Geschäftsführung in der Krise: Entspannung oder weiter Ritt auf der Rasierklinge?
von Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Aachen
Ist Krisengeschäftsführung ein Roulettespiel?
Mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG) wurde auch die Geschäftsleiterhaftung neu geordnet und – wie allgemein geglaubt wird – entschärft. Die Rechtsfolgen verbotener Zahlungen, also Zahlungen, die ein Geschäftsleiter nach Eintritt der Insolvenzreife noch vornimmt, werden jetzt rechtsformübergreifend in § 15 b InsO geregelt. Geschäftsleiter stehen in der Krise ihres Unternehmens vor einem Dilemma. Den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten, weiter arbeiten, Sanierungschancen nutzen, oder auf Nummer sicher gehen und zur Vermeidung eigener Haftungsrisiken frühzeitig einen Insolvenzantrag stellen, was die Innenhaftung bei verfrühten Anträgen gegenüber Gesellschaft und Gesellschaftern auslösen kann. Mit der Neuregelung will der Gesetzgeber Leitlinien für die Geschäftsführung aufzeigen, die Haftungsrisiken begrenzen und jahrelange Konflikte zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht entschärfen. Aber schon im ersten Satz der Vorschrift wird klargestellt, dass es grundsätzlich bei dem Zahlungsverbot bleibt. Es verbietet den Mitgliedern des Vertretungsorgans nach dem Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung die Vornahme von Zahlungen aus dem Vermögen der Gesellschaft.
Die Einschränkung folgt im nächsten Satz. Denn Zahlungen im ordnungsgemäßen Geschäftsgang sind privilegiert. Sie unterliegen nicht dem Zahlungsverbot, wenn sie mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.
Dies ist der Fall, wenn ein noch aussichtsreicher Sanierungsversuch den Geschäftsleitern ausnahmsweise erlaubt, mit dem Antrag auf Einleitung eines Insolvenzverfahrens noch zuzuwarten, um die Chancen für eine Sanierung nicht zu früh zu verspielen. Das ist erfolgsabhängig. Gelingt der Sanierungsversuch war alles richtig. Kommt es doch noch zum Insolvenzverfahren, spricht alles dafür, dass der Antrag verspätet gestellt wurde. Jeder Sanierungsversuch bedarf daher einer umfassenden Dokumentation unter Darstellung der Ausgangslage verbunden mit einer belastbaren Prognose auf nachvollziehbarer und gesicherter Zahlenbasis.
Privilegiert sind auch Zahlungen, die bei schon eingetretener Insolvenzreife der Vorbereitung eines zulässigen und begründeten Insolvenzantrags dienen. Damit wird dem Umstand Rechnung getragen, dass jeder Geschäftsleiter im Krisenstadium zur Wahrung der Interessen der Gesellschaft und nach umfassender Beratung entscheiden muss, welches Werkzeug er einsetzt. Denn mit Einführung des StaRUG hält das Restrukturierungsrecht verschiedene Instrumente bereit, vom Restrukturierungsverfahren über die Sanierungsmoderation zum Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung oder dem Verfahren zur Vorbereitung einer Sanierung (Schutzschirmverfahren), bis hin zum klassischen Insolvenzverfahren mit oder ohne Insolvenzplan. Zahlungen, die im Vorbereitungs- und Entscheidungsstadium geleistet werden, um den Geschäftsbetrieb vorläufig aufrecht zu erhalten, gelten demnach als ordnungsgemäß. Unklar bleibt, wieviel Zeit einer Geschäftsführung im Einzelfall tatsächlich eingeräumt wird, um einen sachgerechten Antrag vorzubereiten und die zutreffende Wahl zwischen den unterschiedlichen Verfahrensarten zu treffen.
Kein Pardon gibt es für verspätete Zahlungen. Also für Zahlungen, die nach dem maßgeblichen Zeitpunkt geleistet wurden, zu dem ein erforderlicher Insolvenzantrag spätestens noch hätte gestellt werden können. Ist die Frist für einen rechtzeitigen Insolvenzantrag abgelaufen, fallen alle Arten von Zahlungen, auch Steuerzahlungen und Zahlungen von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung in das Zahlungsverbot.
Linderung wollte der Gesetzgeber geprüften Geschäftsführern mit der Regelung verschaffen, dass nunmehr nicht mehr automatisch jede verspätete Zahlung zur Erstattungspflicht führt. Bislang hatten es Insolvenzverwalter leicht. Sie mussten nur der Grundrechenarten mächtig sein und die Zahlungen nach Insolvenzreife addieren, um den Erstattungsanspruch zu begründen. Abgestellt wird jetzt auf den Schaden, der den Gläubigern tatsächlich durch die verspätete Zahlung entsteht. Schmälert die verspätete Zahlung kompensationslos das Vermögen der Gesellschaft, bleibt es wie bisher bei der Erstattungspflicht. Steht der Zahlung eine kompensatorische Leistung gegenüber und ist diese noch im Vermögen der Gesellschaft vorhanden, beschränkt sich die Erstattungspflicht auf den dann noch verbleibenden Schaden. Sensationell neu ist das nicht. Das wurde schon länger in der insolvenzrechtlichen und der gesellschaftsrechtlichen Literatur verlangt und deutete sich auch bereits in einigen Gerichtsentscheidungen an.
Beim genauen Hinsehen erweist sich die vermeintliche Haftungseinschränkung als Danaergeschenk. Denn die Neuregelung belässt es dabei, grundsätzlich eine Erstattungspflicht für verbotene Zahlungen ab Insolvenzreife zu postulieren. Denn hieraus leitet sich eine Vermutung für eine tatsächliche Masseschmälerung ab, die zu einem Gesamtschaden der am Verfahren beteiligten Gläubiger führt. Den Angriff kann der Geschäftsleiter nur parieren, wenn er jetzt den Gegenbeweis führt. Dazu muss er kompensatorische Leistungen darlegen und belegen, die einen Schaden ausschließen oder mindern. Welche Anforderungen an die Darlegungslast gestellt werden, ob Schätzungen oder Beweiserleichterungen zugelassen werden, wird sich zeigen. Es wird Jahre dauern, bis hierzu erste Grundsatzentscheidungen vorliegen. Das gilt auch für die Frage, welche Gegenleistungen als Kompensation anerkannt werden können. Gilt dies nur für Warenlieferungen oder die Anschaffung verwertbarer Verbrauchsgüter oder auch für erbrachte Dienstleistungen?
Weiterhin bleibt es dabei, dass die Haftung eines Geschäftsleiters nicht durch Weisungen der Gesellschafter oder des Aufsichtsrates beschränkt oder ausgeschlossen werden können. Und weiterhin bleibt ein Verzicht der Gesellschaft auf Erstattungs- oder Ersatzansprüche oder ein hierüber abgeschlossener Vergleich unwirksam. Es sei denn, die grundsätzliche Erstattungspflicht wird durch eine Regelung in einem später von den Gläubigern angenommenen Insolvenzplan neutralisiert. Bereinigt wurde der Konflikt zwischen Steuerrecht und Insolvenzrecht. Das Gesetz bringt die lange vermisste Klarstellung, indem eine Verletzung steuerrechtlicher und abgabenrechtlicher Zahlungspflichten ausscheidet, wenn Zahlungen aus dem Steuerschuldverhältnis oder dem Abgabenschuldverhältnis im Zeitraum zwischen Antragstellung und Entscheidung des Insolvenzgerichtes über den Insolvenzantrag nicht geleistet werden. Der hier jahrelang in der Praxis benutzte morsche Krückstock mit der Aufschrift „Erst zahlen, dann anfechten!“ hat ausgedient.
Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning& Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.