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WRP 2023, I
Oldekop/Hoppe 

Jeder Weg beginnt mit dem ersten Schritt

Das BMJ auf dem Weg zur Stärkung der Justiz in Wirtschaftsstreitigkeiten und des Geheimnisschutzes

Abbildung 1

RA Dr. Axel Oldekop

Abbildung 2

RA Daniel Hoppe

„Es tut sich etwas!“ möchte man als zivilrechtlich tätiger Prozessanwalt ausrufen, wenn man die im Januar 2023 veröffentlichten „Eckpunkte des Bundesministeriums der Justiz zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten und zur Einführung von Commercial Courts“ liest. Verfahren sollen an ausgewählten Landgerichten in englischer Sprache geführt werden können, englischsprachige erstinstanzliche Spezialsenate für „große Handelssachen“ sollen an den Oberlandesgerichten („Commercial Courts“) eingerichtet werden und die Revision soll in diesen Verfahren dann ebenfalls in englischer Sprache durchgeführt werden können. Ziel ist es, die Commercial Courts durch spezialisierte Richter mit sehr guten Sprachkompetenzen zu besetzen, die auf eine moderne technische Ausstattung einschließlich Videokonferenztechnik zurückgreifen können und Wortprotokolle ihrer Verhandlungen erstellen. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen soll gestärkt und der Einsatz von Videokonferenzlösungen gefördert werden.

Die Idee ist gut. Schon längst halten die Sachmittel und personellen Kapazitäten der Justiz gerade in komplexen wirtschaftsrechtlichen Streitigkeiten mit der Entwicklung der Verfahrensführung nicht mehr Schritt. Die in spezialisierten Kanzleien für die Aufbereitung und Bearbeitung von Fällen aufgewandten Ressourcen stehen in keinem Verhältnis zu den von der Justizverwaltung zur Verfügung gestellten Mitteln. Dies führt zu Unzufriedenheit bei den Rechtssuchenden, zu verstärkter Nutzung von Rechtsmitteln und damit einhergehend zu einer weiteren Belastung der Justiz. Außerdem stärkt es den Wunsch nach alternativen Streitbeilegungsmethoden, z. B. in Form von Schiedsverfahren. Die Justiz muss zeitgemäßer werden und insbesondere ausreichend Personal zur Verfügung stellen, um ihre Aufgaben zügig und in hoher Qualität erfüllen zu können. Ansonsten wird sie zum Standortnachteil.

Das Eckpunktepapier ist ein Schritt in die richtige Richtung. Die Einrichtung spezialisierter Senate für große Handelssachen kann zur Einsparung einer Instanz und damit zur Schonung von Ressourcen und Kosten führen. Ein verlässliches Wortprotokoll ist schon lange überfällig. Es sollte – mit Einverständnis der Parteien – nicht nur bei den Commercial Courts erstellt werden.

Dass die Verfahrensführung in englischer Sprache mehr ist als ein dem Koalitionsvertrag geschuldetes politisches Zeichen, darf allerdings bezweifelt werden. Die Vorhaben des Bundesjustizministeriums werden nicht ohne beträchtliche Investitionen in Personal und Infrastruktur umsetzbar sein. Spitzenjuristen werden indessen nicht nur von der Justiz gesucht. Der Wettbewerb um Talente mit hervorragender Fremdsprachenkompetenz ist groß. Zudem geht das Angebot englischsprachiger Verfahren womöglich am Bedarf vorbei. Angesichts der mittlerweile zur Verfügung stehenden Übersetzungstechnik genügt es in aller Regel, Verhandlungen ggf. auch unter Einsatz privater Videokonferenzeinrichtungen zu übertragen und zu dolmetschen – eine Vorgehensweise, die einige wirtschaftsrechtlich ausgerichtete Kammern und Senate nicht erst seit der Pandemie großzügig zulassen und organisatorisch unterstützen. Dort drückt der Schuh also nicht.

Eine weitere wesentliche Maßnahme des Eckpunktepapiers ist der generelle Schutz von Geschäftsgeheimnissen im Zivilprozess – ebenfalls ein Schritt in die richtige Richtung. Wer schon einmal versucht hat, einem US-amerikanischen Rechtsanwalt zu erklären, weshalb in Deutschland eine Einreichung „under seal“ nicht möglich ist, wird erleichtert sein.

Die Verfahrensregelungen nach dem Geschäftsgeheimnisschutzgesetz (GeschGehG) sollen zu diesem Zweck auf den gesamten Zivilprozess ausgeweitet werden. Damit würde der Gesetzgeber den zahlreichen Stimmen aus der Literatur folgen, die ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht hatten, dass sowohl der europäische Richtlinien- als auch der deutsche Gesetzgeber beim prozessualen Geheimnisschutz nur die „kleine Lösung“ normiert und diesen auf Geheimnisstreitsachen beschränkt hat. Dabei würde der Mindestschutzcharakter der Geschäftsgeheimnis-Richtlinie auch die Implementierung prozessualer Geheimnisschutzmaßnahmen in anderen Gerichtsverfahren erlauben. Diesen Schritt möchte das Bundesjustizministerium nun gehen und plant die „große Lösung“. Geheimhaltungsbedürftige Informationen sollen in sämtlichen Zivilverfahren bereits im Zeitpunkt der Klageerhebung vor einer Nutzung und Offenlegung geschützt werden können. Im Bereich des Patentverletzungsverfahrens ist eine solche Regelung zuletzt bereits über § 145a PatG eingeführt worden – und wird rege genutzt.

Dieses Vorhaben ist uneingeschränkt zu begrüßen. Allerdings sind die Prozessparteien und Zivilgerichte gut beraten, den verfahrensrechtlichen Geheimnisschutz mit Augenmaß einzusetzen. Die ersten Praxiserfahrungen mit den Vorschriften der §§ 16 ff. GeschGehG zeigen, dass Entscheidungen über die Einstufung einer Information als geheimhaltungsbedürftig oder über die Art und den Umfang einer Geheimnisschutzmaßnahme komplexe Fragestellungen aufwerfen können. Langwierige Streitigkeiten auf solchen Nebenkriegsschauplätzen dürfen den Rechtsstreit nicht über Gebühr verkomplizieren und verzögern. Außerdem darf mit einem vorschnellen Verbot der Nutzung geheimer Informationen kein faktischer Eilrechtsschutz durch die Hintertür gewährt werden, wenn die Frage der Erlangung der Information Gegenstand des Streits ist.

Die Anwendung der Verfahrensregeln des GeschGehG auf den gesamten Zivilprozess wird zur zügigen Festigung der Rechtsprechung beitragen. Der Gesetzgeber kann das unterstützen, indem er sich den in §§ 16 ff. GeschGehG bislang unbefriedigend oder gar nicht geregelten Details widmet. Dazu gehören u. a. der Schutz von Geschäftsgeheimnissen Dritter, eine nachvollziehbare Rechtsmittelsystematik insbesondere für Drittbetroffene und eine Überarbeitung des § 18 GeschGehG, um Rechtssicherheit über das Außerkrafttreten von Geheimhaltungsanordnungen zu ermöglichen. Ein Abschied von der verfehlten Bezugnahme auf streitgegenständliche Informationen scheint bei einer Übernahme in den allgemeinen Zivilprozess ohnehin unerlässlich.

RA Dr. Axel Oldekop, München und RA Daniel Hoppe, Hamburg

 
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