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WRP 2020, I
Meisterernst 

Der Nutri-Score® kommt

Abbildung 1

RA Andreas Meisterernst

Die Frage, ob und ggf. wie Verbraucherinnen und Verbraucher über die Nährwertzusammensetzung eines Lebensmittels plakativ informiert werden könnten, beschäftigt die beteiligten Kreise seit etlichen Jahren. Verschiedene Modelle wie die Nährwertampel in Großbritannien, das Keyhole-System in Schweden oder der Nutri-Score® aus Frankreich zeigen: Jedes System hat seine Vor- und Nachteile, die Übersetzung komplexer naturwissenschaftlicher Zusammenhänge in symbolhafte und plakative Aussagen führt zwangsläufig zu Unstimmigkeiten.

Gegen Ende letzten Jahres hat sich die zuständige Bundesministerin Julia Klöckner nunmehr dahingehend festgelegt, dass der Nutri-Score® aus Frankreich auch in Deutschland eingeführt werden soll. Zunächst nur, wie unionsrechtlich in Art. 35 Abs. 1, 2 LMIV vorgesehen, als zusätzliche Kennzeichnung; mit dieser angeblichen Freiwilligkeit wird es allerdings nicht weit her sein, wenn – wie bereits angekündigt – große Handelsketten von ihren Lieferanten eine entsprechende Etikettierung verlangen und ansonsten mit Abbruch der Lieferbeziehung drohen.

Unabhängig von der Frage der Sinnhaftigkeit der Nutri-Score®-Kennzeichnung stellt sich auch die Frage der rechtlichen Einbindung. Eine erste Tagung der European Food Law Association (EFLA) – Deutsche Sektion zeigte bereits die Komplexität der Materie im Hinblick auf Verfassungs-, Lauterkeits-, Marken- und Unionsrecht auf. Der Nutri-Score® ist eine von der französischen Gesundheitsbehörde ANSES gehaltene Unionskollektivmarke. Die Verwender dieser Kollektivmarke müssen sich bei der ANSES registrieren und die von der französischen Behörde stammenden Nutzungsbedingungen einhalten. Dabei kommt auch ein Vertrag nach französischem Recht zwischen dem Nutzer und dem Markeninhaber zustande.

Aus der Perspektive eines kleinen oder mittelständischen Unternehmens sind die Rechtsfolgen wohl nur schwer überschaubar. Was ist z. B., wenn die Nutzungsbedingungen einseitig geändert werden, wie zuletzt anlässlich der Aufnahme Spaniens in das System? Was ist, wenn der Handel den Nutri-Score® entgegen dem Willen des Herstellers berechnet und angibt? Auch führt die Vorgabe, dass der Nutri-Score® zwingend bei allen Erzeugnissen, die unter einer Marke vertrieben werden, verwendet werden muss, zu weitreichenden Konsequenzen, die bedacht werden müssen.

Zwischenzeitlich liegt ein Referentenentwurf zur Einführung über die Vorschriften der §§ 3a und 3b LMIDV vor, mit dem Hindernisse für die Verwendung des Nutri-Score® in Deutschland „aus dem Weg geräumt“ werden sollen. Der Entwurf geht dabei von der durchaus fragwürdigen Prämisse aus, dass einzelne Elemente dieser ernährungsphysiologischen Gesamtbewertung eines vollständigen Lebensmittels nährwertbezogene Angaben darstellen. Offen ist auch die grundsätzliche Frage, ob die mit dieser Regelung erlaubte Verwendung einer Unionskollektivmarke im Wege einer dynamischen Verweisung dem Bestimmtheitsgebot genügt.

Weiterhin ergeben sich unmittelbar anschließende Fragen des Lauterkeits- und Markenrechts, z. B. bei Verstößen gegen die Nutzungsbedingungen. Einer bewussten oder unbewussten Falschberechnung des Nutri-Score® mit entsprechender falscher Darstellung wird man zwanglos mit den Mitteln des Lauterkeitsrechts begegnen können, auch die Lebensmittelüberwachung wird insoweit über die Vorschrift des Art. 7 LMIV (Verbot der irreführenden Kennzeichnung und Werbung) Eingriffsbefugnisse haben. Schwieriger ist allerdings der Bereich der weiteren Verstöße gegen die Nutzungsbedingungen zu sehen, die die juristische Literatur und – nach dessen Einführung des Nutri-Score® – auch die Rechtsprechung beschäftigen wird.

Ja, der Nutri-Score® kommt, aber es ist naturgemäß noch längst nicht alles geklärt.

RA Andreas Meisterernst, München

 
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