Staatlich finanzierte Produktkritik Privater
1. Der Staat nimmt in vielfältiger Weise an der marktbezogenen Kommunikation teil: ein Bundesministerium warnt vor dem Genuss glykolhaltiger Weine,1 ein Regierungspräsidium vor angeblich mikrobiell verunreinigten Nudeln,2 das Bundesumweltministerium empfiehlt den Kauf von Mehrwegverpackungen oder das Umweltbundesamt rät aus Gründen des Gewässerschutzes von Dächern und Dachrinnen aus Kupfer und Zink ab.3 Mit solchen Äußerungen erreicht der Staat seine Ziele nicht mit den klassischen Instrumenten obrigkeitlichen Handelns, also Geboten und Verboten in Gestalt von Gesetzen, Rechtsverordnungen oder Verwaltungsakten, sondern durch die Lenkung des Verbraucherverhaltens mittels Appellen und Überzeugungsarbeit. Durch das informale Handeln könnte sich der Staat den rechtlichen Bindungen, die den förmlichen Verfahren zugeordnet sind, entziehen und dadurch den Rechtsschutz der Betroffenen verkürzen.
Rechtsprechung4 und Literatur5 haben sich, ausgelöst durch die zum Teil spektakulären Warnungsfälle im Lebensmittelrecht, intensiv mit der staatlichen Informationstätigkeit befasst. Dabei wurden dem Staat Grenzen aufgezeigt, auf die noch einzugehen ist.
Weit weniger beachtet, aber von großer Bedeutung, ist die jährlich millionenschwere staatliche Förderung privater Organisationen, die durch ihre Äußerungen Marktmacht ausüben können. Die Verbraucherzentrale Bundes¬
2. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann der Staat seine rechtlichen Bindungen bei der Informationstätigkeit nicht dadurch abstreifen, dass er sich der Hilfe eines privaten Vereins versichert und diesen finanziert.11 Gegenstand des vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Falls war die institutionelle und projektbezogene Förderung eines Vereins mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt. Nach seiner Satzung verfolgte der Verein das Ziel, sich kritisch mit den so genannten „Jugendreligionen“ auseinanderzusetzen. Das Bundesverwaltungsgericht bewertete die Förderung wegen der gezielten, kritischen Auseinandersetzung des Vereins mit konkreten Religionsgemeinschaften als Eingriff in die durch Art. 4 GG geschützte Religions- und Weltanschauungsfreiheit. Da die Förderung in die Grundrechte der Kläger aus Art. 4 GG eingreife, bedürfe es hierfür einer gesetzlichen Grundlage. Die der Förderung zu Grunde liegenden Ansätze im Bundeshaushaltsplan i.V.m. dem Haushaltsgesetz seien keine ausreichenden Ermächtigungsgrundlagen für den Eingriff in Grundrechte der Kläger. Das Bundesverwaltungsgericht stellte klar, dass sich die Bundesregierung ihren rechtlichen Bindungen nicht dadurch entziehen kann, dass sie ihre Informationsaufgaben nicht selbst erfüllt, sondern die Informationstätigkeit privater Vereine finanziert. Die Bundesregierung kann damit im Ergebnis nur solche Informationstätigkeit privater Vereine finanziell unterstützen, die sie selbst durchführen könnte. Soweit mit der Informationstätigkeit Grundrechtseingriffe verbunden sind, handelt es sich um „echte Verwaltungstätigkeit“, für die eine gesetzliche Grundlage erforderlich ist.
Das Bundesverfassungsgericht hat die Anforderungen an Informationen eines Bundesministeriums über Lebensmittel unter Nennung des Herstellernamens im Glykolwein-Beschluss klargestellt.12 In der bestehenden Wirtschaftsordnung betreffe das Freiheitsrecht des Art. 12 Abs. 1 GG zwar insbesondere das berufsbezogene Verhalten einzelner Personen oder Unternehmen. Es schütze aber nicht vor der Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen am Markt, die für das wettbewerbliche Verhalten der Marktteilnehmer von Bedeutung sein können, selbst wenn die Inhalte sich auf einzelne Wettbewerbspositionen nachhaltig auswirken. Die Bundesregierung habe jedoch die rechtlichen Vorgaben für Informationshandeln zu wahren. Verfassungsrechtlich von Bedeutung seien hierbei das Vorliegen einer staatli¬
Erfolgt die Information durch einen privaten Verein, der aus Mitteln des Bundeshaushalts gefördert wird, ist die Förderung rechtswidrig, wenn die Anforderungen an Zuständigkeit, Richtigkeit und Sachlichkeit nicht gewahrt sind.
3. Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen hält die Förderungspraxis des Bundes bei privaten Verbraucherinformationen nicht in allen Fällen stand: Für die Förderung von Internetportalen, die von privaten Organisationen betrieben werden und die sich kritisch mit Produkten oder Dienstleistungen auseinandersetzen, fehlt dem Bund regelmäßig die Informationskompetenz. Eine Informationskompetenz kann aus der Aufgabe der „Staatsleitung der Regierung“ folgen. Die Bundesregierung ist danach überall dort zur Informationsarbeit berechtigt, wo ihr eine „gesamtstaatliche Verantwortung der Staatsleitung“ zukommt, die mit Hilfe von Informationen erfüllt werden kann. Dies ist der Fall, wenn Vorgänge wegen ihres Auslandsbezugs oder ihrer länderübergreifenden Bedeutung überregionalen Charakter haben und eine bundesweite Informationsarbeit der Regierung die Effektivität der Problembewältigung fördert. Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Glykolweinliste macht deutlich, dass die Informationskompetenz der Bundesregierung vor allem zur „Krisenbewältigung“ besteht.14 Der Bereich der Staatsleitung
Wenn in Internetportalen eine Bewertung der von Verbrauchern gerügten Produkte oder Dienstleistungen durch die Verbraucherzentralen oder andere Organisationen erfolgt, die nach ihren Satzungen nicht neutral sind, sondern vorrangig Verbraucherinteressen wahrnehmen, können die Anforderungen an staatliche Informationstätigkeit nicht eingehalten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat klargestellt, dass Art. 12 Abs. 1 GG den Hersteller oder Dienstleister nicht vor der Verbreitung von inhaltlich zutreffenden und unter Beachtung des Gebots der Sachlichkeit sowie mit angemessener Zurückhaltung formulierten Informationen durch einen Träger der Staatsgewalt schützt.16 Insoweit stellt das Bundesverfassungsgericht einen gewichtigen Unterschied zu Informationen durch Private heraus. Der Staat unterliegt dem Sachlichkeitsgebot, während Private sich auf das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG berufen können; nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt ist nur die Verbreitung bewusst unwahrer Tatsachen und von Werturteilen, die die Grenze der Schmähkritik überschreiten.17 Der Staat muss sich richtig und sachlich äußern, er darf nicht „parteiisch“ sein. Die öffentliche Gewalt ist kein gleichberechtigter Mitspieler im „Konzert der Meinungen“.18 Hoheitliche Äußerungen genießen in der Öffentlichkeit wegen der rechtlichen, insbesondere grundrechtlichen Bindungen der öffentlichen Hand, besondere Autorität. Mit dieser besonderen Autorität und Glaubwürdigkeit verträgt es sich nicht, wenn die öffentliche Gewalt durch eine „Flucht ins Privatrecht“ über die Finanzierung privater Vereine Informationen verbreiten lässt, die nicht als staatliche Informationen verbreitet werden könnten. Der Staat kann die rechtlichen Bindungen seines Äußerungsrechts nicht dadurch abstreifen, dass er sich der Hilfe eines privaten Vereins versichert, der die ihm zustehende, grundrechtlich verbürgte Meinungsfreiheit bis zur Grenze der Schmähkritik nutzen kann. Die damit den Staat treffende Pflicht, bei Förderungsmaßnahmen strikt auf Neutralität zu achten, führt zur Notwendigkeit einer speziellen gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage im grundrechtsrelevanten Bereich.19
Dies bedeutet allerdings nicht, dass die gesamte Förderung der Verbraucherzentralen durch Bund und Länder rechtswidrig wäre. Die staatliche Förderung wird erst dann rechtlich problematisch, wenn der geförderte Private in die Grundrechte eines Unternehmens aus Art. 12 GG eingreift. Dies setzt voraus, dass die Nachteile für die Unternehmen aus der Informationsarbeit nicht nur mehr oder weniger zufällig oder nebenbei auftreten, sondern das zwangsläufige und sichere Ergebnis, gleichsam die „Kehrseite“ der erstrebten Beeinflussung der Öffentlichkeit sind.20 Allgemeine Empfehlungen und Aufklärungsarbeit, zum Beispiel über die Rechtsprechung zu den Pflichten, die Geldinstitute bei Beratung und Aufklärung erfüllen müssen,21 erfolgen ohne Bezug zu einem konkreten Grundrechtsträger und sind deshalb keine mittelbar-faktischen Grundrechtseingriffe. Ähnliches wird z.B. für die allgemein gehaltene Aufklärung über die Risiken bestimmter Geldanlagen gelten. Art. 12 GG schützt nicht vor der Verbreitung solcher allgemein gehaltenen sachlichen Informationen am Markt, selbst wenn sich die Informationen auf einzelne Wettbewerbspositionen nachteilig auswirken können. Anders liegt der Fall bei kritischen Äußerungen zu bestimmten Grundrechtsträgern unter Nennung von Art und Herkunft von Produkt oder Dienstleistung, die gezielt dazu dienen sollen, den Absatz bestimmter Produkte oder Dienstleistungen zu beeinträchtigen. Solche Informationen greifen mittelbar-faktisch in Grundrechte ein. Der Staat darf Private bei der Verbreitung solcher Informationen nur fördern, wenn die Anforderungen an staatliche Informationstätigkeit erfüllt sind. Werden durch die geförderte Organisation pauschal abwertende, herabsetzend formulierte Stellungnahmen über konkrete Unternehmen verbreitet, die nach ihrem Inhalt darauf gerichtet und auch dazu geeignet sind, die von dem Unternehmen angebotenen Produkte bzw. Leistungen nicht nachzufragen, ist die Grenze der zulässigen staatlichen Öffentlichkeitsarbeit überschritten.22 Solche Stellungnahmen können nur durch die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG gerechtfertigt werden, der Staat darf sie nicht finanziell fördern.23
Die Finanzierung der Stiftung Warentest mit öffentlichen Mitteln ist mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen vereinbar. Die Stiftung Warentest wurde im Jahr 1964 errichtet. Sie bestreitet ihren Haushalt zum Großteil aus Eigenmitteln, erhält aber nach wie vor regelmäßige Zuschüsse durch das
4. Die Förderung privater Informationstätigkeit aus öffentlichen Mitteln unterliegt nach alledem rechtlichen Grenzen. In der Praxis ist nicht immer gewährleistet, dass diese Grenzen gewahrt werden. Während die Stiftung Warentest sowohl durch ihre Organisation als auch durch die Bindungen der Rechtsprechung des BGH die Gewähr dafür bietet, dass ihre Äußerungen im Wesentlichen auch als „amtliche“ Äußerungen zulässig wären, ist dies bei der Förderung der Verbraucherzentralen nicht gewährleistet. Bund und Länder haben wohl auch wenig Möglichkeiten, die Verbraucherzentralen zur Neutralität zu verpflichten, dies wäre mit deren Satzungszweck nicht vereinbar. Handfeste verfassungsrechtliche Probleme treten auf, wenn die geförderten Privaten bei ihren Veröffentlichungen die ihnen zustehende Meinungsfreiheit voll ausschöpfen und das für die öffentliche Hand geltende Sachlichkeitsgebot verletzen. Dann ist auch die Förderung aus öffentlichen Mitteln rechtswidrig. Vor diesem Hintergrund gehen die Tendenz in den Ländern, die Zuwendungen an Verbraucherorganisationen zurückzufahren,32 und das Bestreben der Verbraucherzentralen, andere Finanzierungsquellen zu erschließen, um von öffentlichen Zuschüssen unabhängiger zu werden,33 in die richtige Richtung.
