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WRP 2024, I
Lubberger 

Wanted: Markenrecht 4.0

Abbildung 1

RA Dr. Andreas Lubberger

Das Urheberrecht ist dem Markenrecht voraus. Bereits im Jahre 2001 nahm der Europäische Gesetzgeber mit der sogenannten „InfoSoc“-Richtlinie 2001/29/EG die Digitalwirtschaft in den Blick. 2019 folgte die Digital Single Market Richtlinie (EU) 2019/790, die im Wesentlichen als Reaktion auf die Herausforderungen der Digitalwirtschaft zu verstehen ist.

Demgegenüber enthielt die Ausschreibung der EU-Kommission vom Juli 2009 zur Überprüfung des Markenrechts im Binnenmarkt ebenso wenig einen Hinweis auf das Thema „Digitalwirtschaft“, wie der dazu ergangene Bericht des Max-Planck-Instituts vom Februar 2022. Kein Wunder also, dass die „neue“ Markenrechtsrichtlinie (EU) 2015/2436 vom Dezember 2015 und die neue Unionsmarkenverordnung (EU) 2017/1001 vom Juni 2017 noch in der Analogwirtschaft verhaftet geblieben sind.

Damit wird das Markenrecht seinen aktuellen Aufgaben nicht mehr gerecht. Es geht um digitale Nutzungen, es geht um die Haftung für die in der Digitalwirtschaft typischen, arbeitsteiligen Nutzungsverhältnisse und es geht um die Transparenz des Wettbewerbs; allesamt unerledigte Themen des Markenrechts.

Hält man sich zum Beispiel die Vorschrift des § 14 MarkenG vor Augen, die in ihren Absätzen 2, 3 und 4 eine sehr detaillierte Beschreibung rechtsrelevanter Benutzungen enthält, so liegt schon die Frage auf der Hand, warum es Entsprechendes für digitale Nutzungen nicht gibt. Gut, die Frage der Domainanmeldung und Domainbenutzung ist bereits im Jahre 1999 durch das WIPO-Angebot zur Dispute Resolution und die dazu ergangenen UDRP pragmatisch gelöst worden. Aber bereits beim nächsten Problem der Metatags bewegen wir uns mit den maßgeblichen und hilfreichen BGH-Entscheidungen (BGH, 18.05.2006 – I ZR 183/03, WRP 2006, 1513 – Impuls, BGH, 08.02.2007 – I ZR 77/04, WRP 2007, 1095 – AIDOL etc.) auf einer Ebene rein nationaler Problemlösung. Das gleiche gilt für potentiell markenrechtsverletzende Programmierungen einer Internetseite (BGH, 04.02.2010 – I ZR 51/08, WRP 2010, 1165 – POWER BALL und BGH, 30.07.2015 – I ZR 104/14, WRP 2015, 1501 – Posterlounge). „Metaverse“ ist inzwischen in aller Munde. Aber zu mehr als einem Einvernehmen über die Zuordnung möglicher Nutzungen zur Klasse 9 sind wir bislang nicht gekommen.

Nochmals deutlich regelungsbedürftiger ist die Frage der Verantwortlichkeit für Markenverletzungen im Internet. Hier hat die Digitalwirtschaft mit dem Organisationsmodell der Plattformen neue Nutzungskonstellationen geschaffen, für die es eine spezifisch markenrechtliche Antwort schon gar nicht gibt. Aber auch auf der übergeordneten Ebene des Immaterialgüterschutzes ist die normative Verarbeitung einer neuen Wirtschaftsform mit den Privilegierungstatbeständen der Art. 12 bis 15 der E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG oder der Mittlerhaftung nach Art 11 S. 3 der Durchsetzungsrichtlinie 2004/48/EG in den Kinderschuhen stecken geblieben. Der Digital Services Act (DSA) vom Oktober 2022 greift das Thema „Haftung“ nicht auf und verlagert die Sorgfaltspflichten der Plattformbetreiber auf die Verwaltungsebene. Dabei wäre gerade hier gesetzgeberisches Handeln dringend geboten, um endlich die Fehlentscheidung „Google France“ des EuGH (23.03.2010 – C-236/08 bis C-238/08, K&R 2010, 320) aus der Welt zu schaffen, die uns einen guten Teil derjenigen Probleme erst beschert hat, welche jetzt mit dem DSA bekämpft werden sollen.

Last but not least geht es um den Wettbewerb. Orientieren wir uns am Urheberrecht oder auch am Grundkonzept der E-Commerce-Richtlinie, so verbanden sich vor einem Vierteljahrhundert mit dem Aufkommen der Digitalwirtschaft schönste Hoffnungen auf eine neue „Informationsgesellschaft“. Davon ist nichts mehr übrig. Inzwischen haben wir Gesetze gegen „false facts“, die Presse berichtet über KI-generierte Informationen, Texte und Bilder, die Kommission arbeitet an einem KI-Gesetz (PM vom 09.12.2023) und unsere kritische Infrastruktur ist durch Trolle und Trojaner bedroht.

Gegen eine neue Desinformationsgefahr wird an mehreren Fronten gekämpft. Dazu sollten wir auch die in der Digitalwirtschaft völlig verbreitete Fremdnutzung von Marken zählen. Mit der Suchmaschinenwerbung werden Marken ihrer Kennzeichnungskraft beraubt, weil dort „unter der Marke“ fremde Waren und Dienstleistungen angeboten werden. Geschädigt werden dadurch aber nicht nur die Markeninhaber, sondern auch die Allgemeinheit und der Wettbewerb. Denn für den Wettbewerb in der Digitalwirtschaft hat das „System Marke“ eine kaum zu überschätzende praktische Bedeutung. Nur mit Hilfe von Marken ist die Informationsflut des Waren- und Dienstleistungsangebotes im Internet wirksam zu kanalisieren und zu beherrschen.

Auch wenn sie als Rechtsbegriff noch nicht etabliert ist, so ist die „Lotsenfunktion der Marke“ ein nicht zu bestreitendes Faktum; einfach deshalb, weil sie täglich millionenfach zum Einsatz kommt. Die EU-Kommission hat inzwischen der Intransparenz von Plattformen den Kampf angesagt. Das ist gut und richtig. Sie wäre allerdings in der Verfolgung dieses Ziels sehr viel erfolgreicher, wenn sie auf weitere Sonderverordnungen und Richtlinien verzichtete und einfach nur die Marke wieder mit der rechtlichen Exklusivität ausstattete, die zwingend dazugehört, damit das „System Marke“ auch in der Digitalwirtschaft zur Geltung kommt.

Erinnern wir uns: Vor mehr als dreißig Jahren hat der EuGH in der HAG-II Entscheidung (17.10.1990 – C-10/89, Slg. 1990, I-3711, Rn. 13) eine Erkenntnis zum Zusammenspiel von Warenzeichen und Wettbewerb festgehalten, die nichts von ihrer Kraft und Gültigkeit verloren hat:

„Was das Warenzeichenrecht angeht, ist festzustellen, daß dieses Recht ein wesentlicher Bestandteil des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs ist, das der Vertrag schaffen und erhalten will. In einem solchen System müssen die Unternehmen in der Lage sein, die Kundschaft durch die Qualität ihrer Erzeugnisse oder ihrer Dienstleistungen an sich zu binden, was nur möglich ist, wenn es Kennzeichen gibt, mit deren Hilfe sich diese Erzeugnisse und Dienstleistungen identifizieren lassen.“

Diese Erzeugnisse und Dienstleistungen; nicht irgendwelche anderen. Darum geht es.

RA Dr. Andreas Lubberger, Berlin

 
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