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ZHR 173 (2009), 443-453
Müller-Graff 

Das verschleierte Antlitz der Lissabonner Wirtschaftsverfassung

Wirtschaftsverfassungsrecht steuert Wirtschaftsrecht: sowohl in dessen rechtspolitischer Gestaltung als auch in der Auslegung seiner Einzelelemente (namentlich der Handlungsfreiheiten, Wettbewerbsregeln, Regulativnormen und Organisationsbestimmungen einschließlich des Gesellschaftsrechts1). Europäisches Wirtschaftsverfassungsrecht hat Anwendungsvorrang vor nationalen Normen.2 Europäisches Wirtschaftsverfassungsrecht im Sinne primärrechtlicher Vorgaben für die Koordination von Produktionsfaktoren und Produkten macht in seinem normativen Grundmuster3 judikative (und oft auch rechtspolitische) Einsichten und Entwicklungsmuster als systemrational vorgezeichnet wahrscheinlich und (relativ) vorhersehbar, ehe sie sich – oft zur Verwunderung der Öffentlichkeit – tatsächlich einstellen: so etwa die Entwicklungslinien der Rechtsprechung des EuGH „Centros4, „Überseering5, „Inspire Art6 oder „Bosman7, „Viking8, „Laval9. Deshalb bedarf jede Primärrechtsänderung (vor allem des EU- und EG-Vertrages) besonderer Aufmerksamkeit. Dies gilt derzeit für den Lissabonner Reformvertrag10, der zwar weitestgehend die Neuerungen des im französischen Referendum gescheiterten Verfassungsvertrages (VVE)11 enthält,12 jedoch in den für die europäische Wirtschaftsverfassung maßgeblichen Normen, insbesondere aufgrund des ZHR 173 (2009) S. 443 (444)Drängens Frankreichs13, seinerseits Novitäten aufweist. Schon ist die Frage nach dem künftigen Stellenwert des Wettbewerbs präsent14 und sogar die These einer ungewöhnlichen Dichotomie der Wirtschaftsverfassung in den Raum gestellt.15 Vielleicht aber spiegelt der neue Text ähnlich dem Bildnis des Dorian Gray nur die Verwerfungen wider, welche sich tatsächlich ereignen, ohne dass das agierende Idealbild dies zu erkennen gibt. Von Interesse ist, ob die Text- und Lokationsänderungen (I) auch normativ erhebliche Substanzänderungen (II) beinhalten.

I. Semantik und normative Textlokationen sind politisch nicht bedeutungslos. Dies zeigte sich schlagartig, als das Wort des Europäischen Verfassungsrechts aus den europarechtswissenschaftlichen16 und höchstgerichtlichen17 Laboren mittels des Verfassungsvertrags in den Freilandversuch der politischen Auseinandersetzung geriet. Daher sind die wichtigsten Lissabonner Textänderungen im Ziel- und Grundsätzebereich, die das Wirtschaftsverfassungsrecht betreffen, in Augenschein zu nehmen.

1. Der Reformvertrag offeriert mit dem neuen Art. 3 EUV eine komplette Neuformulierung der bislang zweigeteilten Zielbestimmungen von EU-Vertrag (derzeit Art. 1 Abs. 3, 2) und EG-Vertrag (derzeit Art. 2–4) und beseitigt dadurch jedenfalls textlich auch gemeinschaftsrechtliches Urgestein. Die Neuformulierung ist Konsequenz der seit langem angestrebten18 Zusammenführung von Gemeinschaft und Union zu einer einheitlichen Organisation, wie dies jetzt unter dem semantisch einfachen, inhaltlich aber aseptischen und sogar eher missverständlichen Namen „Europäische Union“ unter schmerzlichem Verzicht auf Ophüls luziden19 Gemeinschaftsbegriff geschieht; missverständlich ist dies, weil die rechtliche Konsistenz der Europäischen Union derjenigen der derzeitigen Europäischen Union ebensowenig entspricht wie derjenigen der Mittelmeerunion, sondern überwiegend vom supranationalen Acquis der Europäischen Gemeinschaft geprägt ist. Für Supranationalität steht aber bislang zuvörderst der Gemeinschaftsbegriff, während der Unionsbegriff ZHR 173 (2009) S. 443 (445)die Intergouvernementalität abbildet. Die Rechtstechnik der Zusammenführung selbst siedelt zwischen Teilsukzession (der Europäischen Union zur Europäischen Gemeinschaft20) und umwandlungsartiger Verschmelzung der derzeitigen (allerdings rechtspersönlichkeitslosen) Union auf die Rechtspersönlichkeit der Europäischen Gemeinschaft. Unter Verzicht auf die kodifikatorische Errungenschaft des Verfassungsvertrags bleibt es aber trotz organisationeller Zusammenführung bei der Grundlage von zwei (nunmehr als gleichrangig bezeichneten) Verträgen, von denen der EG-Vertrag verlegen umbenannt wird in „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“ (AEUVoder AV).

2. Der neue Zielartikel weist im Verhältnis zum Acquis und zum VVE mehrere für das Antlitz der Wirtschaftsverfassung relevante Textänderungen auf.

a) Zuallererst fällt die textliche Rangabstufung der Marktintegration ins Auge. Sie wird vom Lissabonner Reformvertrag von dem seit Anbeginn des EWG-Vertrages ersten Zielverwirklichungsweg („Aufgabe der Gemeinschaft ist es, durch die Errichtung eines Gemeinsamen Marktes…“21) in ein operatives Ziel hinter den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in einen nachgestellten Absatz gebracht22 und nunmehr durchgängig als Binnenmarkt (unter Aufgabe des Begriffs des Gemeinsamen Marktes) bezeichnet. Ersteres beseitigt die vom Verfassungsvertrag noch vorgesehene textliche Verknüpfung des allgemeinen Freiheitsraums mit dem binnenmarktlichen Raum.23

b) Aufmerksamkeit verdient des Weiteren eine zweite textliche Neuerung. Der Reformvertrag tilgt den ausdrücklichen Wettbewerbsbezug im Zielartikel fast vollständig. Der Verpflichtung auf den Binnenmarkt fehlt dadurch nicht nur dessen im Verfassungsvertrag enthaltene qualifizierende Kennzeichnung „mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb“, sondern auch das im derzeitigen Tätigkeitsspektrum der Gemeinschaft in Art. 3 EGV seit jeher prominent hervorgehobene System, das den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts vor Verfälschungen schützt.24 Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV in der Lissaboner Fassung besagt lediglich, dass die Union einen Binnenmarkt errichtet. Damit scheint der Reformvertrag Abschied vom oder jedenfalls Distanz zum bislang gänzlich unbestrittenen Kraftquell der wirtschaftsprivatautonomen Vernetzung des gemeinsamen Wirtschafts- und Integrationsraums durch das Wettbewerbsprinzip zu nehmen. Dessen bisherige Leistung für die europäische Integration wurde überdies in Ausblendung der Tatsachen vom derzeitigen ZHR 173 (2009) S. 443 (446)französischen Staatspräsidenten wunderlich herabgewürdigt25 und dessen Hervorhebung als Gemeinschaftsziel in Verkennung des Normzusammenhangs des EG-Vertrags sogar vom derzeitigen Kommissionspräsidenten befremdlich zur Auffassung „gewisser Extremisten“26 (sic) erklärt.

Folgerichtig müsste mit der Herausnahme des Systems eines unverfälschten Wettbewerbs aus dem Zielbereich der Union auch deren Kompetenz zur Regelung der Zusammenschlusskontrolle entfallen. Denn deren derzeitige Bestimmungen27 fußen wegen der tatbestandlichen Grenzen des Art. 83 EGV auch auf der Abrundungsermächtigung des Art. 308 EGV (in der Lissabonner Perspektive: Art. 352 AV), die die Gemeinschaft (perspektivisch: die Union) auch bei Fehlen einer speziellen Kompetenz zum Tätigwerden befugt, wenn es erforderlich erscheint, „um … eines ihrer Ziele zu verwirklichen“. Angesichts dieses bei den Verhandlungen noch rechtzeitig erkannten Problems schlägt der Reformvertrag an versteckter Stelle eine bemerkenswerte Volte. Aus dem Schauraum für das Publikum verschoben in das Hinterzimmer eines Kurzprotokolls über den Binnenmarkt und Wettbewerb findet sich in gewundener Sprache dann doch die Aussage: „Die Hohen Vertragsparteien … unter Berücksichtigung der Tatsache, daß der Binnenmarkt, wie er in Art. 228 des Vertrages über die Europäische Union beschrieben wird, ein System umfaßt, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt – sind übereingekommen, daß für diese Zwecke die Union erforderlichenfalls nach den Bestimmungen der Verträge, einschließlich des Art. 352 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union tätig wird.“ Lokation und Formulierung wirken, als wolle man sich politisch nicht zu sehr mit dem Wettbewerbsgedanken kontaminieren. Vor allem kann die Wendung „erforderlichenfalls nach den Bestimmungen der Verträge … tätig wird“ den stetig nachwachsenden Kohorten von Interpreten bei deren normativer Verständnisentwicklung suggerieren, „die Union“ kümmere sich nur ausnahmsweise um die (vom Reformvertrag beibehaltene) Kartell- und Missbrauchaufsicht, Zusammenschlusskontrolle und Beihilfenaufsicht.

c) Gleichfalls im Zielbereich kommt es drittens zu einer textlichen Veränderung des Leitbilds für die Wirtschaftspolitik von Union und Mitgliedstaaten. Deren derzeitige Verpflichtung auf den „Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb“ (Art. 4 Abs. 1 EGV) verschwindet in der Lissabonner Neuformulierung gleichfalls gänzlich aus den Kopfartikeln. Zwar überlebt sie versteckt in der Texttiefe einiger unveränderter fachpolitischer Bestimmungen (Wirtschafts- und Währungsunion29, Transeuropäische Net¬ZHR 173 (2009) S. 443 (447)ze30, Industriepolitik31), aber die derzeit exponierte Ausstrahlungschance ist dahin. Stattdessen plaziert der Reformvertrag wie schon der Verfassungsvertrag im Zielartikel die Aufgabe der Union, auf „eine in hohem Maße wettbewerbsfähige soziale Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt“ hinzuwirken (projektierter Art. 3 Abs. 3 S. 2 EUV). Die ausdrückliche textliche Erhebung des auslegungsoffenen Terminus „soziale Marktwirtschaft“ in die ranghöchste Normstufe, die im Recht dessen Erfinderlands32 nicht erfolgte,33 wird nunmehr auf europäischer Ebene vollzogen. Zugleich wird unrealistisch ambitiös „Vollbeschäftigung“ statt derzeit „ein hohes Beschäftigungsniveau“ zum Ziel gesetzt. Demgegenüber scheint die vorgeklinkte Eigenschaft „wettbewerbsfähig“ eher eine Durchsetzungsdimension im weltweiten Wettbewerb anzutönen, die aber keineswegs zwingend auf internen Wettbewerb setzt, sondern in der derzeitigen Vertragsterminologie sogar eher interventionistisch eingefärbt ist.34

d) Bemerkenswert ist weiters eine textliche Eigenheit in den Eröffnungsbestimmungen insbesondere im Verhältnis zu dem im wesentlichen formulierungsleitenden Verfassungsvertrag. Es ist ein Schweigen im Zielbereich, in dem der Verfassungsvertrag sehr verständig die Grundgrammatik des materiellen Gemeinschaftsrechts aussprach. Die dort im Eingangsbereich des Vertrages exponiert noch vor den Kompetenzen der Union plazierte Hervorhebung der Gewährleistung der vier unmittelbar anwendbaren35 grenzüberschreitenden Marktgrundfreiheiten (Art. I-4 Abs. 1 VVE: freier Personen-, Dienstleistungs-, Waren- und Kapitalverkehr einschließlich Niederlassungsfreiheit) wird vom Reformvertrag fallengelassen. Aber auch deren im derzeitigen Acquis herausgestellte Nennung (Art. 3 Abs. 1 c) EGV) verschwindet. ZHR 173 (2009) S. 443 (448)Zwar bleiben sie als rechtliche Ermöglichung des transnationalen binnenmarktlichen Wettbewerbs im AV erhalten, aber das Signalfeuer ihrer fundamentalen rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Integrationsrolle erlischt. Eher verwirrend wird eine Teilmenge davon (nämlich die Arbeitnehmerfreizügigkeit, Niederlassungsfreiheit und aktive Dienstleistungsfreiheit der Unionsbürger) schutzverdoppelnd36 in das spezifische unionsbürgerliche Grundrechtskonzept der als Primärrecht projektierten Grundrechte-Charta eingestellt (Art. 15 Abs. 2 GRCh).

3. Das in den Zielbestimmungen angespielte Motiv des semantischen oder lokativen Abschliffs der wettbewerblichen Dimension wird vereinzelt in die Tiefe der Einzelbestimmungen geführt. Insbesondere verliert die Präzisierung des Binnenmarktziels (derzeit Art. 14 Abs. 2 EGV) ihre Stellung im Grundsatzteil. Lissabon reiht sie – hinter den Grundsätzen sowie die Nichtdiskriminierung und Unionsbürgerschaft – als Art. 26 AV in den Dritten Teil unter dem Titel „Die internen Politiken und Maßnahmen der Union“ ein. Kurioserweise behält demgegenüber die Bestimmung zur Bedeutung der sog. Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (derzeit Art. 16 EGV) ihre Lokation im Grundsatzteil (unter Übernahme der vom Binnenmarkt freigegebenen Normziffer: Art. 14 AV); kurios ist dies, weil deren binnenmarktrechtliche Sonderstellung (infolge ihrer Ausrichtung auf eher regional begrenzte Kollektivsicherungssysteme) ohne die interregional zusammenführende und gemeinschaftsbildende Funktion des Binnenmarktes nicht verständlich ist.

II. Ob diesen Text- und Lokationsänderungen freilich auch rechtserhebliche Substanzänderungen des Europäischen Wirtschaftsverfassungsrechts beinhalten, befeuert Spekulationen über die künftige Auslegung des veränderten Normgefüges. Künftige Interpreten sind daran zu erinnern, dass der systemrationale Zusammenhang des Normgefüges maßgeblich zu sein hat. Hierbei haben vor allem vier vertragliche Orientierungspunkte Auslegungsgewicht: die Rolle des Wettbewerbs (1), die Systematik und innere Logik des AV (2), die wirtschaftspolitische Leitbildrolle (3) und die integrationskonzeptionelle Rolle des wettbewerbsverfassten Binnenmarktes (4).

1. Die rechtsnormative Zielrolle des Wettbewerbs wird teils als erschüttert angesehen37 und daher werden die Normen zur Wirtschafts- und Währungsunion von einem Autor vorsorglich sogar als „monetaristisch-marktwirtschaftliche Enklave“ im Territorium einer (andersartigen) sozialen Marktwirtschaft proklamiert.38 Eine derartige Zweiteilung ist jedoch nicht angezeigt. Denn erstens hat das Protokoll zur Rolle von Binnenmarkt und Wettbewerb ZHR 173 (2009) S. 443 (449)nicht nur eine kompetenzrechtliche Absicherungsfunktion,39 sondern erklärt den Wettbewerb zum konstitutiven Teil des Binnenmarkts. Dessen Wettbewerbsorientierung nimmt damit teil an dessen operativer Zielfunktion im projektierten neuen Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV, mithin auch an der mitgliedstaatlichen Pflicht zur Unionstreue.40 Zweitens anerkennt auch das derzeitige Primärrecht Elemente der Sozialgestaltung,41 insbesondere Vorkehrungen zum mitgliedstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Rechtsgüterschutz,42 ohne dies aber bislang auf den begrifflichen Punkt der sozialen Marktwirtschaft zu bringen. Und drittens bleibt bei genauerer Betrachtung des Reformvertrages die rechtliche Spannweite der Verpflichtung der Wirtschaftspolitik von Union und Mitgliedstaaten auf eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb unverändert.43 Ihre Nichterwähnung im allgemeinen Zielbereich (projektierter neuer Art. 3 EUV) wird durch drei rechtspositive Vorkehrungen für die Auslegung voll ausgeglichen: (1) das (im Gegensatz zum Verfassungsvertrag wieder in die Kopfartikel aufgenommene) operative Ziel der Wirtschafts- und Währungsunion (projektierter neuer Art. 3 Abs. 4 EUV) schlägt die Brücke zur ausdrücklichen Verpflichtung des Art. 119 AV auf eine offene Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb; (2) Art. 119 AV enthält seinerseits die ausdrückliche querschnittsartige Rückverbindung dieser Verpflichtung auf die gesamte Tätigkeit der Mitgliedstaaten und der Union im Sinne des neuen Art. 3 EUV;44 (3) die ausdrückliche Bezugnahme wird, wie gezeigt, in Einzelpolitiken beibehalten, die besonders abweichungsanfällig sind.

Überdies wäre eine rechtsnormative Aussonderung wirtschaftsrelevanter Einzelpolitiken aus dem Begriff der Wirtschaftspolitik ein künstlicher und rabulistischer Auslegungszauber. Schließlich stützt die als Primärrecht projektierte Grundrechtecharta die Grundpfeiler einer Marktwirtschaft (Berufsfreiheit, Unternehmerische Freiheit, Eigentumsrecht, Gleichheit vor dem Gesetz) gegenüber unionalen Maßnahmen und deren mitgliedstaatlicher Umsetzung.2. Der zweite Gesichtspunkt zugunsten der Auslegungskontinuität entstammt der wirtschaftsrechtlichen Systematik und inneren Logik des AV. Diese bleibt nahezu unverändert, was angesichts der aufgezeigten textchirurgischen Neuerungen in den für das Wirtschaftsverfassungsrecht maßgeblichen Grundnormen überraschen mag. Zwar wird, wie gezeigt, die Präzisierung der Binnenmarktdefinition textlokativ umgestellt, indes bleiben Gefüge und Grundsatzbestimmungen der unmittelbar anwendbaren Marktgrundfreiheiten und ZHR 173 (2009) S. 443 (450)Wettbewerbsregeln sowie die Ermächtigungsnormen zum marktintegrativen Aufsichts- und Rechtsangleichungsrecht sowie das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion bis hinein in die Abfolge der Normen unverändert: Warenverkehrsfreiheit, Personenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit sowie die Ermächtigungsnormen zur Freizügigkeitssicherung im so genannten Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts,45 gefolgt von den vertrauten Wettbewerbsregeln (Kartellverbot, Missbrauchsverbot, Beihilfenverbot) sowie den Normen über die indirekte mitgliedstaatliche Besteuerung, das marktintegrative Angleichungsrecht und das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion. Diese (auch Umstellungen des VVE46 nicht wieder aufnehmende) Systematik ist Ausdruck des unveränderten Marktintegrationskonzepts und seines rechtlichen Gewährleistungsmusters. Daher besteht grundsätzlich auch kein Anlass, im teleologischen Verständnis und in der Auslegung der textlich unveränderten Einzelbestimmungen und ihrer normativen Zweckbegriffe von dem wissenschaftlich und judikativ entwickelten Pfad abzuweichen.

3. Allerdings gebietet es die normative Kohärenz, die wirtschaftspolitisch relevante Zielanreicherung um den Topos der sozialen Marktwirtschaft inhaltlich und argumentativ zu berücksichtigen, ohne jedoch im Falle einer freiverkehrsbeschränkenden mitgliedstaatlichen, gemeinschaftlichen oder privatkollektiven Maßnahme deren kriteriengeleitete Rechtfertigungsprüfung durch die pauschale Inanspruchnahme der „sozialen Marktwirtschaft“ zu ersetzen. Der normative Inhalt des neuen Begriffs ist unklar. Zwar wird er textlich mit Vollbeschäftigung und sozialem Fortschritt kombiniert, doch ist der in letzterem liegende Konkretisierungsgewinn begrenzt. Der Begriff des sozialen Fortschritts ist gänzlich auslegungsoffen, potentiell vielfältig verwendbar, politisch höchst diskretionsanfällig und daher rechtsnormativ in seinen Kriterien dringlich konturierungsbedürftig. Zudem wird die Orientierung auf einen Binnenmarkt in einem System, das den Wettbewerb vor Verfälschungen schützt, wegen des Protokolls über den Binnenmarkt und den Wettbewerb nicht von der Ausrichtung auf „eine soziale Marktwirtschaft“ verdrängt. Zielen wie Arbeitsplatzerhalt oder -schaffung und allfälligen als „sozial“ ausgeflaggten Transferwünschen stehen Richtpunkte wie Rentabilität, Wettbewerbsförderung und Leistungsmotivation von Unternehmen gegenüber. Das potentiell dadurch mögliche Spannungsverhältnis wird unionsrechtlich systemrational zu bewältigen sein.

Dies bedeutet zum einen, dass in der Auslegung der unmittelbar anwendbaren Grundfreiheiten die Rechtfertigung von Beschränkungen aus Gründen der Sozialpolitik argumentative Bedeutung gewinnen kann, ohne dass dies aber etwas daran ändert, dass erstens sog. wirtschaftliche Erfordernisse weiterhin weder in den expliziten noch in den immanenten Einschränkungsgründen ZHR 173 (2009) S. 443 (451)Beachtung finden können,47 dass zweitens der Rückgriff auf ein sozialpolitisches Ziel im Rahmen der so genannten zwingenden Allgemeininteressen grundsätzlich48 nur unterschiedslos anwendbare Maßnahmen legitimieren kann und dass drittens die konkrete Einschränkungsmaßnahme der gemeinschaftsrechtlichen Prüfung auf deren Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit unterfällt.49 Im Rahmen der Freistellung vom Kartellverbot gemäß Art. 101 Abs. 3 AV (derzeit Art. 81 Abs. 3 EGV) stellen sozialpolitische Ziele auch im Licht des projektierten Auftrags, auf eine soziale Marktwirtschaft hinzuwirken, vertragssystematisch keinen zusätzlichen Freistellungsgrund dar. In der Beihilfenaufsicht mögen sie allerdings in den Freistellungsgründen des Art. 107 Abs. 3 a) bis c) AV argumentativ Beachtung finden. Für Maßnahmen oder Förderung speziell der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse gilt wegen des Wortlauts des Art. 16 AV, dass deren Tätigkeit auch in argumentativer Verbindung mit dem Gedanken der sozialen Marktwirtschaft keineswegs grundsätzlich von dem Erfordernis enthoben wird, die Anforderungen der Marktgrundfreiheiten und Wettbewerbsregeln (insbesondere auch der Beihilfenaufsicht) wie derzeit zu beachten. Unverändert von Lissabon sind Ausnahmen für Unternehmen, die mit derartigen Diensten betraut sind, nur möglich, wenn substantiiert dargetan ist, dass die Anwendung dieser Vorschriften die Erfüllung der übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder tatsächlich verhindert.

Zum anderen wird in der Ausgestaltung marktintegrativer Rechtsangleichungsmaßnahmen das Hinwirken auf eine „soziale“ Marktwirtschaft als zusätzliche rechtspolitische Prüfkategorie zu berücksichtigen sein, ohne dass dadurch jedoch die binnenmarktlichen Grundpfeiler der wettbewerbsverfassten Marktwirtschaft (Grundfreiheiten, System eines unverfälschten Wettbewerbs) hintangestellt werden dürfen. Dies gilt auch für die politische Verfolgung der konglomeraten Querschnittsanliegen im neuen Titel über die ausgebauten allgemein geltenden Bestimmungen (Art. 7–17 AV). Sie liefern maßgebliche Gesichtspunkte bei der kreativen politischen Ausformung einer bestimmten unionalen Maßnahme, bieten der Gemeinschaft aber grundsätzlich keine Er¬ZHR 173 (2009) S. 443 (452)mächtigung, den transnationalen Markzugang einzuschränken oder den transnationalen Wettbewerb zu verfälschen.

4. Fraglich ist demgegenüber, ob die textliche Voranstellung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts im operativen Teil des Zielartikels Auslegungsgewicht innerhalb der Grundfreiheiten, Wettbewerbsregeln und marktintegrativen Angleichungspolitik hat. Konkrete Konfliktfelder sind schwerlich auszumachen. Vor allem aber wirken der allgemeine Freiheitsraum und der Binnenmarktraum in dieselbe Richtung. Die Annahme, an die Stelle des bisherigen primären europäischen Verflechtungswegs der privaten Wirtschaftsinitiative über den Binnenmarkt werde ein Zusammenwachsen durch das ehrgeizige Konzept eines staatsähnlich befriedeten und rechtsstaatlich gesicherten Raumes gesetzt, geht am inneren Zusammenhang beider Raumkonzepte vorbei.

Dahingestellt kann hierbei bleiben, inwieweit ein derartiger Raum die sozialgestaltende Dimension zu Lasten des wettbewerbsverfassten Binnenmarktes als des marktintegrativ supranationalen Verwirklichungsweges für die Leitziele der Union (Frieden, Werte, Wohlergehen) überhaupt substantiiert fördern würde. Jedenfalls beinhaltet der Reformvertrag nicht eine vorschnelle Verabschiedung der integrationskonzeptionellen Basisrolle des Binnenmarktes. Bereits in seinem Zuschnitt weist der Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts keine dem Binnenmarktkonzept vergleichbare rechtliche Konturenklarheit auf. Während an diesem grundsätzlich alle Mitgliedstaaten teilnehmen, gilt dies nicht für den allgemeinen Freiheitsraum (Sonderwege für Britannien, Irland, Dänemark). Während der Binnenmarkt auf dem theoretischen Konzept des (schutzgutumrahmten) Prinzips des komparativen Kostenvorteils, besser auf einer allgemeinen schutzgutumrahmten Wettbewerbstheorie, aufbaut, bleibt der Inhalt des allgemeinen Freiheitsraums konzeptionell etwas beliebig und heterogen. Während der Binnenmarkt primärrechtlich von unmittelbar anwendbaren Grundfreiheiten gewährleistet wird, beruht der allgemeine Freiheitsraum mit Ausnahme der Gewährleistung der innergemeinschaftlichen Freizügigkeit der Unionsbürger50 allein auf Ermächtigungsnormen und damit der politischen Diskretion der unionalen Organe. Der allgemeine Freiheitsraum ist damit nicht nur in seiner integrationsrechtlichen Genese eine Konsequenz des binnenmarktlichen Freiheitsraums.51 Er wird vielmehr erst auf der Grundlage dessen unmittelbar anwendbarer Gewährleistungen ein sinnfälliges und substanzreiches Ganzes.52

III. Im Ergebnis sind daher die Lissabonner Neuerungen eher eine Verschleierung des normativen Antlitzes des europäischen Wirtschaftsverfas¬ZHR 173 (2009) S. 443 (453)sungsrechts. Es ist derzeit kaum zu erwarten, dass nach den mehrjährigen Schwierigkeiten mit der Änderung des für 27 Staaten verbindlichen Primärrechts sehr bald neuen Reformwünschen nachgegangen wird. Sollte es jedoch dazu kommen, sollte auch die mit Lissabon erfolgte Neuverpackung der europäischen Wirtschaftsverfassung von offenen Konturen abgelöst werden. Hierbei zwingen auch die bisherigen Lehren aus der Finanzmarktkrise nicht zu inhaltlicher Umstülpung. Denn das primäre europäische Wirtschaftsverfassungsrecht war nicht und ist auch nach Lissabon nicht „neoliberal“ im Sinne von Regulierungsfreiheit.53 Die Gewährleistung der Grundfreiheiten und des von ihnen ermöglichten binnenmarktweiten Wettbewerbs ist schutzgutumrahmt (sei es mitgliedstaatlich54, sei es gemeinschaftlich55). Diese komplexe Kombination aus Freiheits-, Wettbewerbs- und Schutzgutgarantien wird von der Lissabonner Reform nicht verändert, auch wenn sie sich durch sie dem ersten Blick schwerer erschließt. Aber ihre primärrechtliche Grammatik bleibt.

Freilich ist der EuGH hierbei besonders gefordert und hat einen guten Ruf zu verlieren. Seine bisherige Begründungsmethode einer juristisch klar kriterienstrukturierten Überprüfung insbesondere mitgliedstaatlicher Maßnahmen ist mustergültig. Allerdings lauert hier die Gefahr, im Gefolge der Lissabonner Verschleierungen zu argumentativ kantenverschmierenden „umfassenden Güter- und Interessenabwägungen“ zwischen grobstrichigen „wirtschaftlichen“ und „sozialen“ Zielen56 und zum nebulösen Topos der „praktischen Konkordanz“ abzusinken. Der EuGH sollte solchen Versuchungen juristisch professionell widerstehen: zugunsten der wirtschaftsverfassungsrechtlich systemrationalen Verträglichkeit politischer oder privatkollektiver Maßnahmen.

Peter-Christian Müller-Graff

1

Vgl. Müller-Graff in: Müller-Graff/Teichmann (Hrsg.), Europäisches Gesellschaftsrecht auf neuen Wegen, 2009 (im Druck); siehe auch Nettesheim, ZHR 172 (2008), 729, , 743f.

2

Die nach Inkrafttreten des Grundgesetzes heftige Diskussion um die Wirtschaftsverfassung des Grundgesetzes hat auch deshalb an Bedeutung eingebüßt.

3

Vgl. Müller-Graff, EuR 1997, 433, 439ff.; ders., ZHR 168 (2004), 1, , 2ff.

4

EuGH, Rs. C-212/97 (Centros), Slg. 1999, I-1459.

5

EuGH, Rs. C-208/00 (Überseering), Slg. 2002, I-9919.

6

EuGH, Rs. C-167/01 (Inspire Art), Slg. 2003, I-10155.

7

EuGH, Rs. C-415/93 (Bosman), Slg. 1995, I-4921.

8

EuGH, Rs. C-438/05 (Viking), Slg. 2007, I-10779.

9

EuGH, Rs. C-341/05 (Laval), Slg. 2007, I-11767.

10

ABl. 2007 C 306/1.

11

Vgl. zu dessen Strukturmerkmalen z. B. Müller-Graff, integration 2004, 186ff.

12

Vgl. zu dessen inhaltlicher Verbindung zum Verfassungsvertrag Müller-Graff, integration 2007, 223ff.; Fischer, Der Vertrag von Lissabon, 2008, S. 29ff.; zu seinen Charakteristika Müller-Graff, integration 2008, 123ff.; als Einzelanalysen vgl. Schwarze/Hatje (Hrsg.), Der Reformvertrag von Lissabon, EuR Beiheft 1/2009.

13

Vgl. Behrens, EuZW 2008, 103; Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.), Verfassung und Politik im Prozess der europäischen Integration, 2008, S. 47, 74.

14

Vgl. namentlich Behrens, EuZW 2008, 103; Müller-Graff in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 195, 203ff.; Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 73ff.; Nowak in: Schwarze/Hatje (Hrsg.) (Fn. 12), S. 129, 169ff.

15

Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 83.

16

Vgl. z. B. schon Bieber/Schwarze (Hrsg.), Eine Verfassung für Europa, 1984, und sodann die rechts- und politikwissenschaftliche Konstitutionalisierungsdebatte namentlich seit 2000.

17

Vgl. BVerfG 22, 293 zum EWG-Vertrag; EuGH, Gutachten 1/91 (EWR) Slg. 1991, I-6079, 6102.

18

Vgl. etwa Everling, F.A.Z. v. 20. 1. 2001, S. 8.

19

So Oppermann in: Gernhuber (Hrsg.), Tradition und Fortschritt im Recht, 1977, S. 415, 419.

20

In diese Richtung der Wortlaut des neuen Art. 1 Abs. 3 S. 2 EUV.

21

So derzeit Art. 2 EGV.

22

Art. 3 Abs. 3 S. 1 EUV in der Fassung des Vertrages von Lissabon.

23

Art. I-3 Abs. 2 VVE: „Die Union bietet ihren Bürgerinnen und Bürgern einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts und einen Binnenmarkt mit freiem und unverfälschtem Wettbewerb.“

24

So derzeit Art. 3 Abs. 1 g) EGV.

25

Vgl. Behrens, EuZW 2008, 193.

26

Zitiert nach Behrens, ebda.

27

VO (EG) 139/2004, ABl. 2004 L 24/1.

28

In der Neunummerierung handelt es sich um Art. 3 EUV.

29

Art. 119 AV („Wirtschaftspolitik, die … dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb verpflichtet ist.“).

30

Art. 170 Abs. 2 S. 1 AV („System offener und wettbewerbsorientierter Märkte“).

31

Art. 173 Abs. 1 UAbs. 2 AV („System offener und wettbewerbsorientierter Märkte“).

32

Die Konzeptualisierung geht wesentlich zurück auf Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow und vor allem auf Müller-Armack, Genealogie der Sozialen Marktwirtschaft, 1974; Watrin in: Müller-Graff/Jackson (Hrsg.), Transatlantic Perspectives on International Economic Law, 2009, S. 39ff.

33

Das Grundgesetz schweigt. Der interpretatorische Versuch Nipperdeys, dem Grundgesetz die Garantie der sozialen Marktwirtschaft zu entnehmen (z.B. Nipperdey, Die soziale Marktwirtschaft in der Verfassung der Bundesrepublik, 1954), konnte sich aus methodischen Gründen nicht durchsetzen. Aufnahme fand der Begriff allerdings in Art. 1 Abs. 2 S. 1 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion v. 18. 5. 1990 (BGBl. II, 537): „Grundlage der Wirtschaftsunion ist die Soziale Marktwirtschaft als gemeinsame Wirtschaftsordnung beider Vertragsparteien.“

34

Die Formulierung der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie der Gemeinschaft findet sich sowohl in der Industriepolitik (Art. 157 Abs. 1 EGV) als auch im Abschnitt über Forschung und technologische Entwicklung (Art. 163 Abs. 1 EGV).

35

Die unmittelbare Anwendbarkeit ist eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale zu herkömmlichen völkerrechtlichen Verträgen; grundlegend bekanntlich EuGH, Rs. 26/62 (van Gend & Loos), Slg. 1963, 1.

36

Müller-Graff in: Schwarze (Hrsg.), Europäische Verfassung und Grundrechtecharta, EuR Beiheft 1/2006, S. 19, 27ff.

37

So etwa Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 76f.; Basedow, F.A.Z. v. 30. 8. 2007, S. 14.

38

So Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 78ff.

39

So aber Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 75f.

40

Vgl. projektierter neuer Art. 4 Abs. 3 EUV (derzeit Art. 5 EGV).

41

Vgl. Müller-Graff in: Hatje (Hrsg.), Das Binnenmarktrecht als Daueraufgabe, EuR Beiheft 1/2002, S. 7ff.

42

Ebda., S. 50ff., 58ff.

43

Anders wohl Selmayr in: Mestmäcker/Möschel/Nettesheim (Hrsg.) (Fn. 13), S. 77; wie hier Behrens, EuZW 2008, 103; Nowak in: Schwarze/Hatje (Hrsg.) (Fn. 12), S. 191f.

44

Im Vertragstext ohne Neunummerierung Art. 2 EUV.

45

Vgl. dazu Müller-Graff in: Schwarze/Hatje (Hrsg.) (Fn.12), S. 105ff.

46

So namentlich die Umstellung der einzelnen Grundfreiheiten.

47

Vgl. z.B. in der Warenverkehrsfreiheit die ständige Rechtsprechung des EuGH zu Art. 30 EGV: z.B. Rs. 265/95 (Kommission/Frankreich), Slg. 1997, I-6959, 7004 Tz. 62; und zu den zwingenden Erfordernissen z.B. Rs. C-120/95 (Decker), Slg. 1998, I-1831, 1884 Tz. 39.

48

So die Grundlinie dieser Rechtsprechung z.B. EuGH, Rs. 113/80 (Kommission/Irland), Slg. 1981, 1625, 1639 Tz. 10; Rs. 434/85 (Allen and Hanburys), Slg. 1988, 1245, 1268ff. Allerdings überprüft die Rechtsprechung vereinzelt auch die Hinnahme nicht-unterschiedslos anwendbarer Maßnahmen; vgl. dazu im Einzelnen Müller-Graff in: von der Groeben/Schwarze (Hrsg.), EUV/EGV-Kommentar, 6. Aufl. 2003, Art. 28 Rdn. 196f.; ders. in: Hatje (Hrsg.) (Fn.41), S. 53ff.

49

Formel des EuGH für alle Grundfreiheiten: Rs. C-55/94 (Gebhard), Slg. 1995, I-4165 Tz. 37.

50

Art. 21 AV (derzeit Art. 18 EGV).

51

Zu den funktional-konzeptionellen Wurzeln Müller-Graff, FS Everling, 1995, S. 925, 939ff.

52

Im Einzelnen Müller-Graff, FS Zuleeg, 2005, S. 605, 610f.; ders. in: Schwarze/Hatje (Hrsg.) (Fn.12), S. 125f.

53

Dies wird oftmals verkannt. Erstaunlich widersprüchlich wird der EG/EU manchmal gleichzeitig „Neoliberalismus“ und „Überregulierung“ vorgeworfen.

54

Dies ergibt sich bereits aus der ausdrücklichen primärrechtlichen Anerkennung der Rechtfertigbarkeit von Freiverkehrbeschränkungen aus mitgliedstaatlicher Schutzgutpolitik (z.B. Art. 30 EGV).

55

Dies schlägt sich sowohl in Ermächtigungen der EG zu spezifischen Schutzgutpolitiken (z.B. Sozial-, Verbraucher-, Gesundheits-, Umweltpolitik) als auch im Bereich der marktintegrativen Rechtsangleichungspolitik nieder (so namentlich die Verpflichtung auf ein hohes Schutzniveau in Art. 95 Abs. 3 EGV).

56

Juristisch nicht erhellend und nicht vorbildhaft, weil kriterienfrei, daher eine Formulierung wie in EuGH v. 11. 12. 2007, Rs. C-438/05 (Viking), Slg. 2007, I-10779 Tz. 78, dass die sich aus den Grundfreiheiten ergebenden Rechte „gegen die mit der Sozialpolitik verfolgten Ziele abgewogen werden“ müssen.

 
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