Ein schmaler Grat: Unabhängig trotz Pflichtwidrigkeit?
von Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Aachen
Gratwanderung: Handeln zwischen Pflichtwidrigkeit und Unabhängigkeit.
Für das Anforderungsprofil an einen Insolvenzverwalter (natürlich auch an eine Insolvenzverwalterin) nennt das Gesetz Kriterien. Geeignet soll er sein, also wissen, was er tut. Die fachliche Qualifikation ist wichtig, aber alleine nicht ausreichend. Da sie oder er unterschiedliche Interessen ausgleichen müssen, wird auch Objektivität verlangt, was das Verbot einseitiger Parteiname bedeutet. Aber allen voran wird im Zeitalter der Compliance das ebenfalls gesetzlich verankerte Kriterium der Unabhängigkeit groß geschrieben, ohne dass die Insolvenzordnung die Definition gleich mitliefern würde.
Was also bedeutet Unabhängigkeit? Geht es um wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit? Darf jemand Verwalter werden, der finanziell auf dem letzten Loch pfeift, und vielleicht bei einem wichtigen Gläubiger, z.B. einer am Verfahren beteiligten Sparkasse, in der Kreide steht? Wohl eher nicht.
Und wie steht es mit der politischen Unabhängigkeit? Kann ein Verwalter, der Mitglied der SPD ist, ein Verfahren übernehmen, wenn der Geschäftsführer der Schuldnerin ebenfalls Genosse ist? Oder dürfte ein grüner Verwalter bestellt werden, wenn es um das Sanierungsverfahren eines Kohlekraftwerks, eines großen Mastbetriebes oder eines Vereins geht, der sich für die Erhaltung des generischen Maskulinums einsetzt? Oder noch profaner: Darf als Verwalter eines Fußballvereins eine Person bestellt werden, die seit Jahren die Spiele mittels Dauerkarte verfolgt? Letzteres hatte das Amtsgericht Aachen ernsthaft bezweifelt, und dass nicht einmal am 11.11.!
Oder kann im ländlichen Raum Verwalter werden, wer ebenfalls aus dieser Region stammt? Und die meisten Gläubiger, Mitarbeiter oder Kunden aus der Kneipe, dem Tennisclub, dem Wanderverein oder aus dem beruflichen Umfeld kennt?
Schon Goethe hat gewusst, dass es die absolute Unabhängigkeit nicht gibt, dass jeder Mensch abhängig ist von der Zeit, seinen Lebensumständen, seiner sozialen Bindung, seinem kulturellen und sozialen Umfeld, seiner Prägung und der große Dichter und Philosoph hat deshalb zu Recht die Frage gestellt: unabhängig in Bezug worauf?
Was ist also der Bezug für die Beurteilung der insolvenzrechtlichen Unabhängigkeit? Diese Frage hat der BGH ganz aktuell dahingehend entschieden, dass Unabhängigkeit Neutralität verlangt. Der Verwalter darf weder Interessenvertreter des Schuldners noch einzelner Gläubiger sein. Und vor allem darf er sich in keiner Weise selbst begünstigen. Und dies alles muss nicht einmal mit letzter Gewissheit feststehen. Die Unabhängigkeit ist schon tangiert, wenn es Anhaltspunkte, eine ernste Besorgnis
Vermutlich erschrocken über die Tragweite seiner Feststellung hat der BGH dann aber zugleich erklärt, dass nicht jede Pflichtverletzung die Unabhängigkeit tangiert. So durfte ein Verwalter weiter machen, der in einem Rundschreiben an alle Gläubiger diesen die Möglichkeit offeriert hat, sich in der ersten Gläubigerversammlung durch namentlich benannte Anwälte unentgeltlich vertreten zu lassen, um – so die Unterstellung des Insolvenzgerichts – für eine bestimmte, vom Verwalter vorgeschlagene Zusammensetzung des Gläubigerausschusses zu votieren. Nicht erwähnt hatte der Verwalter allerdings, dass es auch andere Anwälte gab, die ihr Interesse an einer Mitgliedschaft im Gläubigerausschuss bekundet hatten. Dies sei pflichtwidrig, denn – so jetzt die Unterstellung des Bundesgerichtshofs – dahinter könne nur die Absicht vermutet werden, dass der Verwalter Einfluss auf die Bildung eines ihm genehmen Gläubigerausschusses nehmen wollte, weil nicht alle potentiellen Kandidaten benannt wurden. Damit wird dem Verwalter ein eigennütziges Motiv unterstellt. Das aber nicht automatisch zur Feststellung der fehlenden Unabhängigkeit führen muss. Denn die Verfolgung von Eigeninteressen bedeutet nicht zugleich, dass damit auch fremde Interessen, also die Interessen des Schuldners oder die einzelnen Gläubiger bevorzugt werden sollten. Nur dies würde die Unabhängigkeit tangieren. Und hätte der Verwalter in seinem Rundschreiben alle Kandidaten genannt, wäre der Brief auch nicht einmal pflichtwidrig gewesen.
Tatsächlich aber zeigt der Fall den schmalen Grat, auf dem das Kriterium der Unabhängigkeit wandelt, die Gefahr, die den freien Fall befördern könnte. Und mahnt zur Vorsicht, angesichts einer seit Odims Zeiten geübten Praxis, Gläubiger zur Sicherung der Beschlussfähigkeit aber auch zur Herbeiführung repräsentativer Beschlüsse Vollmachten vertretungsbereiter Anwälte im Wege von Verwalterrundschreiben anzudienen. Das ist in Ordnung, solange im Rundschreiben die Beschlussalternative zweifelsfrei benannt und dem angeschriebenen Gläubiger als Vollmachtgeber die unbeeinflusste Möglichkeit verbleibt, die Vollmachtserteilung mit einer eigenen Stimmentscheidung zu verbinden und dazu entsprechende Weisungen zu erteilen.
Wie auch immer. Der unabhängige Verwalter tut jedenfalls gut daran, seine Formulierungen im Rundschreiben so zu wählen, dass sie nicht als Festlegung oder als unzulässige Beeinflussung verstanden werden können. Das gilt vor allem auch im Planverfahren. Denn wird hier im Rundschreiben alternativlos die Annahme empfohlen, geht es nicht mehr um das Eigeninteresse des Verwalters, sondern um die Interessen des Schuldners, der möglicherweise seine Reorganisation betreibt oder die Interessen bestimmter Gläubiger, die hinter dem Vorhaben stehen. Selbstverständlich darf der Verwalter sagen, was er empfiehlt. Aber je nach Formulierung kann es zu einer Grenzüberschreitung kommen, mit der die Unabhängigkeit in Frage gestellt wird.
Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning & Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.