Nachhaltigkeit
Ein inflationär gebrauchter Begriff findet Einlass in das Sanierungsgeschehen: Nachhaltigkeit! Der ursprünglich für die Forstwirtschaft entwickelt Begriff beschreibt, in welchem Umfang natürliche Ressourcen zur Bewahrung ihrer Regenerationsfähigkeit genutzt werden dürfen. Also nur so viel Holz schlagen, wie permanent nachwächst. Aber was hat das mit Restrukturierung zu tun?
Aufschluss gibt eine Buchstabenkombination: ESG. Das ist denglisch, transformiert man es in die deutsche Sprache bedeutet es: Umweltbewusstsein (Environmental), soziale Standards (Social), Unternehmensführung (Governance). Mit Hilfe von unternehmensinternen Nachhaltigkeitsmanagementsystemen soll die ESG-Konformität erreicht und gesichert werden. Es liegt auf der Hand, dass die Einführung ökologischer und sozialer Standards Zeit und auch Geld kostet – Ressourcen, die gerade bei Krisenunternehmen nur noch begrenzt verfügbar sind. Denn Krisenbewältigung setzt eine schnelle Umsetzung notwendiger Sanierungsmaßnahmen voraus, während die Verwirklichung der drei Leitstrategien – Suffizienz, Effizienz und Konsistenz – die Nachhaltigkeit prägen, oft nur auf lange Sicht erreichbar ist und möglicherweise auch gegenüber den kurzfristig notwendigen Sanierungsschritten als kontraproduktiv oder nur nachrangig eingestuft werden.
Kahlschläge vermeiden – auch bei der Sanierung
Krisenunternehmen schwimmen bekanntlich nicht im Geld. Also wird man nicht als erstes darüber nachdenken, einen vielleicht veralteten Fuhrpark auf Elektro- oder Hybridfahrzeuge umzustellen. Und letztlich liegen die Meinungen, was gute Unternehmenskultur ausmacht, weit auseinander. Die einen schwören auf die Prinzipien des Lean-Managements, die anderen lehnen es ebenso vehement ab. Nun gibt es erste Stimmen, die in Restrukturierungsfällen Finanzierungsleistungen nur dann gewähren wollen, wenn die betroffenen Unternehmen die vorgenannten Standards erfüllen. Angeblich würden sich vermehrt Finanziers (Banken, Private Equity, Debt Fonds) zunehmend scheuen, Engagements in Unternehmen zu tätigen oder aufrecht zu erhalten, für die Nachhaltigkeit kein Thema ist und die in Bezug auf Umwelt und Sozialstandards nicht mithalten können. Ob das zutrifft, lässt sich nicht verifizieren. Zutreffend ist aber, dass die Diskussion darüber bereits begonnen hat, wie der Beitrag „Nachhaltiges Wirtschaften im Insolvenz- und Sanierungsfall“ in Heft 31 des Existenzmagazins belegt.
Im gleichen Atemzug wird sogar gefragt, ob Krisenunternehmen aus bestimmten Branchen überhaupt restrukturiert werden sollten. Das könnte solche Unternehmen betreffen, die ihre Umsätze mit Kohle, Tabak, Waffen oder Massentierhaltung generieren, vielleicht auch Energieerzeuger, die sich fossiler Einsatzstoffe bedienen. Oder Betriebe, deren Herstellungsprozesse, Service- oder Reparaturleistungen zum Beispiel im Automotivebereich auf traditionelle Antriebsarten fokussiert sind. Schon schwirrt der Begriff der Restrukturierungswürdigkeit durch den Raum. Als wäre die Würdigkeit gerade im Insolvenzrecht nicht ein negativ vorbelasteter Begriff: hatten doch die Nazis bei der 1934 eingeführten Vergleichsordnung die Durchführung eines Vergleichsverfahrens an die Vergleichswürdigkeit gebunden, die man jüdischen Kaufleuten und Unternehmen von vornherein absprach. Dem Eifer, Gutes zu tun, sind bekanntlich keine Grenzen gesetzt. Aber klar ist, dass die Insolvenzordnung eine Unterscheidung der Schuldner in fortführungswürdige und fortführungsunwürdige Betriebe nicht kennt. Und deshalb sollte man auch mit Kriterien, die nicht eindeutig definiert sind und bei denen jeder verstehen kann, was er möchte, als Leitschnur für unternehmerisches Handeln vorsichtig umgehen. Die Zeiten und damit verbunden auch die Einschätzungen ändern sich. Waffenproduzenten, die gestern noch schief angesehen wurden, sind angesichts der gegenwärtigen Bedrohungslage plötzlich wieder salonfähig. Und wenn händeringend Transportkapazitäten benötigt werden, fragt niemand danach, ob der Lkw über einen herkömmlichen Antrieb verfügt oder elektrisch unterwegs ist. In Krisenzeiten werden die Prioritäten anders gesetzt als in Schönwetterperioden.