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ZFWG 2024, 1
Dietlein 

Mit zweierlei Maß

Abbildung 1

Eigentlich ist die Sache seit langem klar. Bereits in seinen Schlussanträgen vom 4.3.2010 in der Rs. C-46/08 (Carmen Media Group) hatte Generalanwalt Paolo Mengozzi die Erteilung vermeintlich extraterritorial wirksamer Glücksspielerlaubnisse („off shore-Lizenzen“) durch einzelne EU-Mitgliedstaaten ins Visier genommen. Es falle schwer anzunehmen, so der Generalanwalt damals, „dass solche extraterritorialen Genehmigungen ein Verhalten darstellen, das wechselseitiges Vertrauen zwischen Mitgliedstaaten schafft“ (Rn. 46). Doch anstatt einzulenken, hat Malta als einer der betroffenen Staaten unlängst nochmals eins draufgesetzt. Die Rede ist vom maltesischen Gaming Amendment Act 2023 oder kurz der sog. „Bill 55“. So ordnet der am 12.6.2023 neu erlassene Art. 56 a lit. a Gaming Act an, dass ein (gerichtliches) Vorgehen gegen Inhaber einer maltesischen Glücksspielerlaubnis ausgeschlossen ist, wenn sich dieses Vorgehen auf das von der Erlaubnis umfasste, „in oder von Malta aus“ angebotene Glücksspiel bezieht und der unvermeintlichen Legalisierungswirkung der maltesischen Glücksspielerlaubnis widerspricht oder diese unterwandert. Zusätzlich schreibt der ebenfalls neue Art. 56 a lit. b Gaming Act vor, dass die maltesischen Gerichte die Anerkennung und Vollstreckung von ausländischen Gerichtsentscheidungen verweigern sollen, die auf Grundlage eines Vorgehens i. S. d. vorgenannten Bestimmung ergangen sind, also die vermeintliche Legalisierungswirkung maltesischer Glücksspielerlaubnisse in Frage stellen.

Die Zielsetzung der „Bill 55“ liegt auf der Hand. Es geht um die Abschottung in Malta lizensierter Anbieter gegenüber sog. Chargeback-Klagen, wie sie zunächst in Österreich, mittlerweile aber auch in Deutschland vermehrt erfolgreich gegen hier agierende, aber nicht lizensierte Anbieter geführt wurden. Konstruiert werden soll also gleichsam ein gesetzlicher „Schutzschirm“ für maltesische Glücksspielerlaubnisse im EU-Ausland. Malta begründet das bislang einmalige Vorgehen eines EU-Mitgliedstaates mit dem Grundsatz der öffentlichen Ordnung: Zielsetzung des Änderungsgesetzes sei, den aus der maltesischen Verfassung folgenden Grundsatz zu kodifizieren, dass Malta die Gründung und Niederlassung von Glücksspielanbietern fördert, die ihre Leistungen vor Ort und grenzüberschreitend in einer Weise anbieten, die mit der maltesischen Rechtsordnung in Einklang stehen. Natürlich ist diese Argumentation kein Zufall. Sie ist zugeschnitten auf den Ausnahmevorbehalt des Art. 45 der VO 1215/2012/EU (EuGVVO), also auf jene Verordnung, die den EU-Mitgliedstaaten die grundsätzliche Pflicht zur grenzüberschreitenden Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – hierunter eben auch die Chargeback-Klagen – auferlegt und enge Ausnahmen für Fälle eines offenkundigen Widerspruchs zum ordre public des jeweiligen Landes eröffnet.

Unionsrechtlich überzeugen kann die maltesische Argumentation freilich nicht. Dies schon deshalb nicht, weil das Unionsrecht eine extraterritoriale Wirkung glücksspielrechtlicher Erlaubnisse explizit nicht anerkennt und zum Schutz der vom EuGH hervorgehobenen Regelungsautonomie der Mitgliedstaaten auch nicht anerkennen kann. Nicht einmal Malta selbst folgt einer solchen Regel. Im Gegenteil: Nach maltesischem Recht bedürfen die in einem anderen EU-Mitgliedstaat erteilten glücksspielrechtlichen Erlaubnisse einer gesonderten Anerkennung („recognition notice“). Diese wird nur dann erteilt, wenn ein mit dem maltesischen Recht weitgehend vergleichbarer Schutzstandard („safeguards largely equivalent to those offered by Maltese law“) gewährleistet ist (vgl. Art. 22 Gaming Authorisations Regulations i. V. m. Art. 2 Abs. 1 Gaming Act). Umgekehrt aber soll ein extraterritoriales Tätigwerden allein in Malta lizensierter Glücksspielanbieter nunmehr durch maltesisches Recht umfassend unter Schutz gestellt werden. Dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird, ist kaum zu übersehen.

Nicht ohne Grund hat Justizkommissar Reynders mitgeteilt, die Vereinbarkeit des Gaming Amendment Acts mit dem Unionsrecht zu prüfen. Allen voran wäre es freilich die Aufgabe der maltesischen Gerichte, dem Spuk um die „Bill ZfWG 2024 S. 1 (2)55“ ein möglichst rasches Ende zu bereiten. Erste Entscheidungen stimmen freilich wenig optimistisch. So wurde unlängst von einem Urteil des Civil Court of Malta berichtet, das die Anerkennung und Vollstreckung erfolgreicher auswärtiger Chargeback-Urteile ablehnt, weil diese gegen die maltesische Verfassung und die dort vermeintlich „eingebaute Vorfahrt“ gegenüber Unionsrecht verstoßen würde (siehe Orlando-Salling, VerfBlog, 2023/8/22, https://verfassungsblog.de/not-with-a-bang-but-a-whimper/). Soweit derartige Entscheidungen nicht in höheren Instanzen revidiert werden, dürfte ein Einschreiten der EU-Kommission im Wege des Vertragsverletzungsverfahrens unvermeidlich sein. In Frage steht nicht nur die Unionstreue eines einzelnen EU-Mitgliedstaates, sondern vor allem die Handlungsfähigkeit aller übrigen EU-Mitgliedstaaten bei der ohnehin alles andere als einfachen Regulierung des Glücksspiels.

Univ.-Prof. Dr. Johannes Dietlein, Düsseldorf*

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