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RIW 2000, 389
Hobe, Stephan 
Hobe, Stephan
RIW-Kommentar

Kommentar zu LG Bonn vom 16.04.1999 - 1 O 186/98
RIW 2000, 389 (Heft 5)
I. ProblemDas zu besprechende Urteil ist direkte Folge der rechtsschöpferischen Fortbildung des Europarechts durch den EuGH. Seit dem bahnbrechenden Urteil in der Rechtssache »Francovich« (RIW 1992, 243 = EWS 1991, 391) hat der EuGH in einer Reihe von Urteilen seine Rechtsprechung zu diesem Rechtsinstitut ausgebaut. Das vom EuGH begründete Rechtsinstitut der Staatshaftung der Mitgliedstaaten zielt darauf, den in der Gemeinschaft lebenden Bürgern einen Anspruch gegen ihren Mitgliedstaat wegen der Nichterfüllung bzw. Schlechterfüllung europarechtlicher Primärpflichten einzuräumen. Diese Nicht- bzw. Schlechterfüllung von Pflichten kann etwa in der nicht- bzw. schlechterfolgten Umsetzung von Richtlinien in das nationale Recht liegen.II. Entscheidung des GerichtsDas Gericht stützt den Anspruch der Klägerin auf Art. 249 Abs. 3 EG i. V. m. § 839 BGB, Art. 34 GG. Die nicht fristgerechte Umsetzung der Richtlinie stelle einen Verstoß gegen Art. 5 EGV dar; insofern sei das Institut der Staatshaftung dazu angetan, der Umsetzungsverpflichtung aus Art. 249 Abs. 3 EG volle Wirksamkeit (effet utile) zukommen zu lassen. Das Gericht stützt sich auf die EuGH-Rechtsprechung, wonach der Entschädigungsanspruch von drei Voraussetzungen abhängt: einer durch die gemeinschaftsrechtliche Norm bezweckten Verleihung hinreichend bestimmter Rechte an die Geschädigten, einem qualifizierten Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht und einen unmittelbaren Kausalzusammenhang zwischen Verstoß und entstandenem Schaden. Die konkrete Schadensbemessung richtet sich sodann nach nationalem Haftungsrecht. Zudem ist wesentlich, dass dieser Haftungsanspruch vor den nationalen Gerichten geltend zu machen ist.Das sachlich und örtlich zuständige LG Bonn entnimmt der Einlagensicherungsrichtlinie, dass dadurch dem Kunden ein individueller Anspruch gegen das Einlagensicherungssystem verliehen werden solle und dass die Richtlinie hinreichend konkrete Rechte an die Einzelnen verleihe. Auch das Vorliegen eines hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht wird bejaht. Ein solcher Verstoß könne dann bejaht werden, wenn ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan die Grenzen seines Ermessens bzw. der ihm eingeräumten Befugnisse offenkundig und erheblich überschritten habe. Das LG sieht diesen erheblichen Verstoß darin, dass innerhalb der Umsetzungsfrist seitens der Bundesrepublik keinerlei Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie getroffen worden seien. Dabei sei insbesondere ohne Bedeutung, dass innerhalb der Umsetzungsfrist Nichtigkeitsklage gegen die Richtlinie seitens der Bundesrepublik erhoben worden sei. Schwierigkeiten der internen Rechtsordnung seien - das LG verweist insofern auf das EuGH-Urteil »Dillenkofer« (RIW 1996, 1048) - irrelevant, insofern sei auch die Umsetzung der Richtlinie zumutbar. Zudem bejaht das Gericht auch die Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden. Die Einlage sei vor Ablauf der Umsetzungsfrist geleistet worden, allerdings sei erst der Eintritt des Entschädigungsfalls, welcher unzweifelhaft nach Ende der Umsetzungsfrist eingetreten sei, hier relevant. Bezüglich der Schadenshöhe reduziert das LG den eingeklagten Schadensersatzbetrag auf das Maß, welches nach der Richtlinie das Einlagensicherungssystem gewährt hätte. Weder eine Vorlage an den EuGH, noch eine Vorabentscheidung der Luxemburger Richter seien vorliegend angezeigt, da der EuGH etwa schon geurteilt habe, dass für die Beurteilung des Vorliegens eines hinreichend qualifizierten Rechtsverstoßes die nationalen Gerichte zuständig seien.III. KritikDem Urteil ist im Grundsatz zuzustimmen. Es bewegt sich auf der Linie der vom EuGH vorgezeichneten Ausformung des Rechtsinstituts der europäischen Staatshaftung, wie sie auch schon vom selben LG in der Rechtssache MP Travelline (NJW 1994, 2489) vertreten wurde. Freilich ist die Einbettung dieses Anspruchs in Art. 249 Abs. 3 EG nicht gänzlich frei von Zweifeln; das Gericht legt spürbar den Akzent stärker darauf, dass Richtlinien im Einzelfall auch unmittelbare Wirkung und damit für den Einzelnen eine Berufungsmöglichkeit auf ihren Inhalt begründen können. Näher liegt die folgende Begründungserwägung des LG, dass der eigentliche Haftungsgrund im nicht- bzw. verspäteten Umsetzen der Richtlinie und damit einem Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Treuepflichten besteht.Interessant und zutreffend ist die Feststellung des Gerichts, dass das Einlegen einer Nichtigkeitsklage in keiner Weise von der Umsetzungsverpflichtung dispensieren könne. Dies fügt der Rechtsprechung zur gemeinschaftsrechtlichen Staatshaftung der Mitgliedstaaten einen neuen Akzent hinzu. Insofern ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass das Einlegen von Klagen im Gemeinschaftsrecht keinen Suspensiveffekt hat. Auch führt das Gericht völlig zutreffend aus, dass bei Umsetzungsproblemen die Mitgliedstaaten nicht auf ihre eigene Rechtsordnung und dort vorhandene Probleme verweisen können, sondern sich mit den Gemeinschaftspartnern bezüglich der Ausräumung der Schwierigkeiten einer Umsetzung von Richtlinien ins nationale Recht ins Benehmen zu setzen haben.Interessant ist zudem die Begründung des qualifizierten Verstoßes gegen das Gemeinschaftsrecht. Hier hat der EUGH seine ursprüngliche Rechtsprechung aus der Rechtssache »Francovich« (RIW 1992, 243 = EWS 1991, 391) in den nachfolgenden Urteilen »Brasserie de Pêcheur« und »Factortame« (RIW 1996, 435 = EWS 1996, 168) präzisiert. Geschieht binnen einer Umset-zungsfrist nichts, genügt auch nicht das Erheben einer Nichtigkeitsklage, so die schlichte und zutreffende Logik des LG.Schließlich macht der Verweis auf einen fehlenden konkurrierenden Anspruch aus Amtspflichtverletzung noch einmal deutlich, wie unterschiedlich das Rechtsinstitut der europarechtlichen Staatshaftung von dem des nationalrechtlichen Staatshaftungsanspruchs ist. Denn für ersteres ist - hier im Unterschied zu letzterem - gerade nicht das Vorliegen einer drittgerichteten Amtspflicht Voraussetzung.Das Urteil des LG Bonn ist ein weiterer Beitrag zur Bestätigung des maßgeblich durch die EuGH-Rechtsprechung begründeten europäischen Staatshaftungsanspruchs.

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