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ZHR 178 (2014), 2-9
Burgi 

Ein Rechtsgebiet wird erwachsen: Zur Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien

I. In diesen Tagen tritt ein mehrere hundert Seiten umfassendes Reformpaket der EU zum Vergaberecht in Kraft, das von den Mitgliedstaaten innerhalb einer Frist von zwei Jahren umgesetzt werden muss. Was 1971 mit einer einzelnen Richtlinie für den Baubereich begann,1 bildet mittlerweile ein weit verzweigtes Regelwerk mit Geltung im gesamten Bereich der öffentlichen Beschaffungstätigkeit, die europaweit rund 20% des BIP umfasst. Das Paket besteht (auf dem Stand von Mitte November 2013, zitiert nach dem Ergebnis der sog. Trilogverhandlungen) aus einer neuen Richtlinie für Vergaben klassischer öffentlicher Auftraggeber (nachfolgend: Auftragsvergaberichtlinie),2 einer neuen Richtlinie für Vergaben von sog. Sektorenauftraggebern in den Bereichen Energie, Wasser und Verkehr3 und – erstmals – einer Richtlinie über die Konzessionsvergabe.4

Mit dieser Richtlinie wird erstmals der bislang (vgl. Art. 17 der Vergabekoordinierungsrichtlinie)5 sekundärrechtlich nicht erfasste Bereich der Vergabe von Dienstleistungskonzessionen erfasst und mit dem bislang nur teilweise reglementierten Bereich der Baukonzessionen zusammengeführt. Im Unterschied zu Auftragnehmern erhalten Konzessionäre kein Entgelt vom Auftraggeber, sondern das Recht, unmittelbar den Nutzern gegenüber Leistungen zu erbringen und auf eigenes Risiko abrechnen zu dürfen. Die damit verbundenen Regelungsarrangements sind besonders mit dem jeweiligen nationalen Verwaltungsrecht verknüpft und betreffen teilweise Sektoren, die bisher kaum oder gar nicht wettbewerblich geprägt waren. Daher tobte über die Verabschiedung dieser Richtlinie ein besonders intensiver Streit, an dessen Ende sich allerdings die EU-Kommission mit der Verabschiedung eines über 50 Artikel umfassenden Richtlinientextes durchgesetzt hat; als politischer Erfolg in Deutschland wird verbucht, dass der besonders umstrittene Sektor der Wasserversorgung am Ende der Beratungen aus dem Anwendungsbereich herausgenommen worden ist (vgl. Art. 9a). Aus fachlicher Sicht wird mit der Konzessionsrichtlinie eine nicht (mehr) zu rechtfertigende Regelungslücke ge¬ZHR 178 (2014) S. 2 (3)schlossen und damit u.a. einer Forderung, die auf dem 67. Deutschen Juristentag 2008 mehrheitlich beschlossen worden war,6 entsprochen.

Eine weitere Ausdehnung des Anwendungsbereichs wird durch die Abschaffung des bisherigen Katalogs der sog. nichtprioritären Leistungen nach Anhang II Teil B der Vergabekoordinierungsrichtlinie (unter ihnen die „Rechtsberatung“; Ziff. 21) bewirkt. Für die Vergabe derartiger Leistungen gelten künftig deutlich verschärfte Anforderungen, die in Art. 74 ff. der neuen Auftragsrichtlinie unter der Bezeichnung „Particular Procurement Regimes: Social and other Specific Services“ zusammengestellt sind; für die Rechtsdienstleistungen enthält freilich Art. 10 Ausnahmen, insbesondere soweit es um Prozessvertretungen geht. Sowohl dieses neue Regime als auch, und vor allem, die Umsetzung der neuen Konzessionsrichtlinie werden in Deutschland einen erheblichen Umsetzungsbedarf auslösen und zu einer Zunahme von Rechtsschutzverfahren (in der fortbestehenden Zuständigkeit der Vergabekammern und der Oberlandesgerichte) führen. Nicht verändert wurde hingegen die Anknüpfung an das Überschreiten bestimmter Schwellenwerte. Sowohl unterhalb dieser Schwellenwerte als auch dort, wo Einzelbereiche explizit aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie herausgenommen worden sind (wie namentlich in der Wasserversorgung), sind freilich weiterhin die in der Rechtsprechung des EuGH entwickelten primärrechtlichen Vergabegrundsätze (Stichwort: Vergaberecht light)7 zu beachten, weswegen es sich durchaus anbieten würde, in der deutschen Umsetzungsgesetzgebung hierauf explizit und ggf. konkretisierend hinzuweisen. Die nachfolgenden Überlegungen konzentrieren sich auf die Reform der klassischen Auftragsvergaberichtlinie, die nach wie vor den quantitativ weitaus größten Bereich betrifft.8

II. Hatte die Vergabekoordinierungsrichtlinie 2004/18 einen rein auf die Ziele von Binnenmarkt und Wettbewerb bezogenen Ansatz verfolgt,9 gibt die neue Richtlinie als Ziele die Steigerung der Effizienz der öffentlichen Ausgaben zur Gewährleistung bestmöglicher Beschaffungsergebnisse und die Unterstützung von common societal goals (Erwägungsgrund 2) an. Im vorausgegangenen Vorschlag der EU-Kommission10 ist sogar explizit vom „europäischen Steuerzahler“ die Rede (genauer geht es um die Steuerzahler in den Mitgliedstaaten). Damit wird dem international, insbesondere in den USA, ganz vorherrschenden Beschaffungsziel des best value for taxpayers ZHR 178 (2014) S. 2 (4)money11 und neueren Vorstößen (gerade auch in Deutschland) Rechnung getragen;12 in Art. 1 wird nun explizit der Beschaffungszweck definiert. In der Entwicklung des Vergaberechts bündelt sich damit wie in einem Brennglas der Wandel der EU von einer primär auf die Ziele Binnenmarkt und Wettbewerb verpflichteten Gemeinschaft zu einer politisch deutlich breiter und tiefer ausgreifenden Union. Neben den durch die Verträge von Lissabon veränderten primärrechtlichen Parametern und dem durch die Finanzkrise geschärften Bewusstsein der EU-Organe für die Bedeutung eines schonenden Umgangs mit Haushaltsmitteln bildet das in weitgehender zeitlicher Parallelität seinerseits reformierte internationale Beschaffungsabkommen auf der Ebene der WTO, das Government Procurement Agreement (GPA), an das die EU sowie sämtliche ihrer Mitgliedstaaten gebunden sind, einen wichtigen Reformimpuls, gleichzeitig aber auch eine Grenze für radikalere Reformaktivitäten.13

Die meisten der künftigen Richtlinienbestimmungen stellen in der Sache eine Kodifikation vorhergehender EuGH-Rechtsprechung dar, wobei vielfach neue Rechtsbegriffe dazugekommen sind, so dass die Umsetzungsgesetzgeber vor einer anspruchsvollen sprachlichen wie inhaltlichen Herausforderung stehen. Dies betrifft so wichtige Bereiche wie den künftig kodifizierten Ausnahmebereich für vertikale (sog. Inhousegeschäfte) und horizontale Kooperationen (Art. 11)14, die Zuordnung gemischter Verträge (Art. 3) und den Umgang mit Vertragsänderungen und Vertragsverlängerungen (Art. 72 u. 73).15 Verschiedene Nachjustierungen und Weiterentwicklungen betreffen die verschiedenen Verfahrensarten (mit der neuen Verfahrensart der sog. Innovationspartnerschaft nach Art. 29)16 sowie die elektronische Vergabe (Art. 19 u.ö.).

Deutlich mehr Aufmerksamkeit als bislang erhalten zu Recht die Bestimmungen über die Kriterien betreffend dasjenige Stadium innerhalb des gesamten Beschaffungsprozesses, in dem die Würfel fallen. Hier wird zunächst die bisher strikte Trennung zwischen (personenbezogenen) Eignungskriterien und (angebotsbezogenen) Zuschlagskriterien aufgeweicht, und zwar unter zutreffender Orientierung an der im privatwirtschaftlichen Einkauf selbstverständlichen Erkenntnis, dass bei personengeprägten Dienstleistungen die Leistungsfähigkeit von Anbieter und Personal prägend für die Qualität der eingekauften Dienstleistung ist (daher ermöglicht nun Art. 66 Abs. 2 die Be¬ZHR 178 (2014) S. 2 (5)rücksichtigung von Qualität und Erfahrung des eingesetzten Personals als Subkriterium auf der Ebene der Zuschlagskriterien). Erheblichen Anpassungsdruck lösen sodann die im jeweiligen Abschnitt über die beiden Kriterienkategorien enthaltenen Änderungen aus. Dies gilt zunächst bezüglich der Eignungskriterien (Art. 55 ff.), wo insbesondere die Reaktionen auf rechtswidriges Verhalten (Korruption etc.) konkretisiert und weiterentwickelt worden sind, ebenso wie das System der zwingenden bzw. fakultativen Ausschlussgründe; in Art. 55 Abs. 4 werden erstmals im Normtext Kriterien dafür aufgestellt, unter welchen Voraussetzungen Unternehmen eine fehlende Zuverlässigkeit wiederherstellen und trotz des Vorliegens von Ausschlussgründen an künftigen Vergabeverfahren teilnehmen können: Wiedergutmachung jeglichen verursachten Schadens, aktive Zusammenarbeit in der Aufklärung und konkrete präventive Maßnahmen technischer, organisatorischer und personeller Art. Damit ist Compliance nun auch im Vergaberecht normativ rubriziert worden, inhaltlich in weit gehender Orientierung an der bisherigen Rechtsprechung deutscher Oberlandesgerichte zu den Voraussetzungen für die sog. Selbstreinigung.17

Bei den Zuschlagskriterien (Art. 66 ff.) tritt neben das Kriterium des niedrigsten Preises das Kriterium der niedrigsten Kosten, gemessen auf der Grundlage der cost effectiveness, die wiederum vor allem mithilfe des in Art. 67 näher ausgestalteten sog. Lebenszyklus-Kostenansatzes berechnet werden soll. Im Ergebnis soll es darauf ankommen, dass das „most economically advantageous tender“ zum Zuge kommt, was durch zahlreiche, jeweils auf den Auftragsgegenstand bezogene Subkriterien präzisiert und gewichtet werden kann und soll. Im Hinblick auf die bislang sehr sparsame „normative“ Gestalt des § 97 Abs. 5 GWB, wonach Aufträge „auf das wirtschaftlichste Angebot“ erteilt werden sollen, sind insoweit erhebliche Umsetzungsanstrengungen nötig.

III. Der Entwicklungsverlauf, den das Vergaberecht bislang in Deutschland genommen hat, lässt sich als eine Bewegung zwischen zwei entgegengesetzten Pendelpositionen charakterisieren. Jahrzehntelang war das Vergaberecht ein fester Bestandteil des Haushaltsrechts ohne Rechtswirkungen nach außen und erst recht ohne subjektive Rechte der Bieter. Einziger Beschaffungszweck war der kostensparende Umgang mit Haushaltsmitteln, im Begriff des „fiskalischen Hilfsgeschäfts“ kam dies trefflich zum Ausdruck.18 Durch das der Umsetzung der gegenwärtig noch geltenden EU-Richtlinien dienende Vergaberechtsänderungsgesetz ist das Vergaberecht ab 1999 primär auf den Zweck der Gewährleistung wettbewerblicher Verhältnisse ausgerichtet und (vielfach) mit ZHR 178 (2014) S. 2 (6)dem Begriff „Kartellvergaberecht“ tituliert worden.19 Als solches wird es überwiegend als Teil des Wirtschaftsrechts und Mittel der Wettbewerbspolitik erachtet. Dies entsprach durchaus den europarechtlichen Zielen der Beseitigung von Diskriminierungen und der Herbeiführung eines Systems „unverfälschten Wettbewerbs“ (vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. g) EG); es verwundert auch nicht, dass das Vergaberecht innerhalb des Binnenmarktprojekts in Folge der gesteigerten Gefahr des Protektionismus und wegen der besonderen Sichtbarkeit des Beschaffungsmarkts eine Schlüsselrolle spielt. Ausgehend von dieser Zuordnung ist das Vergaberecht in mehr als einem Jahrzehnt in mittlerweile über 10.000 Entscheidungen (!) durch die Rechtsprechung und in mehreren dutzend Promotionen, mindestens drei Habilitationsschriften20 sowie in zahlreichen Tagungen und Fachzeitschriften kraftvoll entfaltet worden.

Unverändert geblieben ist die Grundstruktur, d.h. der hierarchische Aufbau nach Art eines Kaskadenbrunnens, beginnend mit den §§ 97 bis 131 GWB (dies in programmatischer Zuordnung zum wichtigsten Wettbewerbsgesetz), fortgeführt über mittlerweile mehrere Verordnungen, wobei die Vergabeverordnung i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. 2. 200321 primär als Ort der statischen Verweisung auf die jeweils zweiten Abschnitte der VOB/A und der VOL/A dient (hinzu kommt für den freiberuflichen Bereich die VOF), als deren Urheber die sog. Vergabeausschüsse (früher „Verdingungsausschüsse“) fungieren, in denen seit Jahrzehnten Vertreter der wichtigsten beteiligten Kreise von Auftraggeber- wie Auftragnehmerseite zusammenkommen. An diesem Bauprinzip wurde auch festgehalten als es im Jahr 2012 um die Umsetzung der auf EU-Ebene erstmals normierten sekundärrechtlichen Vorgaben für die Auftragsvergabe im Verteidigungsbereich ging: Während die Vorgaben für Liefer- und Dienstleistungsaufträge in einer eigens geschaffenen Vergabeverordnung Verteidigung und Sicherheit (VSVgV)22 umgesetzt wurden, richtet sich die Vergabe von sicherheits- und verteidigungsrelevanten Bauaufträgen nach einem neu in die VOB/A eingefügten Abschnitt 3.

IV. Im Zuge der tatsächlichen Entwicklung der vergangenen Jahre und gefestigt durch die dabei gewonnen Einsichten, die sich nun im neuen Richtlinienpaket an verschiedenen Stellen niedergeschlagen haben, ist das Vergaberecht erwachsen geworden. Dies wurde eingangs bereits am Sichtbarwerden der Notwendigkeit eines Beschaffungszwecks (neben der fortbestehenden wettbewerblichen Zielsetzung) illustriert; es gibt aber verschiedene weitere Belege für das Erwachsenwerden, denen nun bei der Umsetzung Rechnung ZHR 178 (2014) S. 2 (7)getragen werden muss. Dabei bedeutet „Erwachsenwerden“ im Zusammenhang mit einem Rechtsgebiet, dass dieses zwischen den verschiedenen Pendelschlägen den Zustand der Mittellage erreicht hat. Damit einher geht eine Normalisierung i.S.d. Überwindens entwicklungsbedingter Besonderheiten und schließlich die gesicherte Anerkennung innerhalb der Gesamtrechtsordnung. Dazu zwei weitere Beispiele:

1. War die Zuordnung des Vergaberechts oberhalb der Schwellenwerte zum Privatrecht seinerzeit ein viel diskutierter Paukenschlag,23 so wird sie heute kaum mehr infrage gestellt, weil sich gezeigt hat, dass sowohl die Schutzinteressen der Bieter als auch die der Verwaltung (d.h. den Beschaffungsstellen) anvertrauten Gemeinwohlbelange innerhalb dieses Regimes verwirklicht werden können, teilweise im Verbund mit öffentlich-rechtlichen Elementen, wie es der Sichtweise des modernen Verwaltungsrechts entspricht;24 so ergeht etwa die Entscheidung der Vergabekammer als erste Rechtsschutzinstanz gemäß § 114 Abs. 3 S. 1 GWB durch Verwaltungsakt. Das Privatrecht wird nun allerdings an anderer Stelle herausgefordert, nämlich dadurch, dass das künftige Vergaberecht mehr Bestimmungen betreffend die Auftragsausführung enthalten wird. In diesem Stadium waren bislang fast ausschließlich die Regelungen des BGB bzw. der VOB/Teil B, mithin die gleichen Bestimmungen wie auch für Verträge zwischen Privaten maßgeblich. Die neue Vergaberichtlinie enthält nun Regelungen für Auftragsänderungen (Art. 72), zur Kündigung (Art. 73) und zum Nachunternehmereinsatz (u.a. mit der Möglichkeit der Direktzahlung seitens des Auftraggebers an einen Nachunternehmer gemäß Art. 71 Abs. 3). Auch die nunmehr ausführlicher in Art. 70 kodifizierten „Bedingungen für die Vertragsdurchführung“, insbesondere zwecks Durchsetzung sozialer und umweltbezogener Erwägungen (vgl. dazu sogleich 2) gehören hierher.25 Hierbei handelt es sich um Umrisse eines künftigen Sonderprivatrechts für den Bereich der Verträge mit öffentlichen Auftraggebern und vielleicht um einen ersten Schritt zur Herausbildung eines Government Contracts Law US-amerikanischer Prägung.26

2. Ein weiteres Beispiel für das Erwachsenwerden des Vergaberechts bildet der Umgang mit umwelt-, sozial- und gesellschaftspolitischen Sekundärzwecken. Hier geht es nicht um die jeweilige Verwaltungsaufgabe, zu deren Erfüllung etwas beschafft werden muss, sondern um allgemeine Verwaltungsaufgaben wie die Verbesserung des Umweltschutzes, den Kampf gegen Kinderarbeit o.Ä. Der neuerdings von der EU-Kommission hierfür verwendete Begriff ZHR 178 (2014) S. 2 (8)der „strategischen Beschaffung“27 bringt zutreffend zum Ausdruck, dass es darum geht, die öffentliche Beschaffungspotenz zu nutzen, um „gleichzeitig einen Beitrag zur Beschäftigung und zur Verbesserung der öffentlichen Gesundheit und der sozialen Rahmenbedingungen“ zu leisten. Gegenüber der insbesondere in Deutschland lange Zeit gepflegten Aversion gegenüber solchen Zielsetzungen, die aus einer primär wettbewerbsorientierten Sicht schlüssig war und in der Titulierung als „vergabefremde Zwecke“ gipfelte,28 bedeutet dies eine Abschwächung des Pendelausschlags, allerdings nicht den im politischen Raum teilweise erhofften Ausschlag in die entgegengesetzte Richtung. Blickt man auf die einzelnen Instrumente, mit denen die neue Richtlinie jene Zielsetzungen verwirklichen möchte, dann zeigt sich, dass sowohl im Hinblick auf die Instrumentalisierung der Eignungs- als auch der Zuschlagskriterien weiterhin ein unmittelbarer Bezug zum Auftragsgegenstand gefordert wird (vgl. Art. 54 ff.). Auch das bereits erwähnte Instrument der Ausführungsbedingungen, das in Erwägungsgrund 43 näher erläutert wird, ist ausdrücklich und unmittelbar auf die mit der Ausführung des Auftrags verbundenen Tätigkeiten bezogen. Aufrechterhalten wird ferner das bisherige Erfordernis, dass Ausführungsbedingungen mit dem übrigen Unionsrecht in Einklang stehen müssen, was sowohl die Entsenderichtlinie 96/71/EG29 als auch die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 56 AEUV einschließt.30 Dreh- und Angelpunkt bei der Beurteilung von Tariftreue- und (neuerdings) Mindestlohnklauseln ist mithin unverändert das Urteil des EuGH in der Rechtssache Rüffert31. In Deutschland ergeben sich solche Klauseln bislang aus Landesvergabegesetzen, weil der Bundesgesetzgeber seine Kompetenz für das Vergaberecht oberhalb der Schwellenwerte ausweislich des § 97 Abs. 4 S. 3 GWB bislang nicht ausgeschöpft hat. Es wird daher zu diskutieren sein, ob man den Bereich der Verfolgung politischer Sekundärzwecke auch künftig den Ländern überlässt, oder eine bundeseinheitliche Regelung schafft, die von vornherein dem Geist der neuen EU-Richtlinie entspricht, aber auch die durch diese gezogenen bzw. bestätigten Grenzen respektiert.

V. Betreffend die gegenwärtig im politischen Raum und auf der Ebene der Verbände sehr lebhaft diskutierte künftige normative Struktur des Umset¬ZHR 178 (2014) S. 2 (9)zungsrechts sind zwei Aspekte auseinanderzuhalten. Angesichts der Unübersichtlichkeit der oben bereits erwähnten Kaskadenstruktur betrifft die Diskussion vor allem die Frage, ob in Zukunft keine Rechtsetzung in Gestalt der Vergabeordnungen mehr stattfinden soll und stattdessen das gesamte Regime auf Gesetzes- und Verordnungsebene angesiedelt wird. Diese Frage ist politisch zu entscheiden, wobei der Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD insoweit keine Festlegung getroffen hat. Davon zu trennen ist die m.E. sachlich noch zuvor zu beantwortende Frage, ob es (auf der gesetzlichen Ebene) im GWB weitergehen soll, oder ob nicht ein eigenständiges „Bundesvergabegesetz“, besser noch „Bundesbeschaffungsgesetz“ (mit oder ohne Kaskadenstruktur) geschaffen wird. Das GWB ist bekanntlich ein Gesetz gegen missbräuchliches Wettbewerbsverhalten, während es bei der öffentlichen Beschaffungstätigkeit zwar durchaus auch Missbräuche gibt, diese primär aber ein höchst legitimer Abschnitt der staatlichen Verwaltungstätigkeit ist. Angesichts des erreichten Erwachsenenstatus braucht man die Zuordnung zum GWB (anders als vielleicht noch 1998/99) sicherlich auch nicht mehr, um zu demonstrieren, dass das Vergaberecht subjektive Rechte der Bieter vorsieht und definitiv nicht mehr Bestandteil des Haushaltsrechts ist. Zu diesen inhaltlichen Aspekten tritt die eher formale Überlegung, dass die Umsetzung einer Richtlinie mit 96 Artikeln und einem Gesamtumfang von 300 Seiten nur unter Inkaufnahme größter Intransparenz in dem „gnädigerweise“ zwischen den kartellrechtlichen Vorschriften des GWB freigelassenen Zwischenraum (von § 97 bis § 131) stattfinden kann. Dem größten Beschaffungsmarkt in Europa stünde ein eigenständiges Beschaffungsgesetz jedenfalls gut zu Gesicht.

VI. Fazit: Sachlich ist das Vergaberecht schon seit Längerem zwischen dem Recht der Wirtschaft und dem Recht der Verwaltung angesiedelt. Dass es nicht ausschließlich zum Recht der Wirtschaft zählt, wird mit dem in den kommenden zwei Jahren umzusetzenden neuen Richtlinienpaket der EU sichtbarer. Dies ist aber Ausdruck des Erwachsenwerdens des EU-Vergaberechts und beruht nicht etwa auf dessen Neujustierung. Unverändert wichtig bleiben die Orientierung am Binnenmarktziel und die Einbettung in wettbewerbliche Strukturen.

Martin Burgi

1

RiL 71/305/EWG, ABl. EG 1971/L 185, 5.

2

Ratsdokument 11745/13 vom 12. 7. 2013.

3

Ratsdokument 11746/13 vom 15. 7. 2013.

4

Ratsdokument 14966/12 vom 16. 10. 2012.

5

RiL 2004/18/EG, ABl. EG 2004/L 134, 114.

6

Im Anschluss an das Gutachten des Verf., Gutachten D, 67. DJT, S. 82 f. Verbandsübergreifend dominierte freilich eine ablehnende Haltung.

7

Terminus nach Burgi, NZBau 2005, 610, 613; vgl. aus der Rechtsprechung beispielsweise EuGH, Rs. C-458/03, Slg. 2005, I-8585 (Parking Brixen).

8

Erste Überblicksaufsätze zum neuen Richtlinienpaket: Wiedner/Spiegel, FS Marx, 2013, S. 815 (aus Sicht der EU-Kommission); Portz, FS Marx, 2013, S. 551 (aus kommunaler Sicht); Brauser-Jung, Vergaberecht 2013, 285.

9

Ausweislich des Erwägungsgrundes 2.

10

KOM (2011) 896 final, S. 7.

11

Thai/Piga/Schwartz, Advancing Public Procurement, 2007, 184; erläuternd Burgi/Gölnitz, DÖV 2009, 829.

12

Vgl. Frister, VergabeR 2011, 295; Burgi, FS Marx, 2013, S. 75; für Österreich: Holoubek/Fuchs, FS Marx, 2013, S. 267.

13

Vgl. hier nur Wiedner/Spiegel, FS Marx, 2013, S. 818.

14

Hiermit wird nun endgültig der mitgliedschaftlichen Freiheit bei der Entscheidung zwischen „make or buy“ (zuletzt EuGH EuZW 2011, 257) Rechnung getragen.

15

Insoweit zum gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung Fett, FS Marx, 2013, S. 103.

16

Vgl. dazu Fehling, NZBau 2012, 673.

17

Vgl. nur OLG Düsseldorf NZBau 2003, 578 ff.; OLG Brandenburg NZBau 2008, 277 ff.

18

Näher zu diesem Umfeld Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 37 u.ö.; instruktiv als Erfahrungsbericht über die vergangenen Jahrzehnte auch Meyer, FS Marx, 2013, S. 409 ff.

19

Trefflich hierzu Dreher/Stockmann/Dreher, Kartellvergaberecht, 4. Aufl. 2008, vor §§ 97 ff. Rdn. 77.

20

Genannt seien die Arbeiten von Bultmann, Beihilfenrecht und Vergaberecht 2004; Bungenberg, Vergaberecht im Wettbewerb der Systeme 2007, und Wollenschläger, Verteilungsverfahren, 2010.

21

BGBl. I (2003), S. 169, zuletzt geändert durch VO vom 15. 10. 2013 (BGBl. I [2013], S. 35, 84).

22

Vom 12. 7. 2012 (BGBl. I [2012], 1509).

23

Stellv. Pietzcker, ZHR 162 (1998) 427, , 456 f.

24

Dies ist in allgemeinerem Rahmen ausführlich entfaltet bei Hoffman-Riem/Schmidt-Aßmann/Voßkuhle/Burgi, Grundlagen des Verwaltungsrechts I, 2. Aufl. 2012, § 18.

25

Zur ersten Orientierung: Brauser-Jung, Vergaberecht 2013, 291 f.

26

Vgl. zu diesem das Standardwerk von Cibinic/Nash/Yukins, Formation of Government Contracts, 2011.

27

Seit dem Richtlinienvorschlag vom 20. 12. 2011 (Fn. 10), 11 ff.

28

Zur Diskussion der Anfangsjahre des GWB-Vergaberechts: Burgi, NZBau 2001, 64, mit zahlreichen Nachweisen und passim; zuletzt Jasper/Braun, FS Marx, 2013, S. 329 ff.; rechtsvergleichend: Caranta/Trybus (Hrsg.), The Law of Green and Social Procurement in Europe, 2010.

29

Vom 16. 12. 1996 (ABl. EG 1997/L 18, 1).

30

Zur Vereinbarkeit kombinierter Tariftreue- und Mindestlohnklauseln in Landesvergabegesetzen mit diesen Maßstabsnormen vgl. zuletzt Glaser/Kahl, ZHR 177 (2013) 643 m.w.N.

31

Rs.C-346/06, NZBau 2008, 332, in dem vor allem beanstandet wurde, dass die Verpflichtung zur Zahlung von Tariflöhnen nur den Arbeitnehmern im Sektor der öffentlichen Beschaffung zugutegekommen wäre.

 
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