Unverzichtbar aber nutzlos?
von Prof. Dr. Rolf-Dieter Mönning, Aachen
Die Auswahl des Verwalters als Problem der Qualitätssicherung!
Seit fast 100 Jahren wird in der gesamten insolvenzrechtlichen Literatur der Leipziger Rechtsprofessor Ernst Jäger zitiert, der wusste: „Die Auslese des Verwalters ist die Schicksalsfrage des Konkurses!“ Denn von seiner Arbeit hängt der Erfolg des Insolvenzverfahrens für Gläubiger und Schuldner entscheidend ab. Und so bestimmt die Insolvenzordnung in § 56, dass nur geeignete, insbesondere geschäftskundige, unabhängige natürliche Personen als Insolvenzverwalter (und auch Sachwalter) bestellt werden dürfen. Die Eignung ist dabei untrennbar mit der Qualität der Insolvenzverwaltung verbunden. In der Summe und in ihrer Komplexität verlangt die Insolvenzabwicklung den Nachweis überdurchschnittlicher rechtlicher Kenntnisse, betriebswirtschaftlicher Zusammenhänge, Einfühlungsvermögen, Verhandlungsgeschick, Erfahrung und Standvermögen. Auch wenn der Verwalter nicht in jedem Abwicklungsbereich über Spezialwissen verfügt, müssen seine fachlichen Kenntnisse jedenfalls ausreichen, die Leistungen seiner eigenen und der externen Mitarbeiter einschätzen zu können, um die erforderliche Qualitätssicherung zu gewährleisten.
Soweit die Theorie. Denn unklar ist, an welchen Parametern Qualität festgemacht wird. Oder anders gefragt: ist die Qualität von Insolvenzabwicklung messbar? Einige Insolvenzgerichte haben den Versuch unternommen, eine Ergebnismessung anhand von bestimmten Kennzahlen und Informationen aus vergangenen Insolvenzverfahren vorzunehmen. Dass dies ein Irrweg ist und Ergebnisse aus früheren Verfahren nichts über den aktuellen Leistungsgrad einer Organisation aussagen, liegt auf der Hand. Würde man die fußballerische Qualität und das Leistungsvermögen von Alemannia Aachen anhand früherer Glanzzeiten beurteilen, käme man kaum zu einer realistischen Einschätzung des heutigen Qualitätsstandards, der mit viel Glück gerade noch ausreichen wird, in der laufenden Saison den Abstieg aus der Regionalliga zu vermeiden.
Die organisierten Insolvenzverwalter haben sich daher für eine indirekte Qualitätsmessung entschieden, indem alle in einem Insolvenzverfahren relevanten Abläufe und Entscheidungen mit einem vorgegebenen Anforderungsprofil verbunden werden, dessen Erfüllung bietet die Gewähr dafür, dass die Insolvenzverwalter, die sich diesem Qualitätsmanagement unterwerfen, Insolvenzverfahren nach den Grundsätzen der „best practice“ abwickeln. Die Einhaltung der Standards wird dabei in turnusmäßigen Abständen einer externen Überprüfung durch eine anerkannte Zertifizierungsstelle unterzogen. So wird gewährleistet, dass ein einmal erreichtes Niveau über viele Jahre konstant erhalten bleibt. Unterhält eine Verwalterkanzlei Büros an mehreren Standorten, entscheidet ein nicht beeinflussbares Losverfahren, welche Standorte in dem anstehenden mehrtägigen Audit geprüft werden.
Die im VID – Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands e.V. – zusammengeschlossenen Insolvenzverwalter haben zuletzt 2020 die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenz und Eigenverwaltung (GOI) ergänzt und siebzig Anforderungen zusammen mit einer Prüfungsordnung erlassen. Die Beachtung der GOI gilt als nachgewiesen, wenn im Durchschnitt aller überprüften Verfahren mindestens 80 % der Grundsätze erfüllt sind. Im Falle der erfolgreichen Zertifizierung verleiht der VID das Gütesiegel „VID-Cert“.
Noch deutlich anspruchsvoller ist die Zertifizierung nach InsOExcellence. Dieses Zertifikat verleiht der Gravenbrucher Kreis, der zur Zeit zwanzig aktive Mitglieder umfassende Zusammenschluss überregional und vorrangig auf Sanierung und Restrukturierung ausgerichteter Insolvenzverwalter, sofern eine unabhängige externe Überprüfung belegt, dass die dem Zertifikat zu Grunde liegenden Qualitätskriterien erfüllt sind. Der Gravenbrucher Kreis bietet daher den Gerichten, den Gläubigern und den beteiligten Unternehmen eine rechtssichernde, umfassende und transparente Grundlage für die Qualitätsmessung, da sich die Mitglieder den Anforderungen einer Zertifizierung, die
Sowohl die Grundsätze ordnungsgemäßer Insolvenzverwaltung (GOI) des VID als auch die Kriterien zur Zertifizierung nach InsOExcellence können von allen Beteiligten auf den Webseiten der jeweiligen Organisationen eingesehen werden.
In einem Rechtsgutachten hat der Kölner Hochschullehrer Prof. Dr. Christoph Thole konstatiert, dass die erfolgreiche Zertifizierung nach GOI oder InsOExcellence das Eignungsmerkmal des § 56 InsO konkretisiert und zum Teil sogar auch deutlich darüber hinausgeht und so eine Aussage über die Qualität des Insolvenzverwalters und seine Arbeit bezogen auf seine Leistungsfähigkeit und zum Verfahrensmanagement bietet.
Soweit so schön. Aber die Sache hat einen Haken: Die Insolvenzgerichte sind bei der Auswahlentscheidung nicht verpflichtet, zertifizierte Qualitätsstandards in ihr Auswahlermessen einzubeziehen. So müssen Insolvenzverwalter immer wieder feststellen, dass die Insolvenzgerichte Auswahlentscheidungen ohne Beachtung nachgewiesener Qualitätsstandards treffen, vielleicht von den Zertifikaten schon einmal gehört haben, aber nicht wissen, was sich dahinter verbirgt.
Frust macht sich deshalb bei den Verwaltern breit. Denn die Zertifizierung kostet Geld und Zeit. Mitarbeiter müssen geschult und Zertifizierungsbeauftragte benannt werden. Die Organisation der in dem jeweiligen Audit geprüften Kanzlei wird auf Tage hinaus lahmgelegt. Hinzu kommen die Gebühren der DQS GmbH, die als unabhängige Zertifizierungsstelle für InsOExcellence fungiert. Schätzungen gehen davon aus, dass die Kosten für die Implementierung eines Systems bis zum Erstaudit sowie die Gebühren für die im Abstand von 3 Jahren durchzuführenden Bestätigungsprüfungen 100.000,00 € übersteigen, wobei die Kosten für Qualitätsmanagementbeauftragte, Datenschutzbeauftragte und Compliance darin nicht einhalten sind.
Bei allem Unverständnis über die mangelnde Beachtung der Zertifizierungen durch die Insolvenzgerichte bleiben die Verwalterorganisationen dabei, dass sich ihre Mitglieder einem Regelwerk unterwerfen, das die Qualität von Abwicklung sichern soll. Denn in vielen Fällen ist die Auswahlentscheidung nicht mehr oder nur noch eingeschränkt von der Beurteilung des jeweiligen Insolvenzrichters abhängig, da dieser durch einen einstimmigen Beschluss des Gläubigerausschusses oder die Auswahlentscheidung des Schuldners in Bezug auf den „mitgebrachten“ Sachwalter im Schutzschirmverfahren gebunden wird. Und hier zeigt sich, dass vor allem Mitglieder eines Gläubigerausschusses, die regelmäßig in dieser Funktion tätig und bei Banken, Versicherungen, der Arbeitsverwaltung, den Sozialkassen oder auch dem Pensionssicherungsverein beschäftigt sind, ebenso wie Unternehmens- und Sanierungsberater, die Insolvenz- und vor allem Restrukturierungsverfahren vorbereiten und begleiten, ihre Entscheidung in Bezug auf die Auswahl des Insolvenzverwalters, des Sachwalters oder jetzt auch eines Restrukturierungsbeauftragten von zertifizierten Qualitätsstandards abhängig machen. In Bezug auf die Gerichte hingegen wird man einen langen Atem benötigen, bis sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, dass die Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung einer nachgewiesenen Qualifizierung durch Erlangung der einschlägigen Zertifikate erleichtert wird. Denn die immer strenger werdenden Anforderungen, welche die einzelnen Insolvenzverwalter und ihre Kanzleien im Zuge der Zertifizierungs-Audits zu erfüllen haben, gewährleisten die notwendige Qualität der Abwicklung durch entsprechend qualifizierte Verwalter.
Professor Dr. Rolf-Dieter Mönning (Mönning Feser Partner) gründete 1980 die Kanzlei Mönning& Georg und zählt zu den führenden Verwaltern und Restrukturierungsberatern (erneut: „Beste Anwälte im Bereich Restrukturierung und Insolvenz“ Handelsblatt 2020). Er wird seit 1979 mit der Abwicklung von Konkurs-, Vergleichs-, Gesamtvollstreckungs- und Insolvenzverfahren und der Beratung von Krisenunternehmen beauftragt und hat bis heute über 3.500 Verfahren aller Größenordnungen mit Schwerpunkt Fortführung und Sanierung bearbeitet. Er veröffentlicht und referiert regelmäßig im In- und Ausland zu insolvenzrechtlichen Themen und ist u.a. Herausgeber und Autor des Handbuchs „Betriebsfortführung in Restrukturierung und Insolvenz“. Bis zur Emeritierung war er Professor für Unternehmensrecht an der Fachhochschule Aachen.