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ZLR 2024, 1
 

50 Jahre ZLR – 50 Jahre Lebensmittelrecht

Herzlichen Glückwunsch, ZLR! Die Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht feiert in diesem Jahr ihren 50. Geburtstag. Ende März 1974 veröffentlichte der Deutsche Fachverlag das allererste Heft unserer Zeitschrift.

1974 – das ist lange her, aber in verschiedener Hinsicht erstaunlich aktuell. Das Computerzeitalter wurde mit dem 1974 entwickelten und wenig später erfolgreich vermarkteten Heim-PC Altair 8800 in den privaten Arbeitszimmern sichtbar. Wer technisch noch nicht so interessiert war, konnte seit 1974 zu Playmobilfiguren greifen. Mit der Einführung des VW Golf endete die Ära des Käfers und eine neue Autozeit begann. Zugleich steckte Deutschland in einer Energiekrise (Öl) und stritt über das Tempolimit auf der Autobahn, das im März 1974 wieder aufgehoben wurde. Im Gegenzug entstand das Verkehrsregister in Flensburg. Die Band Kraftwerk schuf den deutschen Autobahnen dann auch gleich ein musikalisches Denkmal. Auf der Brennerstrecke ging allerdings zeitweise gar nichts mehr – italienische Bauern protestierten mit Blockaden gegen den Preisdruck. Überhaupt, die Preise: Der US-Präsident Ford forderte “Whip inflation now” – tatsächlich konnte die Bundesbank im Hebst 1974 den Lombardsatz auf 8,5 % senken. Gerald Ford war gerade neu ins Amt gelangt, denn 1974 war das Jahr, in dem Regierungskrisen in den USA und Deutschland die Rücktritte von Richard Nixon und Willy Brandt auslösten. In Deutschland wurde mit Helmut Schmidt ein Hamburger vom Bundestag zum Kanzler gewählt. Krieg gab es damals leider auch, unter anderem auf Zypern; in Portugal gewann mit der Nelkenrevolution die Demokratie mühsam die Oberhand. Sportliche Großereignisse hielten die Öffentlichkeit in Atem, angeführt von Franz Beckenbauer krönte sich die deutsche Fußballnationalmannschaft in München zum Weltmeister und Muhammad Ali besiegte George Foreman beim “Rumble in the Jungle”.

Vogel des Jahres war 1974 übrigens die Mehlschwalbe. Weil eine Schwalbe bekanntlich noch keinen Sommer macht, blieb die Weinernte nach eher kühlen und nassen Monaten weit hinter den Erwartungen zurück. Wer verregnete Tage am Fernseher oder Radio verbrachte, konnte seit dem Sommer 1974 keine Tabakwerbung mehr hören und sehen – nach langem Ringen hatte der Bundestag ein umfassendes Werbeverbot erlassen.

Und das Lebensmittelrecht? Feiert in diesem Jahr ebenfalls einen 50. Geburtstag: Am 15.8.1974 erblickte das moderne deutsche Lebensmittelrecht in Form des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes (LMBG) das Licht der Welt. Das LMBG löste nach jahrzehntelanger Reformarbeit das bis dahin geltende Lebensmittelgesetz von 1936 (LMG) ab.1 Konzipiert als “generelles Dachgesetz”2 enthielt das LMBG zahlreiche Regelungen zu Lebensmitteln, Tabakerzeugnissen, Kosmetika und Be-ZLR 2024 S. 1 (2)darfsgegenständen. Darin angelegt war bereits die bis heute umstrittene3 sogenannte Gleichstellungsregelung für bestimmte Stoffe, die wie Zusatzstoffe einem Zulassungsvorbehalt unterliegen sollen. Erstmals ausdrücklich nahm das LMBG auch den Aspekt eines vorbeugenden Gesundheitsschutzes auf, ein Gedanke, der im aktuellen europäischen Lebensmittelrecht zur Ausformung des Vorsorgeprinzips in Art. 6 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 geführt hat.4 Ebenfalls vorhanden waren – unter anderem – Begriffsbestimmungen, Regelungen zu Zusatzstoffen und Rückständen, Werbevorschriften mit einem Irreführungsverbot, Rechtsgrundlagen und Vorgaben für die Lebensmittelüberwachung sowie Sanktionsnormen für den Fall von Verstößen.

