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ZFWG 2023, 333
Brüggemann 

Laissez-faire als Unruhepol in der Glücksspielregulierung

Abbildung 1

Am Ende des letzten Jahres warf Jörg Ennuschat die berechtigte Frage auf: „Interessiert sich die Politik noch für Glücksspiel und Glücksspielrecht?“ Nach Auswertung der Koalitionsverträge auf Bundes- und Landesebene machte er zwar noch kein Desinteresse der Politik, wohl aber den Wunsch nach Ruhe aus.1 Dieser Wunsch ist im Ansatz nachvollziehbar, nachdem über Jahre hinweg um eine Regulierung gerungen worden ist. In Erfüllung dürfte er allerdings nicht gehen. Dazu tragen gewiss – was nicht zu überraschen vermag – wiederkehrende Grundsatzdiskussionen um den „richtigen“ Weg der Regulierung und damit einhergehende Forderungen nach Korrekturen bei. Ursächlich sind gleichsam handwerkliche Versäumnisse bei der Konzeption des Glücksspielstaatsvertrages 2021 (GlüStV 2021). Zu denken ist etwa an die fehlende Rechtsgrundlage für Sperrungsanordnungen gegenüber Internetprovidern2 oder die fehlende Einbindung der Hersteller von virtuellen Automatenspielen in das Erlaubnisverfahren nach § 22 a Abs. 1 S. 2 GlüStV 2021.

Vor allem aber erzeugen die Bundesländer selbst Unruhe, indem sie die Klärung regelungsbedürftiger Fragen der Verwaltung und Rechtsprechung überlassen und damit für Rechtsunsicherheit in der Gesetzesanwendung sorgen. Illustriert sei dies an drei Beispielen. Seit Jahren besteht keine Einigkeit darüber, wie der Begriff des Glücksspiels im Glücksspielstaatsvertrag auszulegen ist.3 Stimmt er mit dem strafrechtlichen Glücksspielbegriff überein, sodass das zu leistende Entgelt eine Erheblichkeitsschwelle überschreiten muss? Oder handelt es sich um ein eigenständiges abweichendes Begriffsverständnis, das eine solche Schwelle nicht erfordert? Die Bundesländer haben sich der Frage anlässlich der Konzeption des GlüStV 2021 nicht angenommen, obschon die Klärung wesentlich ist, da die Anwendung der staatsvertraglichen Bestimmungen das Vorliegen eines Glücksspiels voraussetzt. Zwei jüngere Verwaltungsgerichtsentscheidungen, die für ein eigenständiges Verständnis plädieren, haben die Diskussion nunmehr neu entfacht.4 Ungeklärt ist ferner, ob Wetten auf eSport dem Begriff der Sportwette unterfallen und in der Folge erlaubnisfähig sein können. Die Bundesländer führen in den Erläuterungen zur Definition des Sportereignisses in § 3 Abs. 1 S. 4 GlüStV 2021 lediglich aus, dass das Verständnis darüber, welche Tätigkeit als Sport aufzufassen ist, einem steten Wandel unterliege und der Staatsvertrag weder ein generelles Verbot noch eine ausdrückliche Erlaubnis für Wetten auf eSport-Ereignisse enthalte. Die Einordnung des einzelnen eSport-Wettkampfes weisen sie sodann der Erlaubnisbehörde zu.5 Anders agierte der Bundesgesetzgeber, der für die Besteuerung von Sportwetten den Sportbegriff innerhalb des Rennwett- und Lotteriegesetzes definierte (vgl. § 15 Abs. 2 RennwLottDV) und in § 15 Abs. 3 RennwLottDV eine – wenn auch missglückte – Regelung für eSport aufnahm.6 Zurückhaltung übten die Bundesländer auch bei der Werberegulierung, bei der sie in § 5 GlüStV 2021 zwar einen gesetzlichen Rahmen vorgaben, aber dessen Ausgestaltung durch Inhalts- und Nebenbestimmungen der Erlaubnisbehörde überließen. Dies ist im Ansatz sinnvoll. Anderes gilt jedoch für die Klärung einschneidender Grundsatzfragen (z. B. Zulässigkeit bestimmter Werbung). Soweit sich die Verwaltung ihrer annimmt, sorgt dies nicht nur mit Blick auf das fehlende transparente Rechtsetzungsverfahren für Diskussionen. Gleichzeitig entsteht zwischen dem Inkrafttreten der Werbevorschriften und der weiteren Ausgestaltung durch die Behörde ein der Rechtssicherheit abträglicher Schwebezustand.

Das Agieren der Bundesländer lenkt den Fokus auf ein Merkmal, das im Glücksspielrecht eine zentrale Rolle spielt: ZfWG 2023 S. 333 (334)Verantwortung. Aufgrund ihrer Verantwortung für die Möglichkeit zum risikobehafteten Spiel werden Veranstaltern und Vermittlern eine Vielzahl von Pflichten auferlegt. Bei der Wahrnehmung dieser Möglichkeit herrscht zugleich die Zielvorstellung vom verantwortungsbewussten Spiel (vgl. § 6 Abs. 1 GlüStV 2021). Verantwortung tragen gleichsam die Länder für die Gesetzgebung. Dieser Verantwortung werden sie jedoch nicht gerecht, wenn sie grundlegende Fragen der Glücksspielregulierung unbeantwortet lassen und deren Klärung Verwaltung und Rechtsprechung überlassen. Statt die Verantwortung zu verlagern, sollten sie wieder mehr Bewusstsein für die Bedeutung und Gestaltungsmöglichkeiten der Gesetzgebung entwickeln. Sie zu ergreifen, bietet die Chance zu mehr Akzeptanz und damit dem Wunsch nach Ruhe näher zu kommen, auch wenn es für deren Realisierung im streitbefangenen Glücksspielrecht keine Gewähr gibt.

RA Dr. Lennart Brüggemann, Münster*

1

Ennuschat, ZfWG 2022, 397.

2

Siehe etwa BayVGH, 23.3.2023 – 23 CS 23.195, ZfWG 2023, 303; OVG Rheinland-Pfalz, 31.1.2023 – 6 B 11175/22.OVG, ZfWG 2023, 177. Aus der Literatur jüngst Liesching, ZfWG 2022, 404; Anstötz/Tautz, ZfWG 2023, 183; Anstötz/Tautz, ZdiW 2022, 173.

3

Zum Streit siehe Dietlein, in: Dietlein/Ruttig, Glücksspielrecht, 3. Aufl. 2022, § 3 GlüStV Rn. 2, 10 f.

4

VG Köln, 31.8.2022 – 24 L 1095/22, ZfWG 2023, 451 = juris Rn. 87; VG München, 7.2.2023 – M 27 K 22.3269, ZfWG 2023, 460 = juris Rn. 64.

5

Erläuterungen zum Glücksspielstaatsvertrag 2021, S. 33.

6

Zur Kritik Brüggemann/Nothelfer, SpoPrax 2021, 116, 119 f.

*

Auf Seite III erfahren Sie mehr über den Autor.

 
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