Pflicht zur Arbeitszeiterfassung – für alles und jede(n)?!
von Sebastian Voitzsch, Münster
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ist in den letzten Jahren häufiger für eine Überraschung gut, als so manchem lieb sein dürfte. Zu einer dieser unliebsamen Überraschungen gehörte im letzten September die Entscheidung zur Arbeitszeiterfassung.
Dabei sorgte wohl weniger die Tatsache für Überraschung, dass das BAG eine solche grundsätzlich für notwendig erachtet, sondern vielmehr, dass das Gericht zum einen davon ausging, dass diese Verpflichtung auch gesetzlich bereits angeordnet ist; zum anderen, dass diese Verpflichtung aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) abgeleitet wurde.
An das Arbeitszeitgesetz hat man sich inzwischen gewöhnt – und insbesondere auch daran, dass es zahlreiche Ausnahmen von seiner Geltung gibt. So sind Chefärzte und leitende Angestellte ebenso ausgenommen wie Leiter von öffentlichen Dienststellen und solche Mitarbeiter, die zu selbständigen Personalentscheidungen befugt sind. Auch im liturgischen Bereich der Kirchen und Religionsgemeinschaften gibt es Ausnahmen.
Vergleicht man diesen Ausnahmekatalog mit demjenigen des Arbeitsschutzgesetzes, stellt man fest, dass es dort entsprechende Ausnahmen nicht gibt. Vielmehr geht das Arbeitsschutzgesetz – nicht ganz überraschend – davon aus, dass auch Geschäftsführer, leitende Angestellte, Chefärzte und liturgische Mitarbeiter der Kirchen und Religionsgemeinschaften schutzbedürftig sind. Und genau diesem Schutz dient – so das BAG – die sich aus diesem Gesetz ergebende Verpflichtung, Arbeitszeiten aufzuzeichnen.
In seiner Entscheidung wies das BAG auch darauf hin, dass die EU-Arbeitszeitrichtlinie, welche es umzusetzen gilt, durchaus auch Ausnahmen zulasse. Es sei daher Aufgabe des Gesetzgebers, den Rahmen zu setzen und zu entscheiden, wie viel Erfassung in welchen Bereichen notwendig ist.
Inzwischen liegt der Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales vor. Angesichts der Tatsache, dass das BAG die Verpflichtung aus dem Arbeitsschutzgesetz zieht, welches einen deutlich größeren Anwendungsbereich als das Arbeitszeitgesetz hat, verwundert es, dass der Referentenentwurf dennoch ausschließlich letzteres ändern möchte, um die Vorgaben zur Arbeitszeiterfassung umzusetzen – zumal eine Änderung von § 18 ArbZG, der den Ausnahmekatalog für dessen Anwendungsbereich enthält, nicht geplant ist. Nach dem ArbSchG gilt – so das BAG – damit auch gegenüber dem Chefarzt die Verpflichtung, die Arbeitszeit zu erfassen. Die Regularien des ArbZG können dafür aber nicht herangezogen werden, weil es eben für Chefärzte nicht gilt.
Der Referentenentwurf gibt sich ganz modern, indem er eine elektronische Erfassung der Arbeitszeiten fordert. Dies sei, so liest man in der Begründung, eine „zeitgemäße Form“, zudem ermögliche dies auch die Erfassung mit Apps auf Mobilgeräten etc. Erfasst werden müssen Beginn, Ende und Dauer der Arbeitszeit, es geht zum einen darum, die Länge der täglichen Arbeitszeit zu erfassen, aber auch die Einhaltung der Mindestruhezeiten soll überprüft werden können.
An dieser Stelle ist von modernen Arbeitszeitkonzepten indes nichts zu spüren. Die Vorgaben zu den Arbeits- und Ruhezeiten des Arbeitszeitgesetzes bleiben unverändert und werden nicht angepasst, sodass es – unabhängig vom Tätigkeitsbereich – bei den starren Regelungen und Ruhezeiten bleibt. Wirklich flexible Arbeitszeitmodelle, die inzwischen an vielen Stellen alltäglich sind und insbesondere auch von Mitarbeitern genutzt und eingefordert werden, kennt der Entwurf nicht.
Besonders deutlich wird dies auch beim Versuch, die Vertrauensarbeitszeit zu regeln (§ 16 Abs. IV AbZG-E). Der eine oder andere mag schon Schwierigkeiten haben, die Begriffe „Vertrauensarbeitszeit“ und „Arbeitszeiterfassung“ zusammen zu bringen. Lebt doch „Vertrauen“ gerade davon, dass es eben keine Erfassung und Kontrolle gibt. Der ArbZG-Entwurf meint dazu nur, die Erfassung der Arbeitszeit könne auch durch den Arbeitnehmer durchgeführt werden – wenn denn sichergestellt sei, dass Verstöße gegen die gesetzlichen Bestimmungen zur Lage und Dauer der Arbeitszeit dem Arbeitgeber bekannt werden. Mit anderen Worten: auch hier wird der Arbeitgeber verpflichtet, die Aufzeichnungen zu kontrollieren. Mit Vertrauensarbeitszeit hat das aber dann nichts mehr zu tun.
Nachdem das BAG mit einem aufsehenerregenden Urteil die Arbeitgeber verpflichtet hat, mehr oder minder flächendeckend die Arbeitszeit zu erfassen, hat der Gesetzgeber im ersten Entwurf die Chance vertan, den verunsicherten Arbeitgebern konkrete Vorgaben an die Hand zu geben, um einerseits die gesetzlichen Vorgaben zum Schutz der Arbeitnehmer:innen zu erfüllen, andererseits auf die Wünsche der Mitarbeiter:innen nach flexiblen Arbeitszeitmodellen eingehen zu können.
Sebastian Voitzsch ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Nach zweijähriger Tätigkeit in einer ehemaligen OLG-Kanzlei, die seine vorhandene Vorliebe für alle Bereiche der Prozessführung weiter verstärkt hat, gehört er seit 2009 zum Team der MÖNIG Wirtschaftskanzlei. Hier vertritt er die Bereiche (Insolvenz-)Arbeits- und Prozessrecht. Da der beste Prozess, der ist, der nicht geführt werden muss, berät und vertritt er Mandanten auch ohne bzw. zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen.