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ZHR 166 (2002), 145-149
Schmidt 

Brave New World: Deutschland und seine Unternehmenserben auf dem Weg in ein Stiftungs-Dorado?

Deutschland hat den Stiftungsgedanken für sich neu entdeckt. Das ist gut so und richtig. Ob die Stiftung als Rechtsform wirklich das Mauerblümchen ist, als das sie gern ausgegeben wird, stehe einmal dahin. Immerhin gibt es in Deutschland etwa 10000 rechtsfähige Stiftungen1, etwa 700 allein in Hamburg, das sich nicht ohne Stolz Deutschlands Stiftungshauptstadt nennt und sich als Vorbild an traditionellem Bürgerstolz und philanthropischem Bürgersinn zu verstehen liebt2. Beides ist allenthalben und mehr denn je gefragt, seit die Themen „leere Staatskassen“ und „Politikverdrossenheit“ die öffentliche Debatte beherrschen. Dass Stifteraktivitäten nach geeigneten Rechtsformen suchen, liegt auf der Hand, und bekannt ist auch die sich seit vierzig Jahren dahinschleppende Stiftungsrechts-Reformdiskussion3. Mit um so größerer Spannung wurde der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts erwartet. Nun ist er – vorbereitet durch einen 55 Seiten umfassenden, durch voluminöse Anlagen ergänzten Kommissionsbericht4 – da und mit dem Stand vom Februar 2002 aus dem Internet abrufbar5: schlank, ein wenig betulich und scheinbar so nichtssagend wie das altbekannte Stiftungsrecht des BGB, dessen §§ 80ff. einer schonenden Korrektur unterzogen werden sollen. Ein Thema also für das ZHR-Editorial? Das wird erst auf den zweiten Blick zu erkennen sein. Begonnen sei mit dem Ersten.

Die sichtbare Reform verheißt zunächst wenig an Interessantem. Die zu allererst ins Auge fallende Änderung ist nur eine kosmetische Remedur: Die für die Erlangung der Rechtsfähigkeit durch die Stiftung notwendige „Stiftungsgenehmigung“ wird ersetzt durch ihre „Anerkennung als rechtsfähig“ (§ 80 E-BGB). Man muss den Entwurf für diese Kosmetik nicht schelten, gehören ZHR 166 (2002) S. 145 (146)doch Konzessionen an den Zeitgeist als affirmative Formeln zum Marketing des modernen Gesetzgebers. So wie dieser schon „Zuchthäuser“, „elterliche Gewalt“ und „Armenrecht“ umbenannt hat, will er eben auch das Selbstverständnis der Stiftungsaufsicht verändern: „Konzession“ hört sich nach allergnädigster Verleihung der Rechtsfähigkeit, also obrigkeitsstaatlich an, dagegen klingt „Anerkennung“ nach Respekt vor privater Gestaltungsfreiheit. Sachlich ändert sich nichts. Nach wie vor handelt es sich um einen privatrechtsgestaltenden Verwaltungsakt6, und ein subjektives öffentliches Recht auf die Verleihung der Rechtsfähigkeit ist längst anerkannt, sofern nur die materiellen Voraussetzungen für ihre Erteilung erfüllt sind7. Deshalb hatte auch der die Stiftungsreform einleitende Streit über die Einführung eines Registrierungssystems an Stelle des Konzessionssystems8 unter der Geltung von Art. 19 Abs. 4 GG ein mehr rechtstechnisches als materiales Thema9. Nicht die Frage, ob der zur Voraussetzung der juristischen Personifizierung erklärte konstitutive Staatsakt ein Akt der Freiwilligen Gerichtsbarkeit oder ein Verwaltungsakt ist, markiert die große rechtspolitische Frage, sondern diese lautet: Welches sind die bisher ungeschriebenen Normativbestimmungen, bei deren Erfüllung ein Recht auf juristische Personifikation besteht10? Der entscheidende rechtspolitische Coup des Gesetzgebers besteht damit in der ausdrücklichen bundesgesetzlichen Einräumung eines subjektiven öffentlichen Rechts auf Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig, vorausgesetzt, es sind folgende Voraussetzungen erfüllt (§ 80 Abs. 2 E-BGB):

  • Im Stiftungsgeschäft müssen Name, Sitz, Zweck, Vermögen und Vorstandsbesetzung geregelt sein.

  • Die nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks muss gesichert erscheinen.

  • Der Stiftungszweck darf das Gemeinwohl nicht gefährden.

Jedes dieser Merkmale wurde auch bisher schon verlangt. Die Frage, ob mehr, nämlich ein geeigneter Stiftungszweck zu verlangen ist, wird in der Begründung in aller Klarheit vom Tisch gewischt: „Als Zweck kann der Stifter jedes gemeinwohlkonforme Anliegen vorsehen … Der Stifter ist in der Zweckbestimmung frei, wenn der vorgesehene Zweck oder … die zur Verwirklichung des Zweckes erforderliche Tätigkeit gemeinwohlverträglich ist.“ Die Devise heißt also: Stiftungserrichtung leicht gemacht, solange kein Staats¬ZHR 166 (2002) S. 145 (147)feind oder Krimineller am Werke ist11! Keine Bedürfnisprüfung, keine Würdigkeitsprüfung! Da wird, wie auch sonst, im BGB aufgeräumt, wo man Gerümpel aus Kaiserzeiten mutmaßt, und das Bild des fleißigen Deutschen wird gleich mit modernisiert: vom Untertanen und Häuslebauer zum Bürger und Stiftungsgründer, ausgestattet mit einem „Recht auf Stiftung“ (Originalwortlaut Regierungsbegründung). Ein ZHR-Thema ist dies freilich immer noch nicht, und ebensowenig braucht uns hier die Frage zu beschäftigen, wie denn die Genehmigungsbehörden der Entwicklung Herr werden, wenn das neue Produkt bei Millionen von Stiftungsberechtigten so richtig einschlägt, mancher sich sogar mehrere Stiftungen leistet.

Aber jetzt kommt’s: Das neue Stiftungsrecht, in der Terminologie unserer Tage ein „Angebot des Gesetzgebers an die Praxis“, kann sich als Lieferung „just in time“ erweisen. Es trifft auf eine erwartungsfrohe Beratergemeinde, die auf ein unsterbliches und mitgliedsloses, folglich von der menschlichen Sterblichkeit und den mit ihr verbundenen Gebrechen und Nachfolge-Unwägbarkeiten befreites Allzweck-Rechtssubjekt geradezu wartet. Mit schwärmerischem Blick sieht eine sich auf die herannahende Welle von Unternehmensnachfolgefällen vorbereitende Praxis und Literatur der Befreiung des Stiftungsrechts aus der selbstgeschaffenen Enge entgegen: Da die Stiftung durch die Gesetzgebung zu ihrer steuerlichen Förderung wieder an Attraktivität für Private gewonnen habe12, habe sie es verdient, aus der stiefmütterlichen Behandlung unter den Unternehmensnachfolgemodellen befreit und für den Mittelstand nutzbar gemacht zu werden. Lieblingskind dieser Empfehlungen ist die gemeinnützige Familien-Beteiligungsträgerstiftung, mit der der Stifter, z.B. in Gestalt einer „Stiftung & Co. KG“, unter Vermeidung persönlicher Haftung und auch nach der Einführung des § 264a HGB noch unter erträglicher Publizität Vorsorge für eine „stabile Verfassung“, für Leitungskontinuität und für die Versorgung der Stifterfamilie treffen könne13. Auch wenn, wie kleinlaut ergänzt wird, die steuerliche Familienbegünstigung „bedauerlicherweise nach der Enkelgeneration endet“14 und jedes Unternehmen vor einer solchen Gestaltungsentscheidung – gleichsam in Umkehrung des Kriteriums der „Börsenreife“15 – auf seine „Stiftungsreife“ geprüft werden müsse, könne doch die unternehmensverbundene Stiftung in der Praxis ein sinnvoller Gestaltungsansatz in einem nicht unerheblichen Teil der „in den nächsten Jahren anfallenden Zehntausenden von Nachfolgefällen“ sein16. Die Vorfreude ist unverkennbar. Aber warum auf die Nachfolgesituation warten? Machen wir ZHR 166 (2002) S. 145 (148)doch gleich aus jeder GmbH & Co. KG eine Stiftung & Co., selbstverständlich ohne Kapitalbeteiligung der Komplementär-Stiftung, da ja dem kundigen Thebaner nicht entgehen wird, dass das Stiftungsvermögen dem privaten Zugriff entzogen ist17! Nachzutragen ist, dass sich „Börsenreife“ und „Stiftungsreife“ sogar auf das Schönste verbinden lassen, indem man den der KGaA in BGHZ 134, 392 konzedierten Gestaltungsspielraum nutzt und gleich nach der Stiftung & Co. KGaA greift18, geleitet von einer Komplementärin ohne garantiertes Mindestkapital und mit einem sich nach dem Stifterwillen rekrutierenden Management. Das verspricht eine ganz neue, nur zu erträgliche Leichtigkeit des Seins für den vom Gesellschaftsrecht ach so gebeutelten Mittelstand.

