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ZHR 174 (2010), 375-384
Mülbert 

Corporate Governance in der Krise

„Aufsichtsräte auf die Schulbank!“1 und „Höchste Zeit für eine Kodex-Pause“2 – unter diesen deutlichen Überschriften wurde in der renommierten Wirtschaftspresse teilweise kritisch über die am 26. 5. 2010 beschlossene diesjährige Fortschreibung des Deutschen Corporate Governance-Kodex (DCGK) berichtet. In der Tat trat in den letzten Jahren neben die sprichwörtliche Aktienrechtsreform in Permanenz eine Kodexreform in Permanenz; seit 2005 erfolgen jährlich Änderungen am Kodex. Die bisherige Entwicklung und das Erreichte auch im Lichte der eingangs anklingenden Kritik zu reflektieren, ist aktuell auch deswegen veranlasst, weil die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex im Herbst dieses Jahres einen ersten Bericht an die Bundesregierung übergeben wird. Was die seit der Finanzmarktkrise besonders im Fokus stehende Corporate Governance von Banken anbelangt, wird zudem die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 68. Deutschen Juristentags am 22./23. 9. 2010 in Berlin hierzu eine Gelegenheit bieten. Denn unter dem Oberthema „Finanzmarktregulierung – Welche Regelungen empfehlen sich für den deutschen und europäischen Finanzsektor?“ behandelt eines der drei Referate spezifisch die Corporate Governance von Banken.3

I. Internationales Umfeld

Für eine Einordnung des deutschen Entwicklungsstandes im internationalen Kontext ist vorab, wenig überraschend, zu konstatieren, dass das Thema „Reformen bei der Corporate Governance“ unter dem Eindruck der Finanzmarktkrise drastisch an Bedeutung gewonnen hat. Die Analyse etwaiger Schwächen der Corporate Governance von Banken im Lichte der Finanzmarktkrise ist nicht nur Grundlage für vielfältige Vorschläge zur Stärkung der sektorspezifischen Corporate Governance,4 sondern auch Ausgangspunkt für ZHR 174 (2010) S. 375 (376)Überlegungen zur Verbesserungen der Corporate Governance von Wirtschaftsunternehmen im Allgemeinen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien lediglich drei der wichtigsten Akteure mit ihren Diskussionsbeiträgen erwähnt:

  • Die OECD Steering Group on Corporate Governance befasste sich schon früh mit Lehren aus der Finanzmarktkrise für vier ausgewählte Bereiche: Vergütung, Risikomanagement, Board/Aufsichtsrat, Verhalten von Aktionären.5 Eine dringende Notwendigkeit für eine Überarbeitung der OECD-Prinzipien konnte die Steering Group freilich nicht erkennen, sondern lediglich Bedarf für eine bessere Umsetzung der bereits vereinbarten Standards.6

  • Die Europäische Kommission zog jüngst mit einem ersten Schritt nach, indem sie ein besondere Aufmerksamkeit verdienendes Grünbuch „Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik“ mit einer umfangreichen Sammlung teils sehr invasiver Reformideen vorlegte und darin auch ankündigte, dass sie „demnächst [d.h. Frühjahr 2011] breitere Überlegungen zur Corporate Governance börsennotierter Gesellschaften allgemein und insbesondere zur Stellung und Rolle der Aktionäre, zur Aufteilung der Aufgaben zwischen Aktionären und Verwaltungsräten im Hinblick auf die Beaufsichtigung der Geschäftsführung, zur Zusammensetzung der Verwaltungsräte sowie zur sozialen Verantwortung von Unternehmen anstellen wird“.7

  • Inspiriert wurde das Grünbuch seinerseits, insbesondere was die Inblicknahme der Rolle der Aktionäre anbelangt, durch den von Sir David Walker im Auftrag der britischen Regierung verfassten Bericht zur Corporate Governance von Banken und anderen Finanzinstituten des Vereinigten Königreichs. Dieser hatte neben sektorspezifischen Empfehlungen auch zahlreiche Vorschläge mit allgemeingültigerem Anspruch formuliert und als geeig¬ZHR 174 (2010) S. 375 (377)netes Instrument zu deren Umsetzung den Combined Code und, was das Aktionärsverhalten angeht, einen neuen „code for shareholder stewardship“ benannt.8 Der Financial Reporting Council hat diese verabredete Vorlage in der Zwischenzeit verwandelt. Die teils erhebliche Umstrukturierung und Ergänzung des Combined Code wird durch seine Umbenennung in „The UK Corporate Governance Code9 schon auf den ersten Blick erkennbar; zudem wurde soeben auch die finale Fassung des „The UK Stewardship Code“ veröffentlicht.10

Angesichts dieser Entwicklungen drängen sich einige eher kritische Bemerkungen zum Grünbuch der Europäischen Kommission (II.) und sodann zum DCGK (III.) nachgerade auf.

II. Das Grünbuch „Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik“

Defizitäre Corporate Governance-Strukturen und -Praktiken im Bankensektor werden zunehmend als eine wesentliche Ursache der Finanzmarktkrise ausgemacht. Während sich die erste Analysewelle auf makroökonomische Faktoren und Regulierungsversagen konzentrierte, rückte in einer zweiten Analysewelle der Beitrag der Corporate Governance verstärkt in das Blickfeld.11 Mancher mag eine Art Entlastungsangriff von Regierungen und Regulierern darin sehen, dass die Bedeutung von Corporate Governance-Defiziten zunehmend gegenüber den nicht vom Bankensektor zu verantwortenden Ursachen in den Vordergrund gerückt wird. In dieser Perspektive markiert das neue Grünbuch der Europäischen Kommission einen vorläufigen Höhepunkt, wenn es darin einleitend heißt: „Die Stärkung der Corporate Governance ist das Herzstück des von der Kommission erstellten Programms zur Finanzmarktreform und Krisenverhütung.“12 Denn: „Selbst wenn die Krise nicht unmittelbar der Corporate Governance anzulasten ist, so hat doch das Fehlen wirksamer Kontrollmechanismen wesentlich dazu beigetragen, dass Finanzinstitute überhöhte Risiken eingegangen sind. Diese allgemeine Feststellung ist um so beunruhigender, als der Corporate Governance als Regulierungs¬ZHR 174 (2010) S. 375 (378)instrument der Unternehmen in den letzten Jahren zahlreiche Qualitäten zugeschrieben wurden.“13

In der ex post-Betrachtung sind zahlreiche Kreditinstitute in der Tat zu hohe Risiken eingegangen und teils substantielle Corporate Governance-Defizite bei einigen Instituten nicht in Abrede zu stellen. Dass die Institute die überhöhten Risiken gerade wegen Mängeln ihrer Corporate Governance – unzureichendes Risikomanagement, Versagen von Aufsichtsrat bzw. board bei der Kontrolle der Verwaltung bzw. dem senior management, Vergütungssysteme mit Kurzfristorientierung – eingegangen sind, ließ sich jenseits von Einzelfällen (UBS) in breiter angelegten systematischen Studien bislang freilich nicht nachweisen.14 Im Gegenteil legen jüngste Arbeiten sogar nahe, dass die Institute bei ihrer Tätigkeit unter Untersicherheit ein unter Berücksichtigung dieses Umstandes ex ante effizientes individuelles Risikoprofil wählten.15

Wäre dies richtig, stünde die Corporate Governance von Banken letztlich vor einem Grundsatzproblem: Die Verwaltung eines Kreditinstituts mit breit gestreutem Aktionärskreis wird bei strikter Ausrichtung an den Interessen ihrer hinreichend diversifizierten Aktionäre eine riskantere Geschäftsstrategie verfolgen, als den Interessen von Einlegern und sonstigen Festbetragsgläubigern – bei Letzteren handelt es sich aufgrund der einzigartig hohen Vernetzung innerhalb der Kreditwirtschaft, etwa über den Interbankenmarkt und den Devisenmarkt, vielfach ebenfalls um Banken – entspricht, ohne dass die Festbetragsgläubiger ein Institut an der Eingehung solch „überhöhter“ Risiken effektiv hindern könnten. Sind Institute aufgrund ihrer systemischen Bedeutung16 zugleich „too big to fail“, stehen für eine gläubigerschutzorientierte Disziplinierung im Wesentlichen noch zwei Strategien zur Verfügung:

  • am Interesse der Festbetragsgläubiger orientierte aufsichtsrechtliche Geschäftsbeschränkungen und

  • die Verpflichtung der Verwaltung auf die Verfolgung der Einleger- statt der Aktionärsinteressen.

Eine solche (Re-)Orientierung der Leitlinie für die Unternehmenstätigkeit von Banken hieße freilich, das bisherige Organisationsmodell der Banken im ZHR 174 (2010) S. 375 (379)Grundsätzlichen in Frage zu stellen. Dies ist auch der Europäischen Kommission wohl bewusst. Im das Grünbuch begleitenden Q & A-Memo stellt sie nämlich die rhetorische Frage „Does the financial crisis put in question the existing corporate governance model in financial institutions?“, um hierauf zu antworten:

The question if the adequacy and appropriateness of the current corporate governance framework for financial institutions is a challenging one for stakeholders and public authorities. There is no straightforward answer.17

Angesichts solcher Überlegungen ist besonders zu betonen, dass die Vereinbarkeit einer reinen Einlegerorientierung mit dem geltenden Recht, und insbesondere mit der von Art. 14 GG gewährleisteten Eigentumsordnung, durch den bloßen Verweis auf das Unternehmensinteresse als (angeblicher18) Leitlinie für das Verwaltungshandeln nicht zu begründen wäre. Denn bei der exklusiven Ausrichtung auf die Einlegerinteressen blieben sowohl die Eigentümerinteressen als auch die Interessen der Arbeitnehmer sozusagen auf der Strecke.

Mustert man vor diesem Hintergrund die vom Grünbuch eher additiv zusammengetragenen Reformvorstellungen zu sechs thematischen Bereichen – Interessenkonflikte, effektive Anwendung der CG-Grundsätze, Verwaltungsrat, Risikomanagement, Rolle der Aktionäre, der Aufsicht sowie der Revisoren – durch, fällt insbesondere die nachgerade widersprüchliche Bewertung der Rolle der Aktionäre in der Corporate Governance von Finanzinstituten ins Auge. Einerseits werden Aktionäre mit relativ kurzem oder sogar extrem kurzen Anlagehorizont (drei bis sechs Monate) als Treiber einer Kurzfristorientierung der Verwaltung identifiziert; andererseits wird Aktionären – wohl im Anschluss an die Walker Review – attestiert, dass sie zu passiv und an der Entwicklung der Gesellschaften zu desinteressiert seien, und nach Wegen für eine Stärkung der Kontrolle durch die Aktionäre gesucht. Im Lichte der ersteren Feststellung erschiene eine solche Stärkung freilich eher kontraproduktiv. Geboten wäre dann vielmehr eine Stärkung der Anreize für ein länger- oder gar langfristiges Engagement von Aktionären in der Gesellschaft, etwa durch Zulassung von Differenzierungen nach der Mitgliedschaftsdauer beim Dividendenanspruch oder/und Stimmrecht, wobei erstere Lösung gegenüber einer Durchbrechung des „one share, one vote“ schon deswegen der Vorzug gebührte, weil ein höheres Stimmgewicht langfristiger Aktionäre wie etwa in ZHR 174 (2010) S. 375 (380)Frankreich das effiziente Funktionieren des Markts für Unternehmenskontrolle behindern könnte, und dies gegebenenfalls sogar politisch gewollt.

Auch im Übrigen knüpfen sich an das Grünbuch kritische Fragen. Hingewiesen sei vorliegend nur auf Folgendes: Interessenkonflikten bei Finanzinstituten werden als erstes Problemfeld aufgegriffen, obwohl in den bisherigen Erklärungen zu den Ursachen der Finanzmarktkrise oder/und der übermäßigen Risikoneigung von Finanzinstituten das Thema Interessenkonflikte praktisch keine Rolle spielte; allenfalls haben Kunden von Finanzinstituten unter Interessenkonflikten gelitten (Stichwort Goldman Sachs). Eine ähnliche Vermischung findet sich auch beim Stichwort Risikomanagement, wenn an erster Stelle die fehlende Schulung der am Vertrieb risikobehafteter Produkte beteiligten Beschäftigten genannt wird. Zumindest irritierend mutet sodann an, wenn die ungenügende Tätigkeit der Verwaltungsräte (Aufsichtsrat/board) auf einen Mangel an Vielfalt in Bezug auf das Geschlechterverhältnis, die soziale und kulturelle Herkunft und den Bildungshintergrund zurückgeführt werden. Abgesehen davon, dass das Fehlen einer akademischen Ausbildung wohl kaum zur Qualitätssteigerung der Aufsichtsratstätigkeit beitragen wird, geht es hierbei offenkundig primär um allgemeine gesellschaftspolitische Zielsetzungen. Andernfalls könnte sich die im Grünbuch erhobene Forderung nach Diversity nicht auf die Zusammensetzung des Verwaltungsrats beschränken, sondern müsste sich, wie vom Deutschen Corporate Governance Kodex in sich konsequent verwirklicht (Ziff. 4.1.5 DCGK), auch auf die Besetzung von Vorstand und sonstigen Positionen mit Führungsfunktion erstrecken. Schließlich ist zu konstatieren, und diese Kritik betrifft auch das das Grünbuch begleitende Arbeitspaper,19 dass die harsche Kritik an der Corporate Governance von Finanzinstituten sich in wesentlichen Teilen auf Einzelbeispiele und Einzelaussagen, also auf die von Ökonomen als juristentypisch verpönte anecdotal evidence, stützt. Auch als Jurist muss man jedoch bezweifeln, dass eine derart auf punktuelle Beobachtungen und Aussagen gegründete, aber umfassend angelegte Verschärfung der Corporate Governance-Anforderungen eine bessere Regulierung statt lediglich ein Mehr an Regulierung brächte.

III. Deutscher Corporate Governance-Kodex versus UK Corporate Governance Code

1. Gegenüberstellung

Was die Weiterentwicklung des Deutschen Corporate Governance-Kodex seit dem Ausbruch der Finanzmarktkrise im Juni 2007 anbelangt, ist die Gegenüberstellung mit der Fortentwicklung des Combined Code zum UK Corporate Governance Code aufschlussreich.

ZHR 174 (2010) S. 375 (381)

Beim DCGK erfolgten schwerpunktmäßig Änderungen bei den Empfehlungen zur Vorstandsvergütung (2008, 2009), zur Stärkung und weiteren Professionalisierung der Aufsichtsräte (2009, 2010) und zur Diversity in Vorstand und Aufsichtsrat (2009, 2010).

Im UK Corporate Governance Code finden sich demgegenüber sehr viel umfangreichere Änderungen gegenüber dem Combined Code i.d.F. von 2008, die sich etwa wie folgt gruppieren lassen:

  • Stärkung der Funktionsfähigkeit und Effizienz des Board durch (i) eine verstärkte Inpflichtnahme des Chairman, (ii) die Verpflichtung der nichtgeschäftsführenden Mitglieder des Board auf ein größeres inhaltliches und zeitliches Engagement, (iii) erhöhte Anforderungen an die Zusammensetzung des Board unter den Aspekten Sachkunde, Erfahrung, und Unabhängigkeit, aber auch mit Blick auf Diversity, und (iv) eine regelmäßige (Selbst-)Evaluation;

  • Ausrichtung der leistungsbezogenen Vergütung am langfristigen Unternehmenserfolg;

  • erhöhte Anforderungen an das Risikomanagement, indem der Board bei der Festlegung des Risikoprofils der Gesellschaft mitzuwirken und sich zu vergewissern hat, dass angemessene Systeme zur Identifizierung, Bewertung und zum Management erheblicher Risiken für die Gesellschaft vorhanden sind;

  • weitere Stärkung des Dialogs mit und der Verantwortlichkeit gegenüber den Aktionären, insbesondere durch die jährliche Wiederwahl der Mitglieder des Board bei den im FTSE 350 enthaltenen Gesellschaften.

Insgesamt sind für die jeweiligen Änderungen der beiden Regelwerke weithin inhaltliche Parallelen oder jedenfalls übereinstimmende Zielsetzungen zu konstatieren. Was die Fortbildung von Aufsichtsratsmitgliedern im Besonderen anbelangt, enthielt schon der Combined Code eine dahingehende Bestimmung. Nicht zu übersehen sind freilich auch einige substantielle Unterschiede.

2. Unterschiede

Markante Abweichungen zwischen den beiden Kodices bestehen in viererlei Hinsicht:

  • Zur Diversity gibt der DCGK i.d.F. von 2010 schlicht vor, dass der Vorstand hierauf bei der Besetzung von Führungsfunktionen im Unternehmen zu achten und dabei insbesondere eine angemessene Berücksichtigung von Frauen anzustreben hat (Ziffer 4.15 DCGK) und dass auch der Aufsichtsrat all dies bei der Zusammensetzung des Vorstands (Ziffer 5.1.2 DCGK) sowie bei der Zusammenstellung der Wahlvorschläge für den Aufsichtsrat (Ziffer 5.4.1 Abs. 2 DCGK) zu beachten hat. Demgegenüber ist im UK Corporate Governance Code lediglich davon die Rede, dass bei der Zusammensetzung des Board die Berücksichtigung der fachlichen Fähigkeiten und Er¬ZHR 174 (2010) S. 375 (382)fahrungen (merits) um„due regard for the benefits of diversity on the board, including gender“ (UK Corporate Governance Code Section B.2 Supporting Principle) zu ergänzen sei. Diese Formulierung verdient gegenüber denjenigen des DCGK schon deswegen den klaren Vorzug, weil Diversity nicht zum gesellschaftspolitischen Selbstzweck erhoben, sondern nur insofern geboten wird, als die Gesellschaft hiervon einen Gewinn hat. Denn die Corporate Governance umfasst zwar eine breite Palette inhaltlich sehr heterogener Strukturen, Mechanismen und Regeln für die Unternehmensführung und -kontrolle.20 Gemeinsam ist ihnen aber ein funktionaler Bezug dahingehend, dass sie die Ausrichtung der Unternehmenstätigkeit auf das Interesse der Aktionäre oder, je nachdem, einer breiteren oder ganz abweichenden Gruppe von Stakeholdern zu sichern suchen. Nicht mehr zur Corporate Governance gehören dagegen Regeln, die allgemeine gesellschaftspolitische Zielsetzungen wie etwa die Erhöhung des Frauenanteils verfolgen.

    In diesem Kontext stellt sich die Frage nach der verfassungsrechtlichen Bewertung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und der von ihr postulierten Kodexempfehlungen21 dann mit besonderer Schärfe: Darf die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex ein nachgerade allgemeinpolitisches Mandat deswegen wahrnehmen, weil sie lediglich Empfehlungen formuliert?

    Unabhängig hiervon erscheint die neue Empfehlung, dass der Aufsichtsrat für seine Zusammensetzung konkrete Ziele benennen soll, die insbesondere eine angemessene Berücksichtigung von Frauen vorsehen (Ziffer 5.4.1 Abs. 2 DCGK), auch mit Blick auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG jedenfalls nicht ganz selbstverständlich. Über die Anteilseignervertreter im Aufsichtsrat bestimmen (noch?) die Aktionäre als die Anteilseigentümer. Diesen qua Kodexempfehlung vorzugeben oder, wie in der politischen Begleitdiskussion zu den Kodexänderungen 2010 angedroht, sogar kraft Gesetzes vorzuschreiben, wer ihre Interessen im Aufsichtsrat wahrnimmt, erscheint mit Art. 14 GG kaum vereinbar. Soll etwa einer Mehrheitsaktionärin vorgegeben werden können, dass sie eine angemessene Zahl von Männern als Aufsichtsratsmitglieder wählen soll? Handgreiflichen Zweifeln begegnet dies nicht zuletzt, soweit die Eigentümerkontrolle wie im Falle der (quasi-)paritätischen Mitbestimmung nach dem MitBestG 1976 ohnehin sozusagen am seidenen Faden hängt.

  • Die Ausrichtung des UK Corporate Governance Code auf die Aktionäre und deren Einbeziehung in einen Dialog mit der Gesellschaft ist dem DCGK fremd. Das gilt erst recht für die jährliche Wiederwahl der Mitglieder des Board bei den Gesellschaften des FTSE 350. Ob diese neue Regel ZHR 174 (2010) S. 375 (383)dauerhaft Bestand haben wird, bleibt freilich abzuwarten. Sie steht im Spannungsverhältnis mit den erhöhten Anforderungen an die fachlich-sachliche Qualifikation der Mitglieder des Board und dem für diese geltenden Fortbildungsgebot. Deren Anreize für so genannte firmenspezifische Investments sinken offenkundig, wenn sie sich jährlich zur Wiederwahl stellen müssen.

  • Das Thema „Risikomanagement und interne Kontrolle“ behandelt der UK Corporate Governance Code nunmehr gerade vorbildhaft. Section C.2 sieht als Hauptprinzip vor:

    The board is responsible for determining the nature and extent of the significant risks it is willing to take in achieving its strategic objectives. The board should maintain sound risk management and internal control systems.

    Flankiert wird dies durch das Gebot, die Effektivität des Risikomanagementsystems und des internen Kontrollsystems jährlich zu überprüfen (UK Corporate Governance Code Sect. C.2.1). Diese Betonung des Risikomanagements im umfassenden Sinne vollzieht die aufsichtsrechtlich vorangetriebene Entwicklung bei Kreditinstituten (§ 25a KWG) und der Versicherungswirtschaft (§ 64a VAG) gesellschaftsrechtlich nach. Demgegenüber beschränkt sich der DCGK weiterhin auf die Wiedergabe des § 91 Abs. 2 AktG (Ziffer 4.1.4 DCGK), welcher nach der von der Gesetzesbegründung gedeckten Lesart gerade kein Risikomanagement im umfassenden Sinne gebietet.22

  • Vielsagend erscheint schließlich eine letzte Diskrepanz. Eine zentrale Reorientierung des UK Corporate Governance Code verbindet sich mit dem Stichwort „Effektivität der Tätigkeit des Board“. Schon das Vorwort zum neuen Regelwerk macht ausgehend von der Feststellung „it seems that there is almost a belief that complying with the Code itself constitutes good governance23 klar, dass dieses ein effektive(re)s Tätigwerden des Board zu fördern sucht, nicht die formale Einhaltung seiner Vorgaben, und dementsprechend ist die neue Section mit „Effectiveness“ überschrieben. Demgegenüber steht für den DCGK der Aspekt der Compliance mit dem Kodex noch immer klar im Vordergrund. Bezeichnenderweise hat die Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex in ihrer Ankündigung zu den Inhalten ihres Berichts an die Bundesregierung die Einhaltung der Empfehlungen des Kodex an erster Stelle genannt.24 Selbst auf Seiten ZHR 174 (2010) S. 375 (384)der Betriebswirtschaftslehre findet die Frage nach der Einhaltung des Kodex teilweise größere Aufmerksamkeit25 als diejenige nach dessen Effizienzwirkungen26, obwohl doch selbst aus juristischer Sicht der letztere Aspekt im Vordergrund stehen sollte.

IV. Schlussbemerkungen

Mit dem Titel „Corporate Governance in der Krise“ verbinden sich nach alledem zwei unterschiedliche Fragestellungen mit geradezu gegensätzlichen Antworten.

Eine Krise der Corporate Governance ist insoweit zu konstatieren, als deren Regeln zur Verwirklichung allgemeiner (gesellschafts)politischer Zielsetzungen instrumentalisiert werden. Entsprechende Aktivitäten der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex sind angesichts deren höchst mittelbaren demokratischen Legitimation kaum zu rechtfertigen.

Eine Krise der Corporate Governance im Sinne eines breitflächigen Funktionsversagens in der Finanzmarktkrise ist hingegen nicht zu erkennen. Dass die Finanzmarktkrise nahezu alle systemrelevanten großen Institute in Europa und den USA erschütterte, ist entgegen dem Grünbuch der Europäischen Kommission27 weniger ein Ausweis für das Versagen des bestehenden Corporate Governance-Systems bei Finanzinstituten, sondern verweist vielmehr auf immanente Leistungsgrenzen auch einer guten Corporate Governance. Systemische Krisen kann sie nicht verhindern. Sie vermag nicht einmal auszuschließen, dass eine einzelne Gesellschaft insolvent wird, sondern allenfalls die Wahrscheinlichkeit hierfür verringern – nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Den Regeln guter Corporate Governance mehr abverlangen hieße, eine neue Erwartungslücke aufzubauen und hierdurch dann auch die Corporate Governance in eine Krise zu stürzen.

Peter O. Mülbert

1

Döhring, Börsen-Zeitung v. 19. 6. 2010, Nr. 115, S. 8.

2

Jahn, Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17. 6. 2010, Nr. 137, S. 11.

3

Gutachter: Daniel Zimmer, Martin F. Hellwig, Wolfram Höfling; Abteilungsvorsitz: Klaus J. Hopt, Wolfgang Schön (Stellvertreter), Thomas Mayen (Stellvertreter); Referenten: Gregor Bachmann (Corporate Governance der Banken), Thorsten Pötzsch, Hans-Günter Henneke.

4

Überblick m. w. N. bei Mülbert, Corporate Governance of Banks after the Financial Crisis – Theory, Evidence, Reforms, ECGI Law Working Paper No. 130/2009 (Version April 2010), S. 27ff. (http://ssrn.com/abstract=1448118); seitdem insbesondere noch Basel Committee on Banking Supervision, Principles of enhancing corporate governance, consultative document, March 2010 (http://www.bis.org/publ/bcbs168.htm).

5

Siehe Kirkpatrick, Financial Market Trends 2009, 1ff. (abrufbar unter http://www.oecd.org/document/48/0,3343,en_2649_34813_42192368_1_1_1_1,00.html).

6

OECD, Corporate Governance and the Financial Crisis: Key Findings and Main Messages, June 2009, S. 7. Als jüngsten Folgebericht siehe OECD, Corporate Governance and the Financial Crisis: Conclusions and emerging good practices to enhance implementation of the Principles, 24 February 2010 (beide Dokumente abrufbar unter http://www.oecd.org/document/48/0,3343,en_2649_34813_42192368_1_1_1_1,00.html).

7

Europäische Kommission, Grünbuch Corporate Governance in Finanzinstituten und Vergütungspolitik, KOM(2010)284/3. Als Begleitdokument siehe Commission Staff Working Document, Corporate Governance in Financial Institutions: Lessons to be drawn from the current financial crisis, best practices, SEC(2010)669 (beide abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/modern/corporate_governance_in_financial_institutions_en.htm#consultation2010).

8

Walker, A review of corporate governance in UK banks and other financial industry entities – Final recommendations, November 26, 2009, S. 7, 231 f. (Walker Review) (abrufbar unter http://www.hm-treasury.gov.uk/walker_review_information.htm).

9

Financial Reporting Council, The UK Corporate Governance Code, June 2010 (http://www.frc.org.uk/corporate/ukcgcode.cfm).

10

Financial Reporting Council, The UK Stewardship Code, July 2010 (http://www.frc.org.uk/corporate/investorgovernance.cfm).

11

Dazu m.w.N. Mülbert (Fn. 4), S. 7ff.

12

Europäische Kommission, Mitteilung „Impulse für den Aufschwung in Europa“, KOM(2009)114 endg. (ttp://eur-lex.europa.eu/LexUri. S.erv/LexUri.S.erv.do?uri =CELEX:52009DC0114:EN:NOT).

13

Europäische Kommission (Fn. 7), S. 2.

14

Siehe Mülbert (Fn. 4), S. 27, 31 f. mit Auswertung bisheriger Studien.

15

Siehe Pacces, Uncertainty and the Financial Crisis, ECGI Law Working Paper No. 159/2010 (http://ssrn.com/abstract=1564103).

16

Dazu International Monetary Fund/Bank for International Settlements/Financial Stability Board, Guidance to Assess the Systemic Importance of Financial Institutions, Markets and Instruments: Initial Considerations – Background Paper, October 2009 (http://www.financialstabilityboard.org/publications/r_091107d.pdf); Tarashev/Borio/Tsatsaronis, The systemic importance of financial institutions, BIS Quarterly Review, September 2009, S. 75ff.; dies., Attributing systemic risk to individual institutions, Bank for International Settlements Working papers 308, May 2010 (beide abrufbar unter http://www.bis.org/cbhub); Günther, WM 2010, 825ff.

17

Europäische Kommission, European Commission Green Paper on corporate governance in financial institutions and report on remuneration – frequently asked questions, MEMO/10/229 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/internal_market/company/modern/corporate_governance_in_financial_institutions_en.htm).

18

Siehe Mülbert, AG 2009, 766, 770ff.

19

Commission Staff Working Document (Fn. 7), passim.

20

Instruktive Zusammenstellung bei Hopt, FS Hüffer, 2009, S. 355, 358ff., siehe ferner Hommelhoff/Hopt/von Werder, Handbuch Corporate Governance, 2. Aufl. 2009, passim.

21

Dazu zuletzt bedenkenswert Hoffmann-Becking, FS Hüffer, 2009, S. 337ff.

22

Siehe nur Hüffer, AktG, 9. Aufl. 2010, § 91 Rdn. 4ff., 9.

23

Financial Reporting Council (Fn. 9), S. 2.

24

Siehe Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex, Pressemitteilung vom 11. 2. 2010 (abrufbar unter http://www.corporate-governance-code.de/ger/news/index.html).

25

Zuletzt wieder von Werder/Talaulicar, Betrieb 2010, 853ff.

26

Siehe aber Nowak/Mahr/Rott, ZGR 2005, 252 ff.; Goncharov/Werner/Zimmermann, Corporate Governance: An International Review 14 (2006), 432ff.; ferner auch Drobetz/Schillhofer/Zimmermann, European Financial Management 10 (2004), 267 ff.

27

Europäische Kommission (Fn. 7), S. 1 a.E.

 
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