Prof. Dr. Daniel Graewe, LL.M., Hamburg*
Ist die Silicon Valley Bank an zu viel Diversity gescheitert?
Am 10. März 2023 brach die Silicon Valley Bank (SVB) nach einem sog. „Bank-Run“ zusammen. Die Bank hatte die aus Finanzierungsrunden stammenden Einlagen ihrer Start-Up-Kunden in der Niedrigzinsphase überwiegend in längerfristige Anleihen investiert. Durch die steigenden Zinsen verlangsamte sich dann allerdings der Start-Up-Boom und die jungen Unternehmen mussten ihre Reserven anzapfen. Die SVB war in der Folge gezwungen, ihre Anleihen mit milliardenhohen Verlusten kurzfristig zu verkaufen, und kollabierte, als sich in der Start-Up-Szene herumsprach, dass es bei der Bank wohl Liquiditätsprobleme geben würde und die meisten Anleger kurzfristig ihre gesamten Einlagen von der Bank zurückforderten. Bei dem Zusammenbruch der SVB handelte es sich um die zweitgrößte Bankenpleite in der Geschichte der Vereinigten Staaten und die größte seit der Finanzkrise des Jahres 2008.
Fakt ist, der Zusammenbruch wäre nicht passiert, wenn das Management nicht Fehler gemacht hätte.
Die Bank war zunächst ein Opfer ihres eigenen Erfolgs: noch im Jahr 2020 verwaltete sie „nur“ 55 Milliarden US-Dollar, aber schon zwei Jahre später über 185 Milliarden, denn der Start-Up-Markt in den USA boomte, die SVB hatte viele junge Tech-Unternehmen unter ihren Kunden und so wurden insgesamt fast die Hälfte aller Erlöse aus Börsengängen zwischen 2020 und 2022 bei dieser Bank geparkt. Mit dieser gewaltigen Dimension an Einlagen war das Management aber augenscheinlich überfordert. Unternehmerische Fehlentscheidungen über die Anlage der Kundengelder wurden auch nach deutlichen Warnhinweisen auf steigende Zinsen von der Federal Reserve durch die Geschäftsleitung nicht korrigiert. Auch verkannte die SVB das Austrocknen des IPO-Marktes und die in der Folge veränderten Anforderungen an den Liquiditätsbedarf der Start-Up-Kunden. Als sich schließlich der Bank-Run abzeichnete, hätte SVB schnell eigene Aktien auf dem Markt anbieten müssen, um die Kunden so lange zu befriedigen, bis die Angst vor einem Liquiditätsproblem der Bank beseitigt worden war. Auch das verpasste die SVB, obwohl der PE-Riese General Atlantic sogar aktiv ein Kaufangebot von Stammaktien der Bank im Wert von 500 Millionen Dollar getätigt hatte.
Aber war finanzielles Missmanagement die einzige Ursache für den Kollaps der Bank, oder gab es auch noch andere Gründe?
Schon einen Tag nach dem Zusammenbruch titelte das Boulevardblatt New York Post (nicht zu verwechseln mit der New York Times), dass die Insolvenz der Bank wohl auch auf „woke programs“ zurückzuführen sei. So habe die Leiterin des Risikomanagements, Jay Ersapah, viel Zeit mit der Leitung von LGBTQIA+ Programmen verbracht, einschließlich der Schaffung von sog. „Safe Spaces für Coming Outs“, der Planung für Aktivitäten der SVB im „Pride Month“ und entsprechender Werbeaktivitäten, anstatt sich um das Risikomanagement der Bank zu kümmern. Das renommierte Wall Street Journal legte nur einen Tag später nach und vermutete, dass das Board der SVB durch „Diversity Demands“ von ihrer eigentlichen Arbeit abgelenkt worden sei. Dabei ist durchaus beachtlich, dass ein Drittel des Boards der Bank aus Minderheiten (Schwarz, Queer) bestand.
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass es keinen wissenschaftlichen Beweis dafür gibt, dass Diversity und unternehmerischer Erfolg zusammenhängen; einige Studien sprechen dafür, andere dagegen. Dies liegt insbesondere an der Unschärfe des Subjekts: „Diversity“ und „unternehmerischer Erfolg“ sind keine feststehenden naturwissenschaftlichen Phänomene, sondern ihrerseits von einer gesellschaftswissenschaftlichen bzw. betriebswirtschaftlichen Definition abhängig, die wesentlich das Ergebnis einer jeden Studie maßgeblich beeinflussen wird. Grundsätzlich soll das Konzept der Vielfalt hier auch gar nicht in Abrede gestellt werden, im Gegenteil: eine gesteigerte Kreativität, ein verbessertes Problembewusstsein, ein breiteres Kundenverständnis und nicht zuletzt auch Recruitmentgründe sprechen ausdrücklich für dieses Konzept. Allerdings sollte dabei nicht aus den Augen gelassen werden, dass in der Vielfalt alleine kein Allheilmittel zu sehen ist. Vor der Vielfalt ist es für Unternehmen viel mehr entscheidend, dass Vorstand und Aufsichtsrat über die notwendigen Kompetenzen (rechtlich: Sachverstand) verfügen, um ihre Aufgaben zu erfüllen; wenn dies auch noch durch Kandidaten mit unterschiedlichen Backgrounds gelingt, umso besser.
Dabei werden neben den gesetzlichen und satzungsmäßigen Vorgaben auch im Übrigen keine übertriebenen rechtlichen Anforderungen an den Vorstand, und im abgestuften Maße auch an den Aufsichtsrat, gestellt. Notwendig ist insbesondere die Fähigkeit, unternehmerisch zu handeln und dem Grunde nach ein wirtschaftliches Verständnis mitzubringen, um die grundlegenden Zusammenhänge der Tätigkeit der Gesellschaft ohne fremde Hilfe zu erfassen; teilweise wird auch ein Grundverständnis für Bilanzierungs- und Buchführungsangelegenheiten gefordert. Daneben treten freilich noch branchenspezifische Voraussetzungen, die insbesondere im Banken- und Versicherungssektor eine Rolle spielen. Wenn allerdings jeder Vorstand für sich nur ein wirtschaftliches Grundverständnis mitbringt, so wird das Leitungsgremium in Gänze ein Unternehmen wohl kaum zu einem nachhaltigen unternehmerischen Erfolg führen können, sodass an das Gremium im Ganzen höhere Anforderungen zu stellen sind, als die Erfüllung eines ökonomischen Grundverständnisses.
Im Falle der SVB jedenfalls konnte dieses Erfordernis offenbar nicht erfüllt werden. Ob ihr Zusammenbruch aber ausgerechnet an einem übertriebenen Diversity-Verständnis gelegen hat, darf indes bezweifelt werden.
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