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SRNL 2022, 8
Slobbe/Ringhausen 

Merger 4.0 – Nachhaltig fusionieren: Unternehmenskultur als Schlüssel zum Erfolg Auch im Distressed M&A

von Simon Slobbe und Prof. Ringhausen, Münster

Abbildung 10

Mehr als Kennzahlen: Merger 4.0

Warum scheitern viele M&A-Projekte? Die Antwort ist erschreckend simpel: Der Fokus bei der richtigen Partnerauswahl liegt auf den technischen, finanziellen und juristischen Aspekten. Nur äußerst selten wird sich frühzeitig mit der Frage der erforderlichen und geeigneten Maßnahmen zur Integration der neu hinzutretenden Unternehmenskultur beschäftigt.

Gerade bei Transaktionen im Rahmen von Sanierungen und Insolvenzverfahren bleibt wenig Zeit, um zu entscheiden, ob man das strauchelnde Unternehmen erwerben will. Die „harten“ Fakten liegen klar auf dem Tisch. Die Assets sind schnell bewertet, Verbindlichkeiten werden in der Insolvenz nicht übernommen und von Verträgen, die man nicht benötigt, kann sich der Insolvenzverwalter leicht trennen. Der Fokus liegt zwar oft bereits beim Thema Personal. Hier geht es meist nur darum, die Kostenstruktur anzupassen. Die Frage, ob die unterschiedlichen Unternehmenskulturen überhaupt zusammenpassen, wird erst post-merger gestellt. Dann ist es aber oft zu spät und die Fusion scheitert im Ergebnis. Entsprechende Studien bestätigen diese Zusammenhänge.

Es liegen längst erprobte Instrumente und professionelle Tools bereit, die es ermöglichen, kulturelle Entwicklungsstände beider Partner in einem frühzeitigem Verhandlungsstadium messen und bewerten. Natürlich kann sich im Rahmen einer solchen kulturanalytischen Prüfung auch herausstellen, dass eine Verschmelzung aus organisationskultureller Perspektive keinen Sinn ergeben könnte bzw. dass ein hohes Risiko des Scheiterns besteht. Dann hat man aber jedenfalls viel Zeit und Prüfungskosten gespart.

Ein wesentlicher methodischer Meilenstein in der ganzheitlichen oder systemischen Weiterentwicklung von M&A Tools ist in dem Kulturentwicklungsmodell „Spiral Dynamics“ von Chris Cowan und Don Beck zu sehen. Das Modell geht davon aus, SRNL 2022 S. 8 (9)dass Menschen im Laufe ihres individuellen Lebens verschiedene Bewusstseinsstufen durchlaufen, also unterschiedliche Formen des Fühlens und Denkens (Weltanschauungen). Dies gilt analog auch für ganze Organisationen, die je nach Kulturentwicklungsstufe erweiterte Ziele verfolgen. Diese Stufen werden bei Spiral Dynamics, wie bei einem thermografischen Abbild einer Spirale, in verschiedenen Farben dargestellt, die ineinander übergehen. Ein Überspringen einer Kulturstufe ist nach dem Modell nur schwer möglich.

Abbildung 11

Vereinfachte Darstellung der spiralförmig angeordneten Kulturentwicklungsstufen nach GRAVES

Was hier im ersten Moment womöglich sehr abstrakt oder gar esoterisch klingt, ist es gar nicht. Im Gegenteil: Die Erkenntnis der eigenen Unternehmenskultur bzw. das Wissen darüber, wie die nächste Stufe erreicht werden kann, verschafft am Ende sehr „handfeste“ Wettbewerbsvorteile durch eine verbesserte Mitarbeiter- und Kundenorientierung. Das belegen Kunden- und Mitarbeiterbefragungen ohne jeden Zweifel. Zwei kurze Beispiele dazu:

Zwei mögliche Fusionspartner stellen mithilfe externer M&A Experten fest, dass sie auf der „orangen, d.h. der Leistungs- und Wettbewerbsstufe der Kulturentwicklung“ stehen, während sich das zweite Unternehmen höherentwickelt, bereits auf der „gelben Integrationsstufe“ befindet (s. obige Abbildung).