Klaus-Peter Dolde
1 | BVerfGE 105, 252ff.; dazu Murswiek, NVwZ 2003, 1; Porsch, ZLR 2003, 175. |
2 | LG Stuttgart NJW 1989, 2257; OLG Stuttgart NJW 1990, 2690 – Birkel; dazu Ossenbühl, ZHR 155 (1991) 329; vgl. auch Dolde, Behördliche Warnungen vor nicht verkehrsfähigen Lebensmitteln, 1987. |
3 | Zu solchen allgemein gehaltenen Äußerungen ausführlich von Danwitz, Verfassungsfragen staatlicher Produktempfehlungen, 2003; vgl. auch Ossenbühl, Umweltpflege durch hoheitliche Produktkennzeichnung, 1995, zu staatlichen „Auszeichnungen“ für umweltfreundliche Produkte. |
4 | BVerfGE 105, 252; BVerwGE 87, 37 – Glykolweinliste; BVerfGE 105, 279 – Osho; BVerwGE 71, 183 – Arzneimitteltransparenzliste; BVerwGE 82, 76 – Transzendentale Meditation, bestätigt von BVerfG NJW 1989, 3269; BVerwG NJW 1996, 3161 – Veröffentlichung von Warentests durch eine Landwirtschaftskammer. |
5 | Aus der kaum mehr überschaubaren Literatur ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit: Gusy, NJW 2000, 977; Huber, JZ 2003, 290; Ossenbühl, ZHR 155 (1991) 329; monographisch Philipp, Staatliche Verbraucherinformationen im Umwelt- und Gesundheitsrecht, 1989. |
6 | Der Kernhaushalt der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. im Haushaltsjahr 2009 umfasste 9,3 Mio. €. Die institutionelle Förderung durch das BMELV betrug 8,7 Mio. €. Darüber hinaus wurde der Projekthaushalt mit einem Finanzvolumen von 15,8 Mio. € durch Zuwendungen des BMELV in Höhe von insgesamt 1,13 Mio. € gefördert; vgl. Jahresbericht Verbraucherzentrale Bundesverband, 2009/2010, zum download auf der Homepage: http://www.vzbv.de. |
7 | Die Länder geben durchschnittlich 0,49 € pro Einwohner an Zuschüssen für die Verbraucherzentralen aus. |
8 | So bezeichnet Der Tagesspiegel vom 18. 9. 2009 das geplante Internetportal. |
9 | Vgl. § 2 Abs. 1 a der Satzung der Verbraucherzentrale Bundesverband e.V. |
10 | Im Heft „Finanztest“ (August 2010) wurden Beratungsleistungen von Banken getestet, sechs Institute erhielten die Note „mangelhaft“, kommentiert mit der Headline: „Wie Anlageberater das Gesetz missachten“. |
11 | BVerwGE 90, 112; dazu Badura, JZ 1993, 37. |
12 | BVerfGE 105, 252ff.; dazu Murswiek, NVwZ 2003, 1; Porsch, ZLR 2003, 175. |
13 | BVerfGE 105, 252, 273. |
14 | BVerfGE 105, 252, 271. |
15 | BVerwG NJW 2006, 1303. |
16 | BVerfGE 105, 252, 272. |
17 | Vgl. z. B. BVerfG NJW-RR 2004, 1710 – gerlach-report. |
18 | Philipp (Fn. 5), S. 144f. |
19 | BVerwGE 90, 112, 114. |
20 | BVerwGE 190, 112, 120f.; zur Problematik des mittelbar-faktischen Eingriffs BVerfGE 105, 279, 304f.; Ossenbühl, ZHR 155 (1991) 321, , 334. |
21 | Vgl. z. B. die Informationen auf der Homepage der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg: http://www.vz-bawue.de, Rubrik: Finanzen. |
22 | Vgl. dazu in Abgrenzung zur privaten Meinungsäußerung BVerfG NJW-RR 2004, 1710, 1712f. |
23 | Ein Beispiel für als staatliche Information nicht mehr zu rechtfertigende Öffentlichkeitsarbeit ist die „Mogelpackungsliste“ der Verbraucherzentrale Hamburg, http://www.vzhh.de. |
24 | Derzeit jährlich 6 Mio. € als Ausgleich für den Verzicht auf Werbeeinnahmen; vgl. zur Arbeit der Stiftung Warentest ausführlich Philipp (Fn. 5), S. 28 ff. |
25 | § 2 Abs. 1 und 2 der Satzung, abrufbar bei: http://www.test.de, Rubrik: Über uns/Geschichte/Struktur und Satzung. |
26 | BGHZ 65, 325, ständige Rechtsprechung, vgl. BGH NJW 1997, 2593, 2594. |
27 | BGH NJW 1987, 2222, 2224. |
28 | BT-Drs. IV/2728, S. 2; dazu Philipp (Fn. 5), S. 28 f. |
29 | Vgl. BVerwGE 110, 9, 12; Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 104a GG Rdn. 3; in der Literatur wird diese Frage nicht problematisiert, vgl. Philipp (Fn. 5), S. 30ff. |
30 | BVerfGE 105, 252, 269 und 273f.; Borchert, ZRP 2008, 118. |
31 | So schon das Bundesverfassungsgericht im ersten Rundfunk-Urteil, BVerfGE 12, 205, 251. |
32 | Kritisch Borchert, ZRP 2008, 118. |
33 | Vgl. http://www.vzbv.de, Rubrik: Wir über uns/Stiftung; der Bund der Versicherten arbeitet ohne öffentliche Zuschüsse, vgl. http://www.bundderversicherten.de, Rubrik: Wir über uns. |