R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
SRNL 2024, 9
Mönning 

Rotes Licht für gelbe Scheine

von Cornelia Mönning, Aachen

Abbildung 8

Gesund trotz Bescheinigung?

Immer wieder ärgern sich Arbeitgeber, dass Arbeitnehmer sich unmittelbar nach Erhalt einer Kündigung oder Ausspruch einer Eigenkündigung „krankmelden“ und eine oder mehrere aufeinanderfolgende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (AUB) vorlegen und somit bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ihrer Hauptpflicht aus dem Arbeitsverhältnis, nämlich der Erbringung von Arbeitsleistung, nicht mehr nachkommen, aber die Entgeltfortzahlung gemäß § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EntgFG) erwarten. Gleiches ist auch festzustellen, wenn es im Zuge von Insolvenz- und Restrukturierungsverfahren zum Personalabbau kommt.

Schließlich finden sich Arbeitgeber jedoch mit Krankmeldungen ab, da ihnen der hohe Beweiswert einer AUB in Form des „gelben Scheines“ bzw. des seit 2023 bei der Krankenkasse abrufbaren elektronischen Attestes bekannt ist.

Die Gerichte messen auf Grund der Reputation der Ärzte den von ihnen erstellten Attesten tatsächlich einen hohen Beweiswert zu, der jedoch erschüttert werden kann, wie die aktuelle Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) und der Landesarbeitsgerichte (LAG) zeigt.

Das BAG hat insbesondere mit Urteil vom 8. September 2021 (Aktenzeichen 5 AZR 149/21) entschieden, dass der Beweiswert einer AUB insbesondere dann erschüttert werden kann, wenn die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit genau die Dauer der Kündigungsfrist umfasst. In dem entschiedenen Fall hatte eine Arbeitnehmerin ihr Arbeitsverhältnis selbst gekündigt und wurde am Tag der Kündigung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist arbeitsunfähig krankgeschrieben. Das BAG sah zwischen der Dauer Kündigungsfrist und der „passgenau“ bescheinigten Arbeitsunfähigkeit einen engen zeitlichen Zusammenhang, aufgrund dessen ersthafte Zweifel an dem Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit gegeben seien.

In einem weiteren Urteil vom 13. Dezember 2023 (Aktenzeichen 5 AZR 137/23) hat das BAG festgestellt, dass es für die Beurteilung des Beweiswerts einer AUB, die nach Ausspruch einer Kündigung ausgestellt worden ist, nicht entscheidend ist, ob die Kündigung vom Arbeitgeber erklärt wurde oder es sich um eine Eigenkündigung des Arbeitnehmers handelt. Der Beweiswert einer AUB kann auch bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber erschüttert sein, wenn der Arbeitnehmer eine nach Zugang der Kündigung ausgestellte Bescheinigung vorlegt und nach den Gesamtumständen des Einzelfalls Indizien bestehen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.

Der Beweiswert einer AUB kann unter Umständen entfallen, wenn Kündigung und Krankmeldung zeitlich unmittelbar zusammenfallen und der Arbeitnehmer unmittelbar nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine neue Stelle gesund antritt.

Aber nicht nur bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen Krankheit und Kündigungsfrist, sondern auch in folgenden Fällen sollte vom Arbeitgeber genauer hingesehen werden:

  • Rückdatiertes Attest,

  • langer Zeitraum der attestierten Arbeitsunfähigkeit (mehr als zwei Wochen, bei besonderer Erkrankung mehr als 4 Wochen),

    SRNL 2024 S. 9 (10)
  • Attest ohne vorangegangene ärztliche Untersuchung,

  • mehrere aufeinanderfolgende Erstbescheinigungen von verschiedenen Ärzten,

  • besondere Verhaltensweisen des Arbeitnehmers (z.B. Entfernen der persönlichen Gegenstände aus dem Betrieb unmittelbar vor Ausspruch der Eigenkündigung oder ca. sechs Wochen vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist, mehrere aufeinanderfolgende Erstbescheinigungen von unterschiedlichen Ärzten bis zum Ablauf der Kündigungsfrist)

Fazit:

Die aktuelle Rechtsprechung unterstreicht weiterhin den hohen Beweiswert einer ordnungsgemäß ausgestellten AUB. Allerdings können Arbeitgeber diesen Beweiswert durch die Darlegung konkreter (beispielsweise der vorgenannten) Umstände erschüttern, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründen.

Bestehen Zweifel an der Richtigkeit der AUB eines Arbeitnehmers, sollte der Arbeitgeber aber zunächst prüfen, ob die Zweifel auf objektiven und eindeutigen Tatsachen beruhen, die feststellbar und auch beweisbar sind. Ein bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber reicht nämlich nicht aus, um den Beweiswert zu erschüttern. Der Arbeitgeber muss konkrete Anhaltspunkte vorbringen, die gegen die Annahme einer Arbeitsunfähigkeit sprechen.

Wenn der Arbeitgeber den Beweiswert der AUB erfolgreich erschüttert, muss der Arbeitnehmer nachweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war, anderenfalls entfällt die Entgeltsfortzahlungspflicht des Arbeitgebers.

Abbildung 9

Rechtsanwältin Cornelia Mönning verfügt über mehr als 25-jährige Expertise auf den Gebieten des Arbeitsrechts und des Insolvenzarbeitsrechts. Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Vorbereitung und Begleitung von Betriebsänderungen, Verhandlungen mit den Tarifvertragsparteien und natürlich auch die Vertretung von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im arbeitsgerichtlichen Instanzenzug.

 
stats