Haftet der Betriebserwerber auch für Leistungen aus betrieblicher Altersvorsorge?
von Cornelia Mönning, Aachen
Fragen der Haftung der Betriebserwerber für Ansprüche der Arbeitnehmer aus Arbeitsverhältnissen sind immer eine zentrale Frage bei beabsichtigter übertragender Sanierung und wirken sich häufig auf den Kaufpreis aus. So auch die Frage, welche Ansprüche der Erwerber aus einer bestehenden betrieblichen Altersversorgung zu erfüllen hat.
Betriebsrente: Lücke bei Betriebsübergang
Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG trat der Erwerber eines insolventen Betriebes nur eingeschränkt für Verbindlichkeiten des Veräußerers aus betrieblicher Altersversorgung ein, da die besonderen Verteilungsgrundsätze des Insolvenzrechts § 613 a BGB vorgehen. Das BAG hatte aber mit Beschluss vom 16.10.2018 – 3 AZR 139/17 – den EuGH um Klärung ersucht, ob eine solche Einschränkung mit Art. 3 Abs. 4 der Richtlinie 2001/23EG (Betriebsübergangs-RL) zu vereinbaren ist.
Der EuGH (Urt. v. 9.9.2020 – C-674/18, C-675/18, BeckRS 2020, 22110) hat auf das Vorabentscheidungsersuchen des BAG entschieden, dass diese Haftungsverteilung mit dem Unionsrecht vereinbar sei. Art. 3 IV RL 2001/23/EG, der nicht von Art. 5 RL 2001/23/EG verdrängt werde, sei nicht verletzt, sofern ein entsprechender Mindestschutz gewährt werde, Art. 8 RL 2008/94/EG. Dieser Mindestschutz bestehe nach Ansicht des EuGH, da ein Anspruch gegen den PSV gewährleistet bleibe (NZI 2021, 382).
In dem vom BAG vorgelegten Verfahren war der Kläger der Ansicht, dass im Rahmen der vom Betriebserwerber zu zahlenden Betriebsrente auch die Betriebszugehörigkeit vor der Insolvenz bei der Berechnung berücksichtigt werden muss.
Das BAG entschied hiernach mit mehreren Urteilen vom 26.01.2021 (u.a. 3 AZR 139/17 und 3 AZR 878/16), dass sich die Haftung des Erwerbers für Ansprüche der übergegangenen Arbeitnehmer auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach § 613a I BGB nur auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zurückgelegt worden sei, erstreckt. Der Erwerber haftet mithin nicht für solche Leistungen, die auf Zeiten bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhten.
Dies gilt auch dann, wenn der Pensions-Sicherungs-Verein (PSV) als gesetzlich bestimmter Träger der Insolvenzsicherung für diesen Teil der Betriebsrente nach dem BetrAVG nicht vollständig einzutreten hat. Der Arbeitnehmer kann eine hierdurch ggf. entstehende wertmäßige Differenz als aufschiebend bedingte Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anmelden.
Es gilt der sogenannte Festschreibeeffekt (§ 7 Abs. 2 S. 6 BetrAVG, jetzt § 7 Abs. 2 a Satz 4 BetrAVG nF „Veränderungen der Versorgungsregelung und der Bemessungsgrundlage, die nach dem Eintritt des Sicherungsfalles eintreten, sind nicht zu berücksichtigen.“). Das bedeutet, dass der PSV die zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach der Versorgungsordnung maßgebliche monatliche Bruttovergütung des Arbeitnehmers zu Grunde legt und spätere Gehaltserhöhungen während der Betriebszugehörigkeiten beim Betriebserwerber vom PSV nicht beachtet werden.
Der Festschreibeeffekt führt zu einer Haftungslücke: Sieht die Versorgungszusage vor, dass Bemessungsgrundlage für die Versorgungsleistung das Gehalt zu einem bestimmten Stichtag vor dem Eintritt des Versorgungsfalls (aber nach dem Insolvenzfall) ist, decken weder die PSV-Leistungen noch die beim Betriebserwerber bestehenden Anwartschaften die volle Leistung ab, die der Arbeitnehmer ohne Eintritt des Insolvenzfalls hätte erhalten können. Die Arbeitnehmer müssen in diesem Fall die Differenz zwischen dem Versorgungsanspruch, der sich aus der Versorgungsordnung ergibt, und der Summe aus den Leistungspflichten von Betriebserwerber und PSV zur Insolvenztabelle anmelden.
Das führt dazu, dass die Arbeitnehmer im Ergebnis eine niedrigere Betriebsrente erhalten als in der ursprünglichen Betriebsrentenzusage vorgesehen. Dies ergibt sich daraus, dass sie sich im Rahmen des Anwartschaftswerts gegenüber dem Betriebserwerber einerseits nicht auf die gesamte tatsächliche Betriebszugehörigkeit (einschließlich der Zeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens) berufen können und andererseits aber der PSV die nach dem Betriebsübergang erfolgte Gehaltserhöhung unberücksichtigt lässt.
Die Entscheidung des BAG aus Januar 2021 stellt aber klar, dass dieses Ergebnis mit Unionsrecht vereinbar ist.
Der Erwerber tritt zwar in alle Rechten und Pflichten der auf ihn übergehenden Arbeitsverhältnisse ein, er hat auch die zugunsten der Arbeitnehmer bestehende betrieblichen Altersversorgung fortzuführen, unabhängig davon, ob diese verfallbar oder unverfallbar sind. Im Versorgungsfall haftet der Erwerber aber nur für den Teil der betrieblichen Altersversorgung, der in der Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erdient wurde. Für die Berechnung des Umfangs der Haftung des Erwerbers ist im ersten Schritt bei Eintritt des Versorgungsfalls der Umfang der Betriebsrente nach den dann maßgebenden Bestimmungen der Versorgungsordnung zu ermitteln. Im zweiten Schritt ist dieser Umfang zeitanteilig aufzuteilen auf die im Rahmen des Arbeitsverhältnisses vor und nach Eröffnung der Insolvenzeröffnung erbrachte Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers, wobei immer auf die tatsächliche Betriebszugehörigkeit abzustellen ist (BAG, 3 AZR 139/17, Rn. 91 f.).
Die Befürchtung, dass das BAG die Haftung des Erwerbers auch auf die Versorgungsansprüche erweitert, die nicht über den PSV abgesichert sind, haben sich damit nicht bestätigt und die ohnehin immer schwieriger werdenden übertragenden Sanierungen werden damit nicht noch mehr erschwert. Arbeitnehmer insolventer Betriebe mit Ansprüchen aus betrieblicher Altersversorgung müssen aber trotz Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses beim Erwerber kurzfristig prüfen, ob eine wertmäßige Differenz als aufschiebend bedingte Forderung beim Insolvenzverwalter anzumelden ist, mit der Folge für den Insolvenzverwalter, dass der auf die aufschiebend bedingte Forderungen entfallende Anteil bei einer Abschlagsverteilung zurückbehalten werden muss (§ 191 Abs. 1 InsO) und auch bei der Schlussverteilung nicht auszuzahlen, sondern zu hinterlegen ist (§ 198 InsO).
Rechtsanwältin Cornelia Mönning verfügt über mehr als 25-jährige Expertise auf den Gebieten des Arbeitsrechts und des Insolvenzarbeitsrechts. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Vorbereitung und Begleitung von Betriebsänderungen, Verhandlungen mit den Tarifvertragsparteien und natürlich auch die Vertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im arbeitsgerichtlichen Instanzenzug.