Wird das Unternehmensrecht, sollte dieses Szenario Wirklichkeit werden, Schaden nehmen? Das bliebe abzuwarten. Massive Verbote setzt es der Phantasie der Kautelarjuristenzunft nicht mehr entgegen. „Paternalismus“, wie es modisch genannt wird19, ist dem gegenwärtigen Zeitgeist fremd, Typenzwang im Gesellschaftsrecht ebenso überholt wie ein Denken in allgemein verbindlichen „Unternehmensverfassungen“20. Das Unternehmensrecht ist gleichwohl nicht wehrlos. Es pflegt auf der Rechtsfolgenseite zu kompensieren, was es auf der Gestaltungsseite an Laxheiten zulässt21. Das Gesellschaftsrecht mag einem neuen Stiftungsgeschehen also gelassen entgegenblicken und sich, wie schon seit Jahrzehnten bei der GmbH & Co. KG und jetzt bei der GmbH & Co. KGaA, auf den langen Weg der Rechtsfortbildung machen22. Ob Gesellschafter, Stifter, Stiftererben und Destinatäre mit Stiftung-&-Co.-Modellen auf Dauer glücklich werden, mag man deshalb getrost der Verantwortung von Gründern und Gestaltern überlassen. Ihre gegenwärtige Erwartungsfreude wird sich vielleicht etwas abkühlen, wenn eines Tages ohne mitgliedschaftliche Legitimation um Ämter und Satzungsänderungen in der „Beteiligungsträgerstiftung“ gestritten und gar über Klagebefugnisse von Destinatären und Mitgesellschaftern nachgedacht wird23 oder am Ende Familienstreitigkeiten doch auf die mitgliedschaftliche Ebene zurückgeführt werden und sich als Ausschließungsklagen gegen eine gar zu hartleibige unternehmensleitende „Beteiligungsträgerstiftung“ wenden. Die Welt geht nicht unter, wenn die Beteiligten wenig Freude an der neuen Discount-Rechtsform Stiftung haben, wenn ZHR 166 (2002) S. 145 (149)auch der Unternehmensrechtspraxis der Zukunft Besseres zu wünschen wäre als die Befassung mit den hier heraufbeschworenen Rechtsfragen.

Was nachhaltig Schaden nehmen kann, sind Geist und Gestalt des Stiftungsrechts und am Ende vielleicht die rechtsfähige Stiftung als Rechtsform. Die mitgliedslose, vom menschlichen Stirb und Werde befreite und deshalb der Legitimationskraft stetig neu zu erringenden Mitgliederkonsenses entbehrende Stiftung sollte vielleicht doch nicht „zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck“ (§ 1 GmbHG), sondern nur zu privilegierten, stiftungsadäquaten Zwecken zugelassen werden. Dies ist das Anliegen eines jahrzehntelangen Ringens um die Abgrenzung zulässiger und unzulässiger Stiftungszwecke24. Jüngst noch hat Rawert die Notwendigkeit einer kritischen Neubewertung des Gedankens der „gemeinwohlbezogenen Allzweckstiftung“ in die Erinnerung gerufen25. Diese Mahnung ist angesichts des Gesetzesentwurfs zur „Modernisierung des Stiftungsrechts“ nachdrücklich zu wiederholen. Wie ärmlich kann falsch verstandene Freiheit doch sein! Da hat eine säkularisierte Welt die historische Fessel der „pia causa“ als das den Stiftungsgedanken umschlingende Band beiseitegelegt, weiß hierfür keinen adäquaten Ersatz, setzt statt dessen auf Beliebigkeit und macht diese Beliebigkeit von Zweck und Verfassung zur ausreichenden Basis juristischer Personifikation. Das mag man billigen oder nicht, muss aber jedenfalls wissen, was man da tut! Hieran scheint es zu fehlen. „Zur Förderung des Stiftungswesens“ will der Entwurf beitragen, aber er trägt wohl doch nur zur Vervielfältigung von juristischen Personen bei. Er verheißt uns ein Stiftungs-Dorado, aber was wissen wir über Eldorado? Wir wissen nur, dass es dieses Land nicht gibt und dass, wenn es dieses Land gäbe, eines gewiss wäre: Gold wäre in Eldorado ein wertloses Gut. Solche Inflationierung kann Folgen haben. Denn was von Stiftungen zu halten ist, die nur einen unkontrollierbaren Zweck über Generationen verewigen, hat in der Enzyklopedie von Diderot und d’Alembert, jenem Hauptwerk der französischen Aufklärung, der Physiokrat und Finanzminister Turgot bereits in die Formel gekleidet26: „Il faut bien qu’on puisse à la fin les détruire.“ Aus der Sicht des Stiftungsrechts, aber auch des Unternehmensrechts und der Gestaltungen bei der Unternehmensnachfolge verdient deshalb der Zugang zum neuen Stiftungsparadies die Aufstellung einer Warntafel: „Vorsicht Falle!“

