einem Pfirsich-Eistee der Marke »Comet« in 11 Tetra-Brik-Blockpackungen. Der Tee wurde ausschließlich im Discountbereich der deutschen Handelskette vertrieben. Die Klägerin verlangt von der Bundesrepublik Deutschland Schadensersatz, da ihr Pfirsich-Eistee von der deutschen Handelskette ausgelistet worden war, um die deutsche Mehrwegquote zu stützen. Die Klage hatte keinen Erfolg.Aus den GründenDie Klage ist nicht begründet.Kein Schadensersatz aus GemeinschaftsrechtEin gemeinschaftsrechtlicher Entschädigungsanspruch der Klägerin aus Art. 249 Abs. 3 EG (Art. 189 Abs. 3 EGV) i. V. m. § 839 BGB; Art. 34, GG - der einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage - ist nicht gegeben.Die Gewährung eines gemeinschaftsrechtlichen Entschädigungsanspruchs hängt nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH von drei Voraussetzungen ab (EuGH, - Brasserie du pêcheur und Factortame - EWS 1996, 168 = RIW 1996, 435 = ZIP 1996, 561, (565), Tz. 50, 51; - Dillenkofer -, EWS 1996, 426 = RIW 1996, 1048 = ZIP 1996, 1832, (1834) Tz. 21):- Die gemeinschaftsrechtliche Rechtsform, gegen die verstoßen worden ist, muss bezwecken, dem einzelnen Rechte zu verleihen, deren Inhalt auf Grundlage der Richtlinie hinreichend bestimmbar ist.- Der Verstoß muß hinreichend qualifiziert sein.- Zwischen dem Verstoß gegen die dem Staat obliegende Verpflichtung und dem der geschädigten Person entstandenen Schaden muss ein unmittelbarer Kausalzusammenhang bestehen.Zwar neigt die Kammer dazu, die ersten beiden Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Dennoch scheidet ein Schadensersatzanspruch aus, da ein unmittelbarer Kausalzusammenhang zwischen der eventuellen Pflichtverletzung und dem entstandenen Schaden nicht festgestellt werden kann.Vorliegend kommt ein Verstoß der Beklagten gegen die gemeinschaftsrechtliche Rechtsnorm des Art. 18 Verpackungsrichtlinie in Betracht. Art. 18 schützt die Freiheit des Inverkehrbringens von der Richtlinie entsprechenden Verpackungen. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 28 EG (Art. 30 EGV) neigt die Kammer zu der Auffassung, dass Art. 18 Verpackungsrichtlinie dem Einzelnen Rechte verleiht, deren Inhalt auf Grundlage der Richtlinie hinreichend bestimmbar ist.Denn der vom Schutzzweck (Gewährleistung des freien Warenverkehrs) ähnlich gelagerte Verbotstatbestand des Art. 28 EG (Art. 30 EGV) hat nach Auffassung des EuGH unmittelbare Wirkung und verleiht ein individuelles materielles Recht. Er diene nicht lediglich der Herstellung einer »objektiven Wettbewerbsordnung« (EuGH, - Fratelli Costanzo -, Slg. 1989, 1839, 1861 = RIW 1990, 407; - Brasserie du pêcheur u. Factortame -, EWS 1996, 168 = RIW 1996, 435 = ZIP 1996, 561, 563, Tz. 23, 54; - Iannelli & Volpi -, Slg. 1977, 557, Tz. 13).Es dürfte auch ein qualifizierter Verstoß gegen Art. 18 Verpakkungsrichtlinie anzunehmen sein.In der Entscheidung Dillenkofer (EuGH, EWS 1996, 426 = RIW 1996, 1048 = NJW 1996, 3141, 1. Leitsatz und Tz. 26) hat der EuGH ausgesprochen, dass die Nichtumsetzung einer Richtlinie innerhalb der dafür festgesetzten Frist einen qualifizierten Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellt.Vorliegend ist allenfalls eine teilweise Umsetzung der Verpakkungsrichtlinie durch die Deutsche Verpackungsverordnung und das Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz erfolgt. Denn das in der Verpackungsrichtlinie enthaltene Binnenmarktkonzept hat keinen Eingang in diese Rechtsvorschriften gefunden.Qualifizierter Verstoß gegen GemeinschaftsrechtFür die Frage, ob auch die lediglich teilweise Nichtumsetzung einen qualifizierten Verstoß darstellt, kommt es nach den vom EuGH aufgestellten Kriterien auch auf die Unentschuldbarkeit bzw. Entschuldbarkeit an. Die Kammer neigt dazu, vorliegend entsprechend der Dillenkofer-Entscheidung einen hinreichendqualifizierten Verstoß anzunehmen. Denn nach den Erwägungen zur Verpackungsrichtlinie ist die Vermeidung von Handelshemmnissen und Wettbewerbsverzerrungen neben dem Umweltschutzgedanken zweiter Hauptgesichtspunkt der Richtlinie. Diesen hat die Beklagte nicht umgesetzt.Art. 18 Verpackungsrichtlinie gewährt IndividualschutzLetztlich kann aber dahinstehen, ob die beiden genannten Voraussetzungen des gemeinschaftlichen Entschädigungsanspruchs erfüllt sind.Keine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und SchadenDie Klägerin hat nicht bewiesen, dass ein etwaiger Schaden auf der teilweisen Nichtumsetzung der Richtlinie mit der Folge der Geltung des § 9 Abs. 2 VerpackVO beruht. Ein solcher Kausalzusammenhang wäre nur gegeben, wenn das klägerische Produkt »Comet-Eistee« allein aufgrund der Vorschriften der Verpackungsverordnung zur Mehrwegquote nicht mehr von der deutschen Handelskette abgenommen worden wäre.Dass es tatsächlich zur Auslistung des Produkts durch die Handelskette gekommen ist, steht zur Überzeugung der Kammer fest. Die von der Klägerin vorgelegte Absatzstatistik ... zeigt, dass sie im 1. Halbjahr 1996 ca. 7 Mio. Liter Comet-Eistee abgesetzt hat, während im 2. Halbjahr der Absatz auf »0« zurückgegangen ist. In Zusammenschau mit dem Schreiben der deutschen Handelskette vom 11. 