Auf all das galt es sich in den Monaten bis zum Geltungsbeginn des LMBG am 1.1.1975 vorzubereiten. Kein Wunder, dass eine umfangreiche, in zwei Teilen veröffentlichte Abhandlung von Dieter Eckert, einem der “Väter” des LMBG, großen Raum in der ZLR einnahm.5 Den Startschuss des ersten ZLR-Beitrags überhaupt gab eine weitere prägende Persönlichkeit des deutschen Lebensmittelrechts, nämlich der Richter am Bundesgerichtshof Walter Zipfel mit einer Einführung in das Lebensmittelrecht zu “Begriff und Zweck, Grundlagen und Inhalt”6. Zahlreiche grundlegende Beiträge charakterisierten den ersten Jahrgang der ZLR, z. B. zur “Harmonisierung des Lebensmittelrechts in der Europäischen Gemeinschaft und im Codex Alimentarius”7 oder zum “Recht des Verbrauchers auf Gesundheitsschutz im Lebensmittelverkehr” als Ausprägung des Rechts der Bevölkerung auf ein “gesundes Lebensmilieu”8; auch “Kunststoffe und Lebensmittel”9 sowie die “Verkehrsauffassung und Verbrauchererwartung”10 wurden bereits 1974 sorgfältig beleuchtet. Eine bedeutende Rolle in der ZLR spielt seit dem ersten Jahrgang das Weinrecht, damals und über Jahrzehnte begleitet durch zahlreiche Entscheidungsanmerkungen von Koch11. Natürlich kam auch im übrigen Lebensmittelrecht die Vorstellung und Kommentierung der Rechtsprechung nicht zu kurz. Themen, die 1974 im Fokus der Gerichte standen, waren u. a. unterlassene Stichproben beim Inverkehrbringen von aus Italien importierten “garantiert naturbelassenen” Zitronen, die mit Orthophenylphenol behandelt waren12, Werbeangaben wie “Je reiner der Fruchtsaft, umso besser schmeckt die Frühlingskur”13, das Irreführungspotential der Bezeichnungen “Schonkostwürste” und “Diätgelbe”14 sowie zu geringe Fischanteile in “Krabben inZLR 2024 S. 1 (3) Gelee” und “Schillerlocken in Gelee”15. Insgesamt wies der erste Jahrgangsband der ZLR eine aus heutiger Sicht moderat wirkende Stärke von 553 Seiten auf, allerdings mit lediglich vier statt heute sechs Heften.

Hervorzuheben ist, dass die ZLR von Beginn an als Zeitschrift für das gesamte Lebensmittelrecht konzipiert wurde. Das Themenspektrum war und ist deshalb denkbar weit. Damit haben der Fachverlag und die erste Redaktion vorweggenommen, was kurze Zeit später durch das LMBG und viel später durch die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und insbesondere durch das LFGB gesetzlich umgesetzt worden ist, nämlich das Einbeziehen von Bereichen, die Vorfeldregelungen zum Lebensmittelrecht sind (Lebensmittelbedarfsgegenstände, dann auch Futtermittel) oder rechtliche Parallelen aufweisen (sonstige Bedarfsgegenstände, kosmetische Mittel, Tabakerzeugnisse).

Einen passenderen Startblock als die Begleitung des “neuen” LMBG hätte man für die ZLR als erste auf das Lebensmittelrecht spezialisierte Zeitschrift in Deutschland nicht wählen können. Natürlich ist die Neugründung einer Zeitschrift immer auch ein Wagnis, der Deutsche Fachverlag, damals noch mit Fernschreiber im Impressum genannt, schien jedoch im Hinblick auf den Erfolg der ZLR von Anfang an zuversichtlich – nicht zuletzt wegen der wachsenden Bedeutung des Lebensmittelrechts in der fachlichen und öffentlichen Wahrnehmung. Vieles klingt heute noch aktuell. In dem Geleitwort von Verlag und Redaktion zum ersten Heft heißt es:

Die Bedeutung lebensmittelrechtlicher Vorschriften und Probleme hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Der Verbraucher stellt wachsende Ansprüche an die Qualität der Ware Lebensmittel, Produktion und Handel mit Lebensmitteln finden zunehmend öffentliches Interesse.

Damit hat sich das Lebensmittelrecht zu einem Rechtsgebiet entwickelt, das Lebensqualität und Wohlergehen des Bürgers bis in Einzelheiten des täglichen zu beeinflussen vermag. Diese Erkenntnis macht eine bislang fehlende eigene Fachzeitschrift für den Bereich des gesamten Lebensmittelrechts zwingend notwendig.

