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WRP 2021, I
Stelzer 

Umsatzsteuer auf Abmahnungen – BFH, BGH und BMF in trauter Dreisamkeit

Abbildung 1

Timm Stelzer, Mag. iur., Dipl.-Finw.

Das Jahr 2003 mag dem ein oder anderen noch in Erinnerung sein: Gerhard Schröder war Bundeskanzler, Michael Schumacher wurde zum sechsten Mal Formel-1-Weltmeister, der „Jahrhundertsommer“ verursachte europaweit volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe.

Auch für Abmahnungen war es ein bedeutendes Jahr. Der Gesetzgeber zeichnete erstmals die Rechtsprechung des BGH nach und schuf mit § 12 UWG a. F. eine Anspruchsgrundlage für den Ersatz von Abmahnkosten (BT-Drs. 15/1487). Noch vorher, im Januar des Jahres 2003, entschied der BFH, dass Abmahnungen eines Wettbewerbsvereins umsatzsteuerpflichtige Leistungen gegen Entgelt darstellen (16.01.2003 – V R 92/01, BB 2003, 942). Der V. Senat des BFH rezipierte dabei die ständige Rechtsprechung des BGH, der seit 1969 einen Anspruch des Abmahnenden auf Ersatz der Abmahnkosten aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag herleitete (BGH, 15.10.1969 – I ZR 3/68, WRP 1970, 20 – Fotowettbewerb; BGH, 21.01.2010 – I ZR 47/09, WRP 2010, 525 – Kräutertee). Nach Ansicht des BFH wende der Abmahnende dem Abgemahnten einen verbrauchsfähigen Vorteil zu, indem er ihm die risikoarme Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung biete. Insoweit stünden sich Leistung (Abmahnung) und Gegenleistung (Abmahnkosten) unmittelbar gegenüber – der erforderliche Leistungsaustausch war gefunden und der 16.01.2003 wurde zur Geburtsstunde der Umsatzsteuerpflicht von Abmahnungen.

Nach der eher spärlichen Beachtung dieses Urteils in der Praxis hätte wohl kaum jemand gedacht, dass die Umsatzsteuerpflicht von Abmahnungen nicht einmal 20 Jahre später das gesamte Gebiet des gewerblichen Rechtsschutzes erreicht haben würde. Ganz im Sinne Senecas („errare humanum est, sed in errarum perseverare diabolicum“) wurde das Folgeurteil des BFH vom 21.12.2016 zur lauterkeitsrechtlichen Abmahnung eines Mitbewerbers (XI R 27/14, WRP 2017, 712) umso ernster genommen. Der Rest der Geschichte ist schnell erzählt: Während der BFH seine Rechtsprechung für urheberrechtliche Abmahnungen im Februar 2019 noch selbst bestätigte (BFH, 13.02.2019 – XI R 1/17, WRP 2019, 894), revanchierte sich der BGH im Januar 2021 für die finanzgerichtliche Rezeption seiner Rechtsprechung mit der Ausdehnung der Umsatzsteuerpflicht von Abmahnungen auf den gesamten gewerblichen Rechtsschutz (BGH, 21.01.2021 – I ZR 87/20, HFR 2021, 943). Der Rechtsgrund der Abmahnung änderte sich, die Begründung der Umsatzsteuerpflicht blieb gleich. Für weitere Einzelheiten sei auf den lesenswerten Beitrag von Pustovalov/Johnen (WRP 2019, 848) verwiesen.

Am 01.10.2021 äußerte sich nun erstmals auch das BMF und schloss sich der Rechtsprechungslinie des BFH an (III C 2 – S 7100/19/10001:006, DStR 2021, 2349). Inhaltlich enthält die Stellungnahme der Finanzverwaltung keine wirklichen Überraschungen. Im Einzelnen:

  • Leistung: Warnung des Abgemahnten und Möglichkeit der außergerichtlichen Streitbeilegung durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung.

  • Gegenleistung: Erstattung der Abmahnkosten. Die Erstattung der Abmahnkosten ist zu trennen von etwaigem Schadensersatz, der mit der Abmahnung geltend gemacht wird. Insoweit fällt keine Umsatzsteuer an.

  • Zeitpunkt der Leistung mit Zugang der Abmahnung. Die Umsatzsteuer entsteht mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Abmahnung zugeht. Abermals wird eine Parallele zur Rechtsprechung des BGH offenbar. Die Anordnung des BMF, der Abmahnende dürfe aus Vereinfachungsgründen auf den Zeitpunkt abstellen, in dem er die Abmahnung versendet hat, erinnert an die sekundäre Darlegungslast des Abmahnenden für den Zugang der Abmahnung (BGH, 21.12.2006 – I ZB 17/06, WRP 2007, 781).

  • Die „Abmahnleistung“ unterliegt dem allgemeinen Steuersatz in Höhe von 19 %.

  • Nur berechtigte Abmahnungen unterliegen der Umsatzsteuer. Die Abrechnung über eine unberechtigte Abmahnung kann zu einer Haftung nach § 14c Abs. 2 UStG führen.

  • Nichtbeanstandungsregelung für Abmahnungen bis einschließlich 31.10.2021.

Für betroffene Unternehmen mag die Umsatzsteuerpflicht von Abmahnungen auf den ersten Blick nachteilig wirken, weil sie auch insoweit Umsatzsteuer anmelden und abführen müssen. Die Steuerbelastung geht aber Hand in Hand mit einem spiegelbildlichen Vorsteuerabzug für entsprechende Eingangsleistungen (z. B. anwaltliche Dienstleistungen). Gegenläufige Entscheidungen vereinzelter Finanzgerichte haben spätestens nach dem BMF-Schreiben vom 01.10.2021 keinen Bestand mehr. Soweit ein abmahnendes Unternehmen nicht ohnehin vom Vorsteuerabzug ausgeschlossen ist, bleibt der Vorgang umsatzsteuerlich neutral.

Das BMF-Schreiben beschränkt sich – ebenso wie die bisherige Rechtsprechung des BFH – auf Abmahnungen nach dem UrhG und dem UWG. Auch für Abmahnungen gewerblicher Schutzrechte darf aber nicht gefahrlos von einer Steuerfreiheit ausgegangen werden – im Gegenteil. Abseits von Fällen, in denen ein Anspruch auf Ersatz der Abmahnkosten bereits gesetzlich ausgeschlossen ist (z. B. § 13 Abs. 4 UWG), lassen sich die Entscheidungsgründe des BFH nahezu problemlos auf sämtliche Abmahnungen im Grünen Bereich übertragen. Mit anderen Worten: für das Urheberrecht und das Wettbewerbsrecht besteht Wiederholungsgefahr, für den Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes akute Erstbegehungsgefahr!

Timm Stelzer, Mag. iur., Dipl.-Finw., Bonn

 
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