Dual Track mit Augenmaß – warum ein strukturierter Verkaufsprozess im Insolvenzverfahren im Interesse aller Beteiligten liegt
von Dr. Stefan Weniger, Berlin
Die Anzahl der Insolvenzen in Deutschland ist seit etlichen Jahren rückläufig und hat im Zuge der Corona-Pandemie einen historischen Tiefstand erreicht. Das Füllhorn der öffentlichen Hand („Bazooka“) sowie das Aufweichen der Regulatorik bis hin zum Aussetzen von Insolvenzantragsgründen haben ihre gewünschte Wirkung nicht verfehlt – nur noch eine geringe Anzahl von Unternehmen stellt einen Insolvenzantrag.
Sanierungsplanung: Alternativen einbeziehen!
In der Insolvenz-Community werden nunmehr diverse Thesen diskutiert, was die Unternehmer davon abhält, frühzeitig und in sanierender Absicht in ein Insolvenzverfahren zu gehen. Dabei wird immer wieder als Grund ins Feld geführt, dass in der Insolvenz ein strukturierter Verkaufsprozess aufgesetzt wird, um ggf. auch parallel zum bisherigen Eigentümer einen (neuen) Investor zu finden (Stichwort „Dual Track“). Das führe dazu, dass der bisherige Gesellschafter bei einer Risikoabwägung die Insolvenz als Sanierungsinstrument nicht nutzen würde, da er den Verlust seines Unternehmens befürchte. Im Ergebnis sei die Einschaltung des M+A-Beraters damit ein Sanierungshindernis, welches, wenn schon nicht abgeschafft, dann doch in jedem Fall kritisch zu hinterfragen sei.
Das Thema berührt grundsätzliche Fragen des Insolvenzrechts. Der Ordnungsrahmen der Insolvenz bietet die Gewähr, dass das Vermögen des Schuldners nach dem Grundsatz der „par conditio creditorum“ behandelt und verteilt wird. Werden Fortführungswerte statt Liquidationswerten erzielt, führt dies zu einer in der Regel besseren Quote der Gläubiger. In seltenen Ausnahmefällen gelingt es, sämtliche Insolvenzforderungen
Die Realisierung von Fortführungswerten ist allerdings kein Privileg, welches dem bisherigen Gesellschafter vorbehalten ist. Mit Eintritt in das formelle Insolvenzverfahren ist der Altgesellschafter zunächst einmal wirtschaftlich „aus dem Geld“. Die Gläubiger bestimmen das Verfahren. Ihre Interessen werden durch den vom Gericht bestellten Insolvenzverwalter vertreten. Alternativ, im Falle einer Eigenverwaltung, setzt das Gericht einen Sachwalter ein, der im Auftrag der Gläubigergesamtheit eine Überwachungsfunktion für die Gläubiger übernimmt. In jedem Fall ist das Bestreben aller Parteien, die bestmögliche Befriedigung aller Gläubiger zu erzielen, § 1 InsO. Das ist der verfahrensprägende Maßstab, der für sämtliche Insolvenzen gilt, sei es mit oder ohne eine Sanierung.
Um ein vollständiges Bild der Verwertungsalternativen zu erhalten, wird das Repräsentationsorgan der verfahrensleitenden Gläubiger, der (vorläufige) Gläubigerausschuss, die Alternative eines Investoreneinstiegs (als Asset- oder als Share-Deal) prüfen lassen. Dies liegt in seinem ureigenen Interesse und ist wesensprägend für das Verfahren.
Nun mag es Konstellationen geben, in denen bereits die Suche nach einem potentiellen Investor den Bestand des Unternehmens gefährden könnte, weil beispielsweise bereits eine öffentliche Investorensuche wesentliche Werte des Unternehmens gefährdet. In der Praxis werden immer wieder gerade bei inhabergeführten Unternehmen solche Diskussionen geführt. Letztlich stellt sich aber regelmäßig heraus, dass hier die Angst vor dem Unternehmensverlust hinter der vermeintlichen „Unverkaufbarkeitsthese“ steht. Das gilt im Besonderen im Vorfeld einer möglichen Antragstellung. Verunsicherte Unternehmer, die den vermeintlichen Rufschaden – Insolvenz als „bürgerlichen Tod des Kaufmanns“ – fürchten, taugen regelmäßig nicht als Zugpferd für die Sanierung. Hier stellt sich ohnehin die Frage, ob dies ein geeigneter Kandidat ist, um die Unternehmensfortführung zu gewährleisten.
Sofern echte Sachgründe gegen eine breite Marktansprache im Prozess sprechen, werden diese Argumente regelmäßig im vorläufigen Gläubigerausschuss gehört. Es gehört zur geübten Praxis, in diesen Fällen mit einem abgeschwächten Instrument zu arbeiten, um ein etwaiges Drittinteresse zu ermitteln. Gezielte, individuelle Marktansprachen, Experteneinschätzungen, Unternehmensbewertungen oder die Erstellung einer sogenannten „Fairness-Opinion“ sind geeignete Instrumente, um dem berechtigten Interesse der Gläubiger nach der Ermittlung eines „Marktpreises“ für das Unternehmen gerecht zu werden. Es muss dabei nicht immer und in allen Fällen ein vollständiger M+A Prozess aufgesetzt werden. Hier hängt die Dosierung vom Einzelfall ab. Einen vollständigen Verzicht auf eine „Marktverprobung“ unter dem Deckmantel einer Sanierung zu fordern geht aber sicherlich am Ziel vorbei. Dual Track mit Augenmaß ist sicher die richtige Antwort.
Dr. Stefan Weniger ist Partner und Geschäftsführer der Unternehmensberatung Restrukturierungspartner RSP GmbH & Co. KG. Der Rechtsanwalt hat langjährige Erfahrung in der Sanierungs- und Insolvenzberatung. Seine Kernkompetenzen liegen im Sanierungsmanagement und der -geschäftsführung. Im Rahmen von Eigenverwaltungsverfahren berät er nicht nur die Unternehmen, sondern übernimmt Organverantwortung als CRO und ist verantwortlich für die Umsetzung der Sanierung. Er ist Sanierungsberater CMC/BDU und Vorstands- und Gründungsmitglied des Forum 270 – Qualität und Verantwortung in der Eigenverwaltung e.V.