Karsten Schmidt

1

Auskunft des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen; Rechtstatsachen auch bei Mecking in: Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 33ff.

2

Der Verfasser dieses Editorials bekennt sich hiermit zu seiner Befangenheit in der Stiftungsthematik.

3

Nachweise bei Reuter in: MünchKommBGB, 4. Aufl. 2001, vor § 80 Rdn. 110ff., 119ff.

4

Bundesministerium der Justiz. Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht vom 19. Oktober 2001.

5

Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts (Stand 6. Februar 2002).

6

Begründung des Entwurfs.

7

Vgl. VerwG Düsseldorf NVwZ 1994, 811; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Aufl. 2002, § 80 Rdnr. 2.

8

Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Stiftungswesens der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen von 1997, BT-Drucks. 13/9320.

9

Karsten Schmidt in: v. Campenhausen/Kronke/Werner (Hrsg.), Stiftungen in Deutschland und Europa, 1998, S. 232ff.

10

Dazu mit umfassenden Nachweisen Reuter in: MünchKommBGB, vor § 80 Rdnrn. 34ff.; Soergel/Neuhoff, BGB, 13. Aufl. 2000, vor § 80 Rdn. 57ff.; Staudinger/Rawert, BGB, 13. Bearb. 1995, vor § 80 Rdn. 9ff., 83ff., 122ff.

11

Vgl. zum Begriff der Gemeinwohlgefährdung BVerwGE 106, 177 = NJW 1998, 2245 („Republikaner-Stiftung“).

12

Gesetz vom 14. 7. 2000, BGBl. I S. 1034; dazu Schindler, BB 2000, 2077; Mecking, NJW 2001, 202.

13
14

Schiffer/Schubert, BB 2002, 267.

15

Schiffer/Schubert sprechen von einer „Analogie“ zur Börsenreife.

16

Schiffer/Schubert, BB 2002, 265ff., 268.

17

Dazu schon die Warnung bei Karsten Schmidt, DB 1987, 261.

18

Vgl. die Prognose des Verfassers in ZHR 160 (1996), 283f.; Folgenanalyse des BGH-Beschlusses bei Ulmer (Hrsg.), Die GmbH&Co. KGaA nach dem Beschluss BGHZ 134, 392, ZHR-Beiheft, 1998.

19

Enderlein, Rechtspaternalismus und Vertragsrecht, 1996, S. 7ff.

20

Dazu noch Bericht über die Verhandlungen der Unternehmensrechtskommission, 1980, Rdn. 947ff.

21

Vgl. Westermann, FS 50 Jahre BGH II, 2000, S. 245ff.

22

Zu dieser Konsequenz vgl. neuerlich Karsten Schmidt, ZHR 160 (1996), 283ff.

23

Lehrreich OVG Koblenz DVP 1998, 433 mit Anm. Oster; OLG Koblenz v. 17. 12. 2001, 12 U 1334/01.

24

Vgl. Fn. 10.

25

Rawert in: Hopt/Reuter (Hrsg.), Stiftungsrecht in Europa, 2001, S. 130.

26

Vgl. Daire (Hrsg.), Oeuvres de Turgot, 1844 (Nachdruck 1966), S. 299ff.; dazu auch Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts I, 1963, S. 169ff.; Karsten Schmidt, Stiftungswesen – Stiftungsrecht – Stiftungspolitik, 1987, S. 8f.

 
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