Editorial
Rolf-Dieter Mönning
Ein wohlmeinender Mandant meinte neulich: „Hätte man 16 erfahrene Insolvenzverwalter in den Bundesländern als Corona-Beauftragte eingesetzt und mit umfassenden Vollmachten ausgestattet, wäre Corona in Deutschland vielleicht kein Thema mehr.“ Gesetzt den Fall, es wäre so geschehen: Was hätten die eingesetzten Verwalter getan? Am Anfang hätte eine umfassende Ursachenanalyse gestanden. Mit Rückgriff auf wissenschaftliche Erkenntnisse wäre man zu dem Ergebnis gekommen, dass das Virus in erster Linie durch Kontakte übertragen wird. Kontakte temporär rigoros einschränken, so wie dies die neuseeländische Regierung getan hat, wäre also das erste Gebot der Stunde gewesen. Auf die Ursachenanalyse folgt die Potenzialanalyse. Ganz schulmäßig wie es das Restrukturierungshandbuch lehrt. Wieviel Impfstoff, Masken, Krankenhausbetten, auch auf Intensivstationen, stehen zur Verfügung? Welche Impfkapazitäten haben Hausärzte, vielleicht auch Betriebsärzte und sogar Zahnärzte, vielleicht auch Apotheker und wie schnell lassen sich Impfzentren aufbauen und ausstatten? Alles eine Frage der sorgfältigen Bedarfsplanung und der Mengensteuerung. Alltagsprobleme bei der Krisenbewältigung.
Und nicht zu vergessen, welche Anforderungen werden an die Führung in der Krise gestellt? Die Maßnahmen und Regelwerke müssen transparent dargestellt und erläutert werden. Ein wöchentlicher Erfahrungsaustausch sichert einheitliches Vorgehen. Eine umfassende Abstimmung vermeidet Widersprüchlichkeiten. Und wenn man sich auf eine gemeinsame Strategie verständigt hat, gilt es, Kurs zu halten. Was nicht ausschließt, dass die Wirkung der eingeleiteten Maßnahmen regelmäßig zu evaluieren ist, um bei Fehlentwicklungen rechtzeitig gegensteuern zu können oder nachzujustieren.
Es mag sein, dass Sie all dies bei der Bewältigung der Covid-19-Pandemie vermisst haben. Entsprechend harsch fallen die Urteile aus, mit denen das Krisenmanagement der Entscheider in Politik und Verwaltung beurteilt wird.
Aber anders als unsere 16 fiktiven Corona-Beauftragten aus dem Kreis erfahrener Insolvenzverwalter, unterliegen die tatsächlich Verantwortlichen der demokratischen Kontrolle und wollen auch wiedergewählt werden. Der ständige Blick auf aktuelle Umfrageergebnisse, die damit verbundene Rücksicht auf den manchmal auch nur vermuteten Volkswillen und vor allem die eigenen Parteigänger fließt zwangsläufig in jede Beurteilung und jede Entscheidung ein. Es lässt sich nur erahnen, mit wie vielen Mails, SMS und Telefonaten Ministerpräsidenten, die Gesundheitsminister im Bund und in den Ländern und andere Entscheidungsträger rund um die Uhr konfrontiert werden, in denen Existenzsorgen geschildert, die Folgen von Kontaktbeschränkungen und Geschäftsschließungen aufgezeigt, mit Entzug von finanzieller und persönlicher Unterstützung gedroht und die bei nächster Gelegenheit anstehende Wiederwahl in Frage gestellt wird. Mit alledem haben Insolvenzverwalter und Restrukturierungsbeauftragte in ihrem Tagesgeschäft nichts zu tun. Natürlich gibt es auch hier den Versuch der Einflussnahme, die gerichtliche Kontrolle, die Aufsicht durch Mitglieder eines Gläubigerausschusses und die Kritik von Gläubigern, Arbeitnehmern oder Vertragspartnern, die sich ein anderes oder besseres Ergebnis gewünscht hätten. Aber verglichen mit dem, was die politisch Verantwortlichen seit zwei Jahren an Kritik, Häme, Spott und auch Aggressionen auszuhalten haben, ist das ein Kinderspiel. Deshalb ist die eingangs zitierte Aussage des wohlmeinenden Mandanten ohne Belang. Wenngleich man sich die Übernahme einiger Grundsätze der „best practice“ der Insolvenz- und Sanierungspraxis auch für die Corona-Krise gut hätte vorstellen können. Und dazu gehört ebenfalls, dass hoffentlich irgendwo in den Stabsabteilungen der Staatskanzleien eine Expertengruppe sitzt und überlegt, welche Maßnahmen erforderlich sind und was geschehen muss, um die Bevölkerung zusammen zu halten, wenn es nach der vierten Welle weitere Wellen geben sollte und auch eine hohe Impfquote das ständig mutierende Virus nicht eliminiert. Denn immer einen Plan B zur Hand zu haben, gehört auch zur Krisenbewältigung im Insolvenz- und Sanierungsgeschäft.
Auch das neue Magazin erscheint in unruhigen Zeiten. Frohe Botschaften sind die Ausnahme, auch wenn das Weihnachtsfest vor der Tür steht. Wir dürfen dennoch die Zuversicht nicht verlieren und jeder einzelne sollte darum bemüht sein, seinen persönlichen Beitrag für die Krisenbewältigung zu leisten. In diesem Sinne wünschen wir Ihnen trotz allem ein frohes und besinnliches Weihnachtsfest und einen guten Start in das neue Jahr 2022.