7. 1996 ..., in dem die Auslistung des Produkts bestätigt wird, kann eine lebensnahe Interpretation nur ergeben, dass die deutsche Handelskette das Produkt gezielt aus ihrem Sortiment genommen hat. Dieses Ergebnis wird durch das Auffinden von »Comet-Eistee-Produkten« in einigen zur Handelskette gehörenden Filialen nicht widerlegt. Denn es ist unstreitig, dass die Marke »Comet« eine Eigenmarke ... ist ...Ein Kausalzusammenhang dergestalt, dass der geltend gemachte Schaden auf dieser in Ansehung der Einwegquote vorgenommenen Auslistung beruht, konnte aber nicht festgestellt werden.Zwar konnte die Klägerin beweisen, dass die Entscheidung der Handelskette, das klägerische Produkt aus ihrem Sortiment zu nehmen, zunächst in der Absicht erfolgte, die in der Verpakkungsverordnung festgelegte Mehrwegquote zu stützen.Die Zeugen haben übereinstimmend bekundet, Hintergrund des Abbruchs der Lieferbeziehungen sei gewesen, dass die Handelskette einen Beitrag leisten wollte, die Mehrwegquote gemäß § 9 Verpackungsverordnung zu stabilisieren. Als die Quote in den Jahren 1994 bis 1995 stetig abgenommen habe, sei für das Jahr 1996 zu befürchten gewesen, dass sie weiter sinke. Die damalige Umweltministerin Merkel habe zu diesem Zeitpunkt dazu aufgefordert, etwas zur Stabilisierung der Quote zu unternehmen. Es sei dann entschieden worden, das absatzstarke Produkt »Comet-Eistee«, hergestellt von der Klägerin, auszulisten, da eine spürbare Auswirkung auf die Quote nur bei Auslieferung eines Produkts mit erheblicher Marktbedeutung habe erwartet werden können.Die Beweisaufnahme hat aber weiter ergeben, dass der behauptete Schaden der Klägerin nicht durch diese Auslistung, die zunächst durch die beabsichtigte Stabilisierung der Mehrwegquote motiviert war, verursacht worden ist.Denn noch bevor sich die Beendigung der Lieferbeziehung schadenstiftend auswirken konnte, hat sich die Handelskette ungeachtet der Vorschriften der Verpackungsverordnung zur Wiedereinlistung entschlossen. Im Rahmen dessen hat sie auch der Klägerin angeboten, sie erneut zu beliefern.Dies steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer fest ...Wettbewerbssituation bestimmte den MarktDie Kammer kommt zu der Überzeugung, dass das Einkaufsverhalten der Handelskette seit Mitte des Jahres 1996 nicht mehr durch die Regelungen der Verpackungsverordnung, sondern durch die Wettbewerbssituation des Marktes bestimmt wurde. So hat der Zeuge bestätigt, dass in jedem Fall - also ungeachtet der Vorgaben der Verpackungsverordnung - angesichts der Wettbewerbsaktivitäten ... die Notwendigkeit bestanden hätte, darüber nachzudenken, ein billigeres Produkt im Discountbereich anzubieten. Insoweit stellte er klar, dass die Qualität nicht das allein entscheidende Kriterium für das Einkaufsverhalten der Handelskette war. Vielmehr sei eine Anpassung in preislicher Hinsicht als auch der Verpackungsgröße aus Gründen des Wettbewerbs erforderlich gewesen.Die Auffassung des Zeugen, letztlich habe die Konkurrenzsituation den Ausschlag für die Entscheidung gegen das klägerische Produkt gegeben, wird bestätigt durch die Absatzstatistik der deutschen Handelskette. Diese verdeutlicht nämlich, dass im Jahre 1997 neue Einwegprodukte - auch der Klägerin - in das Vollsortiment der Handelskette vertrieben wurden. So ist dokumentiert, dass beispielsweise die Eisteesorten Grüner Tee Apfel, Chep ET Pumuckl und Chep Grüner Apfel neu in das Programm aufgenommen wurden, obwohl zu diesem Zeitpunkt eine Stabilisierung der Mehrwegquote nicht eingetreten war ...Nach alledem ist nicht auszuschließen, dass der Schaden der Klägerin auch ohne die Regelungen der Verpackungsverordnung eingetreten wäre. Mangels unmittelbaren Kausalzusammenhangs zwischen dem in Rede stehende Pflichtenverstoß und dem entstandenen Schaden war die Klage abzuweisen.Hinweis der Redaktion:Das OLG Köln führt die Berufung unter Az.: 7 U 217/99.
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