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RIW 2012, 1
Ales 

Die italienische Arbeitsmarktreform: eine hoffnungsfroh stimmende Erfolgsgeschichte

Abbildung 1

Innerhalb eines Jahres hat die Regierung von Prof. Mario Monti das italienische Rechts- und Wirtschaftssystem radikal verändert. Dank einer breiten Parlamentsmehrheit ist es seiner Regierung gelungen, sowohl in Hinblick auf die Einnahmen (Steuerreform) als auch in Hinblick auf die Ausgaben (Haushaltsausgleich sowie Reduzierung der Staatsverschuldung) die Konkurrenzfähigkeit Italiens insgesamt zu stärken. Die jüngst durchgeführte Arbeitsmarktreform muss in diesem Zusammenhang betrachtet werden.

Zum besseren Verständnis dieser Reform sollte man zunächst erwähnen, dass ab dem Ende der 1990er Jahre (mit dem Gesetz Nr. 196 von 1997) bis in das neue Jahrtausend hinein (mit dem Gesetz Nr. 30 und dem Legislativdekret Nr. 276 von 2003) das italienische Arbeitsrecht beständig flexibilisiert worden ist. Besonders hervorzuheben sind hierbei die Abschaffung des staatlichen Arbeitsvermittlungsmonopols und das darauf folgende Aufkommen privater Akteure auf dem Arbeitsmarkt, denen nunmehr gestattet ist, Arbeitskräfte zu vermitteln und zu verleihen. Weiterhin zu erwähnen sind die zunehmende Abschaffung der rechtlichen Restriktionen für den Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen und Teilzeitarbeitsverträgen, die Einführung neuer Vertragstypen in Form eines projektbezogenen Arbeitsvertrages, einer Art von koordinierter, selbstständiger Arbeit und schließlich einer gewissermaßen amtlichen Bescheinigung, welche die Scheinselbstständigkeit in Fällen der eindeutigen Abhängigkeit oder Weisungsgebundenheit des Arbeitnehmers gegenüber dem “Auftraggeber” verhindern soll.

In der zweiten Hälfte des letzten Jahrzehnts schien sich dann jedoch der Flexibilisierungsprozess erschöpft zu haben. Erst kürzlich ist er im Zusammenhang mit der Staatsschuldenkrise jedoch wieder in Schwung gekommen, als Italien sich genötigt sah, seinen Arbeitsmarkt weiter zu reformieren, um die Konkurrenzfähigkeit des italienischen Wirtschaftssystems zu verbessern.

Bereits mit dem Gesetz Nr. 183 von 2010 hatte die damals noch amtierende Regierung das Arbeitsprozessrecht geändert, um sowohl die außergerichtliche als auch die gerichtliche Lösung von arbeitsrechtlichen Streitigkeiten, insbesondere bei Kündigungen Einzelner, zu beschleunigen. Dies war für die Unternehmen ein besonders wichtiger Aspekt, da nach den früheren Regelungen die Abfindungsentschädigung des im Prozess erfolgreichen Arbeitnehmers der Summe der Monatsgehälter ab dem Ausspruch der Kündigung bis zur Erklärung der Rechtswidrigkeit derselben entsprach. Das erwähnte Gesetz Nr. 183 hat auch die Möglichkeit eingeführt, dass Tarifverträge auf Betriebsebene von Arbeitnehmerschutz-Bestimmungen in Gesetzesvorschriften oder im jeweils anwendbaren nationalen Tarifvertrag zu Lasten der Arbeitnehmer abweichen dürfen, wenn dies eine Wiederaufnahme der Tätigkeit des Unternehmens oder eine Steigerung seiner Konkurrenzfähigkeit ermöglicht.

Die in diesem Rahmen zu sehende Reform durch die Regierung Monti (mit dem Gesetz Nr. 92 von 2012, in der durch Art. 46bis des Gesetzes Nr. 134 von 2012 geänderten Fassung) bringt tiefgreifende Eingriffe in manche schon seit Langem kritisierte Aspekte des italienischen Arbeitsmarktes. Diese sind: a) atypische Arbeitsverträge, womit alle Arbeitsverträge gemeint sind, die nicht dem unbefristeten “Normalarbeitsvertrag” entsprechen; b) die Regelung der individuellen oder kollektiven Kündigung des Arbeitsverhältnisses; schließlich c) das System der sozialen Abfederungsmaßnahmen.

Im Hinblick auf die atypischen Arbeitsverträge hat der Gesetzgeber die folgenden Änderungen eingeführt: Während der Abschluss von befristeten Arbeitsverträgen, soweit sie erstmalig zwischen einem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vereinbart werden und auf nicht länger als zwölf Monate befristet sind, vereinfacht wurde, wurde gleichzeitig die wiederholte Eingehung solcher Verträge mit demselben Arbeitnehmer (Kettenbefristung) erschwert. Der Berufsausbildungsvertrag wird als Hauptinstrument für den Zugang zum Arbeitsmarkt betrachtet. Bei freien Mitarbeiterverträgen, welche de facto eine Abhängigkeit oder Weisungsgebundenheit kaschieren könnten, wurde die Beweislast vom Arbeitnehmer zum Arbeitgeber verlagert, und gesetzliche Tatbestandsmerkmale zur Annahme einer mutmaßlichen Abhängigkeit und Weisungsgebundenheit wurden eingeführt.

Was die Kündigung angeht, hat der Gesetzgeber die Folgen einer rechtswidrigen individuellen bzw. kollektiven Kündigung geändert. Deren Unterscheidung wird nun nicht mehr an die Zahl der Angestellten eines Unternehmens, sondern vielmehr an die Gründe für die Rechtswidrigkeit der Kündigung gekoppelt. War der Arbeitgeber zuvor verpflichtet gewesen, je nach Anzahl der Beschäftigten (konkret: weniger oder mehr als 15 Beschäftigte im Betrieb) entweder eine Entschädigung zu zahlen oder den Arbeitnehmer wieder einzustellen, hängt heute die Rechtsfolge vom Grund für die Rechtswidrigkeit der Kündigung ab. Insbesondere wird bei diskriminierenden Kündigungen die Wiedereinstellung (“reintegrazione”), dagegen z. B. bei betriebsbedingten Kündigungen, falls die erforderlichen wirtschaftlichen Gründe nicht belegt sind, nur Schadensersatz angeordnet. Auf jeden Fall darf die Kündigungsentschädigung nicht den gesetzlich geregelten Schwellenwert überschreiten.

Schließlich im Hinblick auf die flankierenden Sozialleistungen, bei denen es sich hauptsächlich um die soziale Sicherung der Arbeitnehmer über die Cassa integrazione guadagni, einer Unterstützungskasse bei Kurzarbeit, und um das Arbeitslosengeld handelt, hat der Gesetzgeber beide angeglichen, indem er die Inanspruchnahme der Leistungen nunmehr davon abhängig macht, wie kurz- bzw. langfristig die jeweils geschützte Situation ist (bloße Arbeitszeitreduzierung bzw. Verlust des Arbeitsplatzes).

Professor Dr. Edoardo Ales, Rom/Cassino

 
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