R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
Logo ruw-online
Logo ruw-online
Suchmodus: genau  
 
 
ZFWG 2020, 1
Hartmann 

Kohärente Kanalisierung

Abbildung 1

Mit der Kanalisierung ist das so eine Sache. Das merken wir hier und jetzt. Jetzt, in diesen Tagen, steht uns vor allem der Canal Grande vor Augen: Die italienische Regierung hat wegen des Hochwassers in Venedig den Notstand ausgerufen. Hier, an diesem Ort, denken wir an die Ziele des deutschen Glücksspielrechts: Die ZfWG hat das Gebot der Kanalisierung schon oft behandelt. Zu den Zielen der Glücksspielregulierung zählt, so heißt es im Glücksspielstaatsvertrag gleich zu Beginn, „durch ein begrenztes, eine geeignete Alternative zum nicht erlaubten Glücksspiel darstellendes Glücksspielangebot den natürlichen Spieltrieb der Bevölkerung in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken sowie der Entwicklung und Ausbreitung von unerlaubten Glücksspielen in Schwarzmärkten entgegenzuwirken“.

Das „nicht erlaubt[e] Glücksspiel“, von dem die Rede ist, dominieren Online-Anbieter. Es ist mit dem Spieltrieb offenbar wie in Venedig: So wie das Wasser, hat es erst einmal ein bestimmtes Volumen erreicht, über die Ufer der Canali tritt, sich auch durch Mauern nicht aufhalten lässt, sondern sich seinen urwüchsigen Weg bis zum Markusplatz und darüber hinaus bahnt, so findet offenbar auch der Spieltrieb der Bevölkerung, von strafbewehrten Verboten genauso wenig wie von Staatsgrenzen beeindruckt, im Internet wie von selbst seinen Weg in den nicht regulierten Markt.1

Die „geeignete Alternative“ zum Schwarzmarkt, die der Glücksspielstaatsvertrag verlangt, das erlaubte Glücksspiel also, steht als Ziel am Ende des Kanals. Der Spieler, der sich in einer Gondel treiben lässt, mag bei einem staatlichen legalen oder bei einem privaten legalen Angebot anlanden, Hauptsache, er treibt nicht bis nach Sizilien zur Cosa Nostra. Die zu bewirkende Lenkung setzt voraus, dass das legale Angebot hinreichend attraktiv anmutet. Weil es der Spieler ist, der zwischen den Angeboten wählt, ist die Attraktivität aus dessen Sicht zu beurteilen. Ohne ein für den objektiven Durchschnittsspieler attraktives Angebot bleibt das legale ohne Marktchance gegenüber dem illegalen Glücksspiel zumeist ausländischer Anbieter ohne hierzulande gültige Lizenz – und Kanalisierung zum Scheitern verdammt.

Das legale kann dieselben Marktchancen wie das illegale Angebot freilich nie aufweisen: Wer Regeln Regeln sein lässt, vermag jedem legalen Angebot ein für den Kunden nur vermeintlich attraktiveres, ihn aber stärker anziehendes Angebot zu unterbreiten. Vergleichsmaßstab kann daher kein Glücksspiel sein, das am anderen Ende der Welt frei von Jugend-, Spieler- und Verbraucherschutz ohne jede Kriminalitätsprävention stattfindet. Vielmehr muss das legale Gegenangebot so attraktiv wie möglich, aber auch so restriktiv wie nötig ausfallen. Restriktion tut Not, weil die Alternative laut Glücksspielstaatsvertrag eine „begrenzt[e]“ sein muss und Kanalisierung nicht das einzige Ziel darstellt.

Das Kohärenzgebot verstärkt die Kanalisierungspflicht. Das Unionsrecht zwingt die Gesetzgeber dazu, die Regelungsziele stimmig umzusetzen. Methodisch formuliert sind Kohärenzgebot und Kanalisierungspflicht als Rechtssätze Sollenssätze. Diese Sollenssätze verweisen aber auf Tatsachen, auf ein Sein. Das gilt nicht nur für die Kanalisierung, die nur funktionieren kann, wenn der Gesetzgeber die Attraktivität jenes Glücksspielangebots im Auge behält, das tatsächlich zur Verfügung steht. Sondern es gilt auch für die Kohärenz, die eine Kohärenz der Regelungsziele verlangt (z. B. Kanalisierung, Verbraucherschutz) und so über das Regelungsziel der Kanalisierung selbst auf die beschriebenen Tatsachen verweist. Wir haben es mit einem Sollenssatz zu tun („Du sollst kohärent regeln“), der Tatsachen in Bezug nimmt: „Du sollst so regeln, dass das legale Angebot für den Spieler attraktiv ist“ (Präventionsimpuls).

ZfWG 2020 S. 1 (2)

Kohärente Kanalisierung, durch den Canałazzo, aber bitte nicht zur Cosa Nostra: Mögen die Gesetzgeber stimmige Vorgaben erlassen, namentlich für das stationäre und das öffentliche Glücksspiel im Internet, die restriktiv genug ausfallen, um pathologische und gefährdete Spieler zu schützen, und zugleich ein Glücksspielangebot zulassen, das attraktiv genug ist, den objektiven Durchschnittsspieler anzusprechen: auf dass der „ohnehin vorhandene“,2 „als gegeben hinzunehmend[e]“3 Spieltrieb dort, im geschützten Raum kontrollierter Legalität, ausgelebt werden kann.

Prof. Dr. Bernd J. Hartmann, LL.M. (Virginia), Osnabrück*

1

Vgl. Hartmann/Barczak, ZfWG 2019, 8, 10.

2

BVerfGE 115, 276, 314.

3

OLG Hamburg, NZBau 2018, 122, Rn. 21.

*

Der Autor, Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Wirtschaftsrecht und Verwaltungswissenschaften, ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für Kommunalrecht und Verwaltungswissenschaften, Universität Osnabrück. Dieses Editorial enthält Überlegungen aus einem Gutachten, das die VDAI Verlags- und Messegesellschaft mbH erbeten hat. Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor.

 
stats