Der Deutsche Fachverlag mit seinen publizistischen Erfahrungen im Feld der Ernährungswirtschaft sieht sich daher veranlasst, den Gedanken einer solchen Fachzeitschrift aufzugreifen und hiermit die 1. Ausgabe der ZEITSCHRIFT FÜR DAS GESAMTE LEBENSMITTELRECHT vorzulegen.

Die Aufgabe dieser Zeitschrift wird es sein, in Form einer modern gestalteten und konzipierten Fachpublikation lückenlos und umfassend Rechtsentwicklung und Rechtsprechung zu kommentieren und zu begleiten und ein Forum für wissenschaftliche Diskussion und Auseinandersetzung zu bieten. (. . .)”

Diesen Zielen haben sich alle Redaktionen der ZLR bis heute verbunden gefühlt. Zwar macht es die Flut der lebensmittelrechtlichen Vorschriften, Leitsätze und Ge-ZLR 2024 S. 1 (4)richtsentscheidungen inzwischen unmöglich, die Aufgabe einer lückenlosen Begleitung zu erfüllen; Schwerpunkte müssen gesetzt werden, ohne dabei das Große und Ganze aus den Augen zu verlieren. Ganz zentral bleibt jedoch vor allem das Ziel, dass der ZLR die Rolle eines Forums für Austausch und wissenschaftliche Auseinandersetzung im Lebensmittelrecht zukommen soll. Die ZLR war und ist offen für unterschiedliche Meinungen, wenn sie sachlich fundiert sind, offen auch für Debatten und Diskussion. Im besten Fall ist das vielleicht ein kleiner Gegenpol zu der zunehmenden Polarisierung im Lebensmittelrecht mit Positionierungen, die einen offenen und sachbezogenen Austausch als eher störend anzusehen scheinen.

Unter dem behütenden Dach des Fachverlags haben verschiedene Redaktionen über die Jahre hinweg den Staffelstab einander weitergereicht. Sie sind dabei von Anfang an durch einen fachkundigen Beirat unterstützt worden. Verlags- und Redaktionsarbeit sind wichtig, aber keine Fachzeitschrift kann ohne engagierte Autorinnen und Autoren existieren. Ihnen gebührt deshalb zum runden Geburtstag der ZLR der größte Dank. Eine kleine statistische Betrachtung zeigt, dass die ZLR gerade am Anfang und dann über viele Jahre hinweg von Persönlichkeiten geprägt worden ist, deren Namen heute noch die meisten kennen dürften.16 Aus der Reihe der aktiven Autorinnen und Autoren lässt sich passenderweise in diesem Heft der 50. Beitrag eines jahrzehntelangen Begleiters unserer Zeitschrift lesen, gestern wie heute mit dem charakteristisch weiten Blick auf die Entwicklungen des Lebensmittelrechts.17

Eine große Zahl von Autorinnen und Autoren hat die ZLR und das Lebensmittelrecht durch ereignisreiche Jahre getragen, u. a. die schon angesprochene Einführung des LMBG18, bahnbrechende Entscheidungen des EuGH zur Binnenmarktfreiheit in der EU19, die zunehmende Harmonisierung des EU-Lebensmittelrechts20, das Zusammenwachsen Deutschlands ab 199021, die Neuaufstellung des europäischen Lebensmittelrechts in Form der “Basis”-Verordnung (EG) Nr. 178/200222 sowie in der Folge zahlreiche weitere EU-Rechtsakte, die uns bis heute beschäftigen, etwa die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Anga-ZLR 2024 S. 1 (5)ben23, die Lebensmittelinformations-Verordnung (EU) Nr. 1169/2011 (LMIV)24 oder die neue Novel-Food-Verordnung (EU) 2015/228325. Dabei war und ist es eine Stärke der Zeitschrift, dass sie auch interdisziplinären Perspektiven Raum verschafft26, so wie es das Lebensmittelrecht vorgibt27, und es nicht scheut, perspektivisch über den Tellerrand zu blicken28. Große Bedeutung für das Lebensmittelrecht und damit für unsere Zeitschrift hat das EU-Recht; seit vielen Jahren erscheint die ZLR vereinigt mit dem European Food Law Review (EFLR).

Dank gebührt auch Ihnen, liebe ZLR-Leserinnen und Leser. Denn ohne Publikum kann eine Zeitschrift natürlich ebenso wenig existieren. Wir bedanken uns im Namen des Verlags und aller Redaktionen, die den Staffelstab vor uns getragen haben, für Ihr Interesse an den Inhalten zