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SRNL 2023, 4
Mönning 

Krankenhäuser in der Krise

von Prof. Dr. R.-D. Mönning, Claus Nürnberg, Aachen

Abbildung 2

Krankenhäuser – ein Fall für die Notaufnahme?

Deutschlands Gesundheitswesen gilt als eines der besten in der Welt. Zu diesem guten Ruf haben auch die Krankenhäuser beigetragen. Und wer sich während eines Auslandsaufenthaltes ambulant oder stationär behandeln lassen musste, kann diese Einschätzung oftmals aus eigener Erfahrung bestätigen. Also alles in Ordnung?

Nein, denn die ökonomische Situation der Krankenhäuser, aber auch vieler Pflegeeinrichtungen, Reha-Kliniken, ambulanter Pflegedienste ist besorgniserregend. 1.900 Akut-Krankenhäuser gibt es in Deutschland. Sie haben im Jahr 2022 zusammen 4 Mrd. Euro Verlust erwirtschaftet. 96 % aller Krankenhäuser befürchten, dass sie in den nächsten fünf Jahren eine krisenhafte Zuspitzung erleben. 40 % von ihnen weisen bereits heute Liquiditätsengpässe auf. Nur 30 % aller Krankenhäuser haben 2022 schwarze Zahlen geschrieben.

Die Schere zwischen Kosten und Erlösen hat sich seit 2012 kontinuierlich geöffnet. Das System der dualen Finanzierung (hier die Betriebskosten, dort die Investitionskosten) führt, da die Bundesländer ihren gesetzlichen Finanzierungspflichten nicht nachkommen, mangels ausreichender Deckung der Investitionskosten immer mehr dazu, dass ein Investitionsstau entstanden ist bzw. Investitionen über das Leistungsbudget gedeckt oder vermehrt fremdfinanziert werden müssen. Damit steigt der Grad der Verschuldung weiter an. Und die Liquidität wird durch den Zinsanstieg zusätzlich belastet. Die Folge ist das Aussetzen notwendiger Investitionen in Gebäude und Geräte, was wiederum das Festhalten an ineffizienten und kostenintensiven Prozessen bedeutet. So fehlt es gerade bei den kleineren Häusern an notwendigen Investitionsbudgets in die Digitalisierung.

Das bestehende Abrechnungssystem nach Fallpauschalen hat zu einer Aufteilung der Krankenhauslandschaft in Grundversorger und Spezialkliniken geführt. Für die Grundversorger, i. d. R. Krankenhäuser mit weniger als 150 Betten, was 40 % aller Krankenhäuser entspricht, hat das bestehende Abrechnungssystem aufgrund hoher Vorhaltekosten wirtschaftliche Nachteile. Steigende Kosten werden nicht oder erst zeitversetzt in der Höhe der Fallpauschalen berücksichtigt, bei erhöhten Fallzahlen werden Kostendegressionseffekte in Abzug gebracht, der umgekehrte Fall findet dagegen bei der Berechnung der Fallpauschalen keine Berücksichtigung.

In einigen Häusern ist die Personalsituation katastrophal. Personaldienstleister füllen die Lücke, aber zu Konditionen, die teilweise das Dreifache der Kosten für eigenes Personal betragen. Gestiegene Anforderungen an die Notfallversorgung, vorgegebene Mindestmengen an medizinischen Leistungen, erhöhte Hygieneanforderungen und zusätzliche Aufwendungen im Be¬SRNL 2023 S. 4 (5)reich des Brandschutzes sind weitere Kostentreiber. Und jetzt bleiben auch noch die Patienten weg. Seit 2019 zeigt sich eine deutliche Reduktion der Fallzahlen, die nur zum Teil als „Corona-Effekt“ erklärt werden kann. So wie das Leistungsgeschehen im stationären Bereich rückläufig ist, wächst gleichzeitig der ambulante Bereich. Die „Ambulantisierung“ ist medizinisch sinnvoll und politisch gewollt, verschärft aber die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser, von denen Deutschland ohnehin im internationalen Vergleich gesehen zu viele hat. Vor allem gibt es zu viele kleine Krankenhäuser. 50 % aller Einrichtungen haben weniger als 150 Betten und können schon deshalb nur einen Teil des medizinischen Leistungsgeschehens abdecken.

Lauterbachs Reform, von vielen schon als Revolution gekennzeichnet, wird zu weiteren signifikanten Änderungen führen, die vor allem die Krankenhäuser betreffen. So sollen bereits in diesem Jahr vollstationäre Behandlungen auch als sogenannte Tagesbehandlungen erbracht werden dürfen, die über Fallpauschalen abgerechnet werden, was ihre Attraktivität erhöht. Ziel ist es, durch die Verlagerung in den ambulanten Bereich, den Pflegeaufwand im Krankenhaus zu entlasten. Das aber wird vor allem die kleinen Häuser treffen, die heute schon keine ausreichende Auslastung mehr aufweisen und deren Fallzahlen ständig rückläufig sind. Ob sie es dann noch wenigstens in die letzte Kategorie der Krankenhäuser mit Grundversorgung schaffen, bleibt abzuwarten. Denn die Hierarchisierung des Krankenhaussystems sorgt für Transparenz und klare Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, um in eine der drei verbleibenden Kategorien einsortiert zu werden, da im zukünftigen System festgelegt wird, in welcher Kategorie welche Mindestvoraussetzungen gegeben sein müssen und welche Leistungen jeweils erbracht werden dürfen. Denn das ist die notwendige Voraussetzung für die geplante fallunabhängige Vergütung, mit der Vorhalteleistungen honoriert werden und eine Abkehr von der reinen fallbezogenen Vergütung (Fallpauschalen) verbunden ist.

Wann und in welcher Form es dem ambitionierten Gesundheitsminister gelingt, seine Reform gegen alle Widerstände durchzusetzen, ist fraglich. Die komplexen und zum Teil divergierenden Interessenskonstellationen bei den Stakeholdern wie Krankenhäuser (kommunale versus private Träger, Krankenkassen, Gewerkschaften, Bund, Länder u.a. erschweren zusätzlich die zeitnahe Vereinbarung auf eine gemeinsame Reformstrategie im Sinne der Krankenhäuser und der Patienten. Bis dahin müssen die Krankenhäuser sehen, wie sie zurechtkommen. Die Einführung eines Risikofrüherkennungssystem, um in time notwendige Sanierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen zu ergreifen, wird für die Krankenhäuser und deren Fortbestand entscheidend sein. Bei den Häusern, die heute schon mit Liquiditätsproblemen kämpfen, ist eine Besserung nicht in Sicht. Bei ihnen helfen minimalinvasive Eingriffe nicht mehr. Hier muss das große Besteck herhalten, das durchgreifende Sanierungsmaßnahmen ermöglicht, wenn man denn die Wackelkandidaten retten will. Was jedoch nicht in jedem Fall den Intentionen der bei den Bundesländern angesiedelten Aufsichtsbehörden entspricht, die für die Krankenhausplanung verantwortlich zeichnen und eher an einer Verringerung und damit Schließung von Häusern interessiert sind. Wenn Personalmaßnahmen unerlässlich sind, belastende Verträge beendet werden müssen, Kapazitätsanpassungen notwendig sind, um verbliebene Ressourcen optimal zu nutzen und die Effektivität zu erhöhen, kommt man an den Instrumenten des Insolvenz- und Sanierungsrechtes nicht vorbei. Hier steht ein Werkzeugkasten zur Verfügung, in dem vom Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG über die Sanierungsmoderation bis zum Schutzschirmverfahren oder auch dem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung passgenaue Instrumente liegen. Damit können alle denkbaren Optionen umgesetzt werden, egal ob es um eine geordnete Liquidation, eine übertragende Sanierung durch Verkauf, Zusammenlegung oder Verlagerung oder eine Reorganisation des insolventen Unternehmensträgers mit oder ohne Gesellschafterwechsel geht.

Krankenhäuser sind keine Schraubenfabriken. Es geht um Menschen. Wer Krankenhäuser sanieren will, muss daher besondere psychologische Aspekte berücksichtigen, um das Leistungsgeschehen stabil halten zu können. Niemand geht gerne ins Krankenhaus. Und schon gar nicht in ein notleidendes. Die Bewältigung von Unternehmenskrisen im Gesundheitswesen ist daher kein Fall für learning by doing. Denn auch die unterschiedlichen Zuständigkeiten bei der Planung und Finanzierung, Besonderheiten bei der Buchführung bis hin zu der grundgesetzlich abgesicherten Selbstverwaltung der von den Kirchen betriebenen Krankenhäuser, müssen Unternehmensberatern, SRNL 2023 S. 4 (6)Sachwaltern und Insolvenzverwaltern vertraut sein. Und am Ende gilt dies auch für den Umgang mit der Öffentlichkeit. Denn dort, wo Eingriffe in die Krankenhauslandschaft unvermeidlich sind, Häuser verlagert oder geschlossen werden müssen, regt sich Protest und Widerstand und gibt es den Versuch der Einflussnahme auf allen politischen Ebenen. Erfahrung und Kompetenz, Transparenz und Kommunikation ergänzt um das nötige Fingerspitzengefühl sind daher unverzichtbare Voraussetzungen für eine erfolgreiche Krisenbewältigung im Gesundheitswesen.

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Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning & Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.

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Diplom-Kaufmann Claus Nürnberg ist als Senior-Partner bei der WED+ Unternehmensberatung GmbH tätig und unterstützt seit vielen Jahren Unternehmen in der Krise bei der Entwicklung und Umsetzung von Sanierungs- und Restrukturierungskonzepten. Im Rahmen eines Interimsmanagements übernimmt er die operative Verantwortung, bis ein definiertes Ziel erreicht ist und ein dauerhaftes Management eingesetzt werden kann. In seiner langjährigen Tätigkeit hat er sich besonders auf Handels- und Dienstleistungsunternehmen spezialisiert.

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