Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) Teil 1
von Cornelia Mönning, Aachen
Was ist unter einem Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) zu verstehen, warum, mit wem, wann und wie oft sollte es durchgeführt werden?
Der Arzt redet mit.
Was ist BEM?
Der Gesetzgeber hat in § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX folgende Legaldefinition des betrieblichen Eingliederungsmanagements festgelegt: „Sind Beschäftigte innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig, klärt der Arbeitgeber mit der zuständigen Interessenvertretung i.S.d. § 176 SGB IX, bei schwerbehinderten Menschen außerdem mit der Schwerbehindertenvertretung, mit Zustimmung und Beteiligung der betroffenen Person die Möglichkeiten, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement).“
Das Gesetz schreibt weder konkrete Maßnahmen noch einen bestimmten Verfahrensablauf vor.
Ein betriebliches Eingliederungsmanagement ist nach der Rechtsprechung ein „rechtlich regulierter Verlaufs- und ergebnisoffener ‚Suchprozess‘, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll“ (so z.B. BAG v. 20.05.2020 – 7 AZR 100/19, Rn. 32 m.w.N. und BAG v. 07.09.2021 – 9 AZR 571/20).
Im Ergebnis des durchgeführten betrieblichen Eingliederungsmanagements soll festgestellt werden, aufgrund welcher gesundheitlicher Einschränkungen es zu den Ausfallzeiten beim Arbeitnehmer gekommen ist und ob Möglichkeiten bestehen, diese Ausfallzeiten durch bestimmte Veränderungen am Arbeitsplatz zu verringern, um eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses vermeiden zu können (Gesundheitsprävention).
Die Vorschrift des § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX gilt auch in Kleinbetrieben und in Betrieben ohne Betriebsrat sowie im Insolvenzverfahren. Im Kündigungsschutzprozess gibt es insoweit keine Erleichterungen für den Insolvenzverwalter, soweit eine krankheitsbedingte Kündigung streitig ist.
Warum ist es durchzuführen?
In der Gesetzesbegründung zu § 84 Abs 2 SGBIX a.F. (jetzt § 167 Abs 2. SGB IX) heißt es, dass durch die gemeinsame Anstrengung aller Beteiligten ein BEM geschaffen werden soll, das durch geeignete Gesundheitsprävention das Arbeitsverhältnis möglichst dauerhaft sichert. Das BEM wird in der Praxis häufig als lediglich notwendiges Übel vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung gesehen. Die Rechtsprechung hat zwar bestätigt, dass das BEM an sich keine Wirksamkeitsvoraussetzung für eine personenbedingte (krankheitsbedingte) Kündigung ist, aber gleichzeitig Hürden für die Ausgestaltung des BEM aufgestellt, die der Arbeitgeber überwinden muss, um in einem späteren Kündigungsschutzverfahren darlegen und beweisen zu können, dass das BEM fehlerfrei durchgeführt wurde. Dabei werden durch die Rechtsprechung immer neue Forma¬
Führt der Arbeitgeber kein betriebliches Eingliederungsmanagement vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung durch, hat er darzulegen, dass keine zumutbare Möglichkeit (milderes Mittel) bestand, die Kündigung zu vermeiden. Das BEM selbst ist aber kein ausreichendes milderes Mittel, das heißt, es nicht ausreichend, irgendein als BEM tituliertes Gespräch zu führen.
Die Unterlassung des BEM steht einer Kündigung dann nicht entgegen, wenn sie auch durch ein BEM nicht hätte verhindert werden können. Das kann z.B. dann der Fall sein, wenn feststeht, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit eines Arbeitnehmers völlig ungewiss oder keine leidensgerechte Beschäftigung, auch nicht nach Umgestaltung (nicht: Neuschaffung) des Arbeitsplatzes, möglich ist. Der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass ein BEM-Verfahren objektiv nutzlos gewesen wäre.
Liegen die gesetzlichen Voraussetzungen vor, hat der Arbeitgeber die Initiativlast, ein BEM durchzuführen. Für den Arbeitnehmer ist das BEM ein freiwilliges Verfahren, da eine individuell angepasste Lösung gefunden werden soll. Auf die Freiwilligkeit ist der Arbeitnehmer ausdrücklich hinzuweisen! Wird der Arbeitgeber seiner Initiativlast bei der Durchführung eines BEM-Verfahrens nicht gerecht und ist der Arbeitnehmer deshalb nicht in der Lage, Beschäftigungsmöglichkeiten aufzuzeigen, kann sich der Arbeitgeber zur Abwehr des Beschäftigungsverlangens nicht darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten und es gebe auch keine Arbeitsplätze, die dieser mit seinem Leistungsvermögen ausfüllen könne. (BAG vom 07.09.2021, 9 AZR 5671/20).
Mit wem?
Auch wenn die Legaldefinition des betrieblichen Eingliederungsmanagements im Dritten Teil des Sozialgesetzbuches IX (SGB IX) steht, der besondere Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen enthält, betrifft das BEM nicht nur schwerbehinderte Arbeitnehmer. Die Durchführung eines BEM setzt nicht voraus, dass bei dem betroffenen Arbeitnehmer auch eine Behinderung vorliegen muss (vgl. BAG v. 20.11.2014 – 2 AZR 755/13).
Ein BEM ist deshalb allen Arbeitnehmern/Beschäftigten i.S.d. § 2 Abs2 ArbSchG, das heißt, auch befristet oder in Teilzeit Beschäftigten, Auszubildenden und leitenden Angestellten, anzubieten, sofern eine Arbeitsunfähigkeit von mehr als 6 Wochen innerhalb eines Jahres besteht. Das gilt auch dann, wenn der länger als 6 Wochen erkrankte Arbeitnehmer kürzer als ein Jahr beschäftigt ist.
Weg von der Krankheit – hin zur Arbeit
Ein BEM ist allerdings innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG nicht erforderlich (BAG vom 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 und BAG 24.01.2008 – 6 AZR 96/07). Der Arbeitgeber soll die Möglichkeit der Erprobung des Arbeitnehmers auf den für ihn vorgesehenen Arbeitsplatz haben. Der Arbeitgeber wäre nicht mehr frei, die konkreten Einsatzmöglichkeiten des Arbeitnehmers in seinem Betrieb zu erproben, würde er verpflichtet, den Arbeitnehmer aufgrund der im BEM gewonnenen Erkenntnisse auf einem anderen Arbeitsplatz weiterzubeschäftigen.
Wann?
Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit muss zwar länger als 6 Wochen, das heißt mehr als 42 Kalendertage, sein, es muss sich aber nicht um einen zusammenhängenden Zeitraum handeln und es werden auch arbeitsunfähige Tage berücksichtigt, für die kein ärztliches Attest vorliegt. Die gesetzlichen Voraussetzungen für ein BEM sind erfüllt, wenn Arbeitnehmer mit einer 5-Tage-Arbeitswoche innerhalb eines Jahres (gemeint sind 12 Monate und nicht ein Kalenderjahr!) an mindestens 30 Arbeitstagen und Arbeitnehmer mit einer 6-Tage-Arbeitswoche an mindestens 36 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt waren. Der Grund der Erkrankung ist unerheblich; entscheidend ist, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nicht mehr oder nur unter der Gefahr der Verschlimmerung der Erkrankung ausgeführt werden kann.
Die Einleitung eines BEM ist auch während der Arbeitsunfähigkeit möglich, denn dadurch soll die Arbeitsunfähigkeit überwunden werden. Der Arbeitnehmer ist aber während der Arbeitsunfähigkeit nicht verpflichtet, in den Betrieb zu kommen, um an dem BEM teilzunehmen. Ein zeitweiliger Aufschub kann sinnvoll sein, wenn der Arbeitnehmer dies wegen der Krankheit begehrt.
Wie oft muss das BEM Verfahren durchgeführt/wiederholt werden?
Das BAG hat in jüngster Entscheidung vom 18.11.2021 (2 AZR 138/21) dargelegt, dass der Arbeitgeber gemäß § 167 Abs. 2 S. 1 SGB IX grundsätzlich ein neuerliches betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen hat, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres nach Abschluss eines BEM erneut länger
Kommen während eines noch laufenden BEM weitere Zeiten von Arbeitsunfähigkeit von mehr als sechs Wochen hinzu, verlangen Sinn und Zweck von § 167 II 1 SGB IX allerdings nicht die Durchführung eines parallelen zusätzlichen BEM (BAG vom 18.11.2021 – 2 AZR 138/21, Rn. 26). Ein BEM-Verfahren ist erst dann abgeschlossen, wenn z.B.
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der Arbeitnehmer das Angebot zum BEM-Verfahren endgültig ablehnt,
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der Arbeitnehmer das begonnene BEM-Verfahren durch Widerruf seiner Einwilligung ablehnt,
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wenn die Parteien des Verfahrens einig sind oder der Arbeitnehmer einseitig erklärt, dass das BEM-Verfahren beendet ist oder nicht weiter durchgeführt werden soll
Unklar ist noch, wann dass BEM-Verfahren als abgeschlossen betrachtet werden kann, wenn im Verfahren gefundene Möglichkeiten noch umgesetzt werden müssen.
Nach dem Abschluss des BEM ist ein erneutes BEM durchzuführen, wenn der AN erneut länger als 6 Wochen arbeitsunfähig erkrankt.
Hat der Arbeitgeber ein (ggf. erneutes) BEM nicht durchgeführt, ist er darlegungs- und beweispflichtig dafür, dass auch ein (ggf. neuerliches) BEM nicht hätte dazu beitragen können, Arbeitsunfähigkeitszeiten zu vermeiden und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Hier könnte z.B. dargelegt werden, dass auch ein neuerliches BEM kein positives Ergebnis erbracht hätte, weil das unmittelbar zuvor durchgeführte BEM ebenfalls ergebnislos verlief. Allerdings würde der Arbeitgeber dann darlegen und beweisen müssen, dass auch keine relevanten Veränderungen gegenüber den Feststellungen im vorherigen BEM eingetreten sind. Erteilt der Arbeitnehmer keine Zustimmung zum BEM, hat der Arbeitgeber gleichwohl ggf. einen weiteren Versuch eines BEM zu unternehmen, wenn der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres, nachdem er die Durchführung eines BEM abgelehnt hat, erneut mehr als sechs Wochen durchgängig oder wiederholt arbeitsunfähig gewesen ist, selbst wenn seit der nicht erteilten Zustimmung noch kein Jahr vergangen ist.
Die Fortsetzung zur Ausgestaltung des BEM Verfahrens und zu Fragen des Datenschutzes können Sie in unserer nächsten Ausgabe lesen.
Rechtsanwältin Cornelia Mönning verfügt über mehr als 25-jährige Expertise auf den Gebieten des Arbeitsrechts und des Insolvenzarbeitsrechts. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Vorbereitung und Begleitung von Betriebsänderungen, Verhandlungen mit den Tarifvertragsparteien und natürlich auch die Vertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im arbeitsgerichtlichen Instanzenzug.