Das wirkt sich in Bezug auf die Unternehmensrealität im Tagesgeschäft für jedermann beobachtbar sehr konkret aus. Zu nennen sind etwa Standardprozesse und Gepflogenheiten beispielsweise im Sales Bereich gegenüber dem externen Kunden bzw. in internen Perspektiven ggf. dem Mitarbeiter: So wird etwa das „orange Unternehmen“ möglicherweise starke monetäre Leistungsanreize für seine MitarbeiterInnen über zu vereinbarende Jahresziele verfolgen und den Kundenservice kleinteilig stark segmentieren, um immer wieder im Zuge von Einzelverhandlungen bessere Preise und Margen erzielen zu können. Hingegen könnte das „gelbe Unternehmen“ sich dadurch signifikant unterscheiden, dass Produkte und Services komplett gemeinsam mit dem Kunden entwickelt werden, Lösungspakete mit langfristigen Serviceverträgen verkauft werden und – nach innen betrachtet – „Diversität“ eine leitende Handlungsmaxime der Personalabteilung im Bereich Recruiting / Diversity Management repräsentiert. Das zweite Unternehmen setzt weniger auf kurzfristige Erträge als auf strategische Kundenbindung. Sowie auf eine heterogene, multikulturelle Belegschaft mit Diskursräumen anstatt einer Monokultur und der Dominanz vordefinierter Standardprozeduren.

Die Unterschiedlichkeit der Kulturen könnte eine schnelle und reibungslose Integration verhindern, wenn nicht unmöglich machen. Im Beispielfall muss – überspitzt formuliert – geprüft werden, ob man die Mitarbeiter des orangenen Unternehmens, das auf schnellen und kurzfristigen Erfolg setzt, und die Mitarbeiter des gelben Unternehmens, das langfristige und nachhaltige Ertragssteigerungen verfolgt, integrieren kann.

Eine Kulturintegration dieser beiden Partner ist zwar nicht unmöglich, aber schwierig. Es setzt ein starkes und differenziertes Bewusstsein möglichst aller Führungskräfte und MitarbeiterInnen voraus, um diese kulturelle Kluft von beiden Seiten durch aktives Zutun zu schließen. Eine frühzeitige Statusfeststellung kann im Rahmen eines distressed M&A schnell Klarheit bringen, wie groß die kulturellen Unterschiede sind und ob es sich lohnt, diese zu integrieren.

Die Sinnhaftigkeit dieser Rangfolge wird dann auch greifbarer, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Unternehmensziele und Strategien je nach Marktdynamik jährlich variieren können. Ohne Störgefühle bei Belegschaft und Führungsteam auszulösen. Unternehmenskulturen bei KMU hingegen benötigen oftmals 5-10 Jahre bis zu ihrer vollen Entfaltung im Sinne einer eigenen, unverwechselbaren Identität.

„Spiral Dynamics“ als Entwicklungsmethode erfährt eine zunehmende Verbreitung in den Handlungsfeldern von Organisationsentwicklung und M&A-Geschäften. Firmen, die am Anfang vielleicht nur an einer kulturellen Bestandsaufnahme interessiert waren, benutzen dieses Modell fortan als festes Element für alle SRNL 2022 S. 8 (10)Fragen der strategischen Unternehmensentwicklung. Eine sehr erfreuliche Entwicklung in den Augen der Autoren, die helfen könnte, die Zahl gescheiterter Fusionen in den nächsten Jahren deutlich zu reduzieren. Es sollte im distressed M&A zum festen Prüfungspunkt werden.

Die neue Priorisierung der Kulturintegration im Rahmen eines M&A-Prozesses kann zu einer Weiterentwicklung der Entscheidungsgrundlagen bei Unternehmenskäufen führen, die wir mit Merger 4.0 beschreiben: Nachhaltig fusionieren durch Berücksichtigung der Unternehmenskultur als Schlüssel zum Erfolg.

Abbildung 12

Nach dem erfolgreichen Abschluss des dualen Studiengang zum Betriebswirt (VWA) bei der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie zu Münster und einem mittelständischem Bekleidungsunternehmen, studierte Simon Slobbe Rechtswissenschaften an der Westfälische Wilhelms-Universität Münster und absolvierte sein Referendariat beim Landgericht Münster, dass er mit einem Prädikatsexamen abschloss. Von 2005 bis 2009 war Herr Slobbe bei einer Wirtschaftsrechtskanzlei in Münster und Dortmund als Rechtsanwalt tätig. Seit 2009 ist er mit MÖNIG Wirtschaftskanzlei assoziiert und hat die Standorte Dortmund, Düsseldorf und Bochum aufgebaut. Seit dem Jahr 2016 ist er dort Partner.

Abbildung 13

Prof. Ringshausen geht der Frage nach den Erfolgsbedingungen gelingender Fusionen schon über 15 Jahre akribisch nach. Als Professor an internationalen Business Schools im regelmäßigen Dialog mit interessierten Managern und Managerinnen, aber vor allem in der eigenen Beratungspraxis als HR-Interim-Manager; er hat in dieser Rolle mittlerweile selbst mehr als 10 größere, internationale Fusionen in verschiedenen Ländern mit seinen Kunden vorbereitet und als M&A Spezialist erfolgreich praktisch umgesetzt.

 
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