Antragspflicht in der Krise?
von Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Aachen
Glücksache: Antragspflicht und die Folgen!
Der Titel ist doppeldeutig. Und so ist er auch gemeint. Die Insolvenzordnung schreibt in § 15a vor, dass die Mitglieder des Vertretungsorgans einer juristischen Person ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen haben, wenn die Gesellschaft zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Tun sie das nicht, haften sie persönlich auf Rückerstattung verbotswidrig geleisteter Zahlungen und machen sich zudem meist auch noch strafbar. Voraussetzungen, Zeitpunkt, Art und Weise einer Antragstellung sind – wie fast alles im Insolvenzrecht – kompliziert und störungsanfällig. Gleiches gilt für die Rechtsfolgen.
Deutschland und die Welt erleben seit 2008 eine Krise nach der anderen. Die Flüchtlingskrise folgte der Finanzkrise, die in Wahrheit eine Finanzmarktkrise war und die Covid-19-Pandemie und das Hochwasser in Bayer, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen in den Sommermonaten dieses Jahres haben bereits eher Katastrophen- als Krisencharakter. All diese Ereignisse stellen unternehmensbezogen betrachtet exogene Ursachen für Unternehmenskrisen dar. Im schlimmsten Fall beseitigen sie mindestens vorübergehend, meist aber sogar mittel- bis langfristig die Existenzgrundlagen von Unternehmen, führen zu Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung.
Regierungen und Gesetzgeber rennen den Krisen atemlos hinterher. Auf die Finanzkrise reagierte der Gesetzgeber mit einer Rolle rückwärts beim Überschuldungsbegriff. Der 1999 gerade erst geänderte Überschuldungstatbestand wurde entschärft, auf den alten Überschuldungsbegriff zurückgeführt, indem eine positive Fortbestehensprognose vor dem Gang zum Insolvenzgericht schützte. So wurde vermieden, dass durch die Finanzkrise ausgelöste Abwertungen von Vermögenswerten und eine dadurch bedingte rechnerische Überschuldung zur Insolvenzantragstellung verpflichtete und Erholungsoptionen ausschloss. Das Drama um die Aussetzung der Insolvenzan¬
Und schon gibt es die nächste vorübergehende Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Als Folge der Hochwasserereignisse, die einige Bundesländer getroffen haben. Das mit Wirkung vom 10.07.2021 in Kraft und am 01.04.2022 außer Kraft tretende Gesetz soll das Bundesjustizministerium ermächtigen, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht zu verlängern, wenn „dies aufgrund fortbestehender Nachfrage nach verfügbaren öffentlichen Hilfen, aufgrund andauernder Finanzierungs- oder Sanierungsverhandlungen oder aufgrund sonstiger Umstände geboten erscheint“. Die Aussetzung bezieht sich auf die Insolvenzantragspflicht gemäß § 15 a und gilt damit für juristische Personen und gemäß § 42 Abs. 2 BGB für Vereine. Sie soll greifen, wenn der Eintritt einer Zahlungsunfähigkeit oder der Überschuldung auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers im Juli 2021 beruht.
Ein Katastrophen-Maßnahmegesetz reiht sich an das Nächste. Und immer wieder betreffen die Regelungen die ohnehin bereits für einen juristischen Laien kaum verständlichen Voraussetzungen der Insolvenzantragspflicht und die Folgen eines verspäteten Insolvenzantrags. Und immer wieder treten kaum lösbare Abgrenzungsprobleme auf, denn in jedem Einzelfall ist zu klären, ob die Insolvenzreife unmittelbare oder zumindest mittelbare Folge der Katastrophe ist. Wie hoch muss das Hochwasser gewesen sein? Und wie lange muss es gestanden haben? Und wann kam die Katastrophenhilfe? Und wie schnell wurde der Betrieb gesäubert, restauriert und wieder in Gang gesetzt? Hängt die Antragspflicht am Ende davon ab, welcher Betrieb am schnellsten einen Handwerker organisieren konnte und welche Anstrengungen der Geschäftsleiter unternommen hat, seinen ganz oder teilweise zerstörten Betrieb wieder auf die Beine zu stellen? Wer in Aachen und Umgebung zur Zeit einen Handwerker sucht, kann froh sein, wenn er noch vor Jahresende einen Termin bekommt. Deshalb und angesichts des Umfanges der Schäden zeichnet sich schon jetzt die nächste Verlängerung der Aussetzungspflicht ab. Die dann vielleicht von einer Schneekatastrophe im Winter überholt wird. Oder der nächsten Virusmutation. Oder dem nächsten Flüchtlingsstrom.
Ordnung in das Regelungschaos kann nur gebracht werden, wenn der Gesetzgeber sich daran macht, alle denkbaren Katastrophen, die als unvermeidbare exogene Insolvenzursachen durchschlagen, so in § 15a zu integrieren, dass ein genereller Ausnahmetatbestand für die Insolvenzantragspflicht entsteht. Das ist nicht einfach, zugegeben. Aber letztendlich notwendig und unvermeidbar, wenn man verhindern will, dass sich Geschäftsleiter juristischer Personen und ihre Berater orientierungslos in einem Verordnungsgestrüpp verheddern. Die Aussetzung der Antragspflicht nimmt dem Geschäftsleiter natürlich nicht das Antragsrecht, also die Möglichkeit, auf der Grundlage eines guten Konzepts und mit Hilfe eines erfahrenen Insolvenzverwalters frühzeitig eine durchgreifende und nachhaltige Sanierung mit oder ohne Insolvenzplan anzustreben.
Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning& Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.