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WRP 2018, I
Schotthöfer 

Sturm im Wasserglas?

Abbildung 1

Dr. Peter Schotthöfer

Sowohl im Spiegel (Ausgabe 25/2018, „Vorsicht, Abmahnverein“) als auch in der Süddeutschen Zeitung (Nils Wischmeyer, SZ vom 04.04.2018: „Systematische Abmahnungen bringen Existenzgründer in Existenznöte“) und der WRP (Reppelmund, „Abmahnmissbrauch erfordert Gesetzesänderung“, WRP Editorial Heft 05/2018) wurde über das „Abmahnunwesen“ und darüber berichtet, dass eine Reform des wettbewerbsrechtlichen Abmahnunwesens erforderlich sei, „weil die rechtlichen Rahmenbedingungen den missbräuchlichen Einsatz von Abmahnungen aus Gewinninteresse durch Abmahnvereine und spezialisierte Rechtsanwälte“ begünstigten. Die existenzielle wirtschaftliche Bedrohung durch die drohenden Geldforderungen führe zu einem Klima der Verunsicherung und Angst und dränge viele abgemahnte Unternehmen dazu, ihr Gewerbe aufzugeben (Petition 77180 vom 08.03.2018, Deutscher Bundestag).

Sachlich ist dies nicht nachvollziehbar. Gesteht man dem Gesetzgeber das Recht (oder gar die Pflicht) zu, gegen Wettbewerbsverstöße vorzugehen, hält man weiter das in der Bundesrepublik geltende System der Selbstkontrolle (im Gegensatz zur staatlichen Kontrolle) für geeignet, diese Kontrolle durchzuführen, kann von einem „missbräuchlichen Einsatz von Abmahnungen aus Gewinninteresse durch Abmahnvereine und spezialisierte Anwälte“ kaum die Rede sein.

„Abmahnvereine“, also Vereine, deren ausschließlicher bzw. wesentlicher Zweck in der Erzielung von Gebühren und Vertragsstrafen besteht, gibt es in der BRD praktisch nicht – mehr. Der Gesetzgeber hat die Anspruchsberechtigung eines Vereins an bestimmte Voraussetzungen geknüpft (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG). Nur Verbände mit einer erheblichen Zahl von Unternehmern sind klagebefugt, aber nur, wenn sie Waren oder Dienstleistungen gleicher oder verwandter Art auf demselben Markt vertreiben. Sie müssen personell, sachlich und finanziell im Stande sein, ihre satzungsgemäßen Aufgaben wahrzunehmen. Und dies auch nur, wenn die Interessen ihrer Mitglieder berührt sind (§ 8 Abs. 3 Nr. 2 UWG). Mit anderen Worten: Will ein Verein gegen einen Wettbewerbsverstoß vorgehen, muss er schwierige Hindernisse überwinden. Auch, dass ausländische Vereine nach dem Unterlassungsklagegesetz nennenswert in der Bundesrepublik tätig wären, kann man nicht behaupten. Und Mitbewerber können nur gegen „spürbare“ Verstöße vorgehen. Der einzelne Verbraucher hat diese Möglichkeit ohnehin nicht. Mit juristischen Mitteln verfolgt werden können durch die „Abmahnvereine“ und Mitbewerber also ohnehin nur spürbare Verstöße.

Ob ein Verstoß „spürbar“ ist, kann nur ein Gericht unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilen. Auch wenn es in Einzelfällen in der Vergangenheit zu manchmal unverständlichen Entscheidungen gekommen ist, so bleiben diese doch die Ausnahme. So hat beispielsweise das KG (21.09.2012 – 5 W 204/12, WRP 2013, 109) keinen relevanten Verstoß angenommen, weil der Name des Geschäftsführers im Impressum fehlte. Das OLG München (29 U 442/18) prüft gerade in einem anhängigen Verfahren, ob ein Verstoß gegen die Impressumspflicht vorliegt, wenn die Änderung einer Unternehmensadresse dem Handelsregister zwar gemeldet wurde, die Eintragung Monate später erfolgte, das Unternehmen aber schon aus eigenem Interesse an der alten auf die neue Adresse hingewiesen und einen Nachsendeantrag bei der Post gestellt hatte.

Wichtiger als gleich eine „Reform des Abmahnunwesens“ wäre eine gesetzliche Präzisierung der sog. Bagatellgrenze, also wann ein Verstoß spürbar ist. Es könnte wie bei der UGP-Richtlinie eine Liste mit eindeutig unlauteren Verhaltensweisen erarbeitet werden (z. B. Fehler bei der Widerrufsbelehrung). Da die Möglichkeiten allerdings unübersehbar sind, sollte die Bewertung den Gerichten überlassen bleiben, die zur Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls verpflichtet sind. Allerdings wäre auch dies nur umsetzbar, wenn die UGP-Richtlinie ergänzt werden würde.

Auch die Aussagen, die Abmahnungen führten zu „existenzieller wirtschaftlicher Bedrohung“ (s. BT-Petition 77180), zur Verunsicherung und Angst und schließlich zur Aufgabe des Unternehmens, schießen weit über das Ziel hinaus. Nur wer systematisch Verstöße begeht, kann auch systematisch abgemahnt werden und so in seiner wirtschaftlichen Existenz bedroht werden.

„Abmahnvereine“ können für eine Abmahnung nicht ohne Weiteres einen Rechtsanwalt einschalten und deswegen auch nur eine geringe pauschale Gebühr verlangen. Mitbewerber werden in der Regel erfahrungsgemäß Verstöße nur ahnden, wenn sie ihnen weh tun. Sie haben dann immer noch das Risiko, dass ein Gericht die Spürbarkeit verneint und sie die Kosten tragen müssen. Im Urheberrecht (Stichwort: Filesharing) ist der Streitwert für eine Erstabmahnung auf 1.000,00 € und damit auf Anwaltsgebühren von ca. 150,00 € beschränkt (§ 97a Abs. 3 UrhG). Da die Massenabmahnung immer risikoreicher geworden ist, dürfte auch das Interesse daran abnehmen. Nicht vergessen darf man auch, dass der BGH im Februar 2017 wegen rechtsmissbräuchlicher Abmahnungen wegen Betrugs bzw. versuchten Betrugs recht hohe Haftstrafen bestätigt hat (BGH, 08.02.2017 – 1 StR 483/16, NJW 2017, 2425).

Der Gesetzgeber hat in den vergangenen Jahrzehnten viel dafür getan, dass es kein Abmahnunwesen mehr und keine Exzesse wie früher mehr gibt (§ 8 Abs. 4 UWG, Einführung der Bagatellgrenze, § 97a Abs. 3 UrhG usw.). Die kostenpflichtige Abmahnung hat sich als System der Kontrolle sehr bewährt. Auswüchse wurden von den Gerichten mit dem Argument des Rechtsmissbrauchs gem. § 8 Abs. 4 UWG verhindert. Es besteht daher keine Notwendigkeit, dem Gesetzgeber und nicht den Gerichten die Interpretation zu überlassen, was „spürbar“ ist. Es besteht auch keine Veranlassung, das grundsätzliche System der Abmahnung und damit die Anwälte, die vermeintlich nur von Abmahnungen leben, in Misskredit zu bringen.

Dr. Peter Schotthöfer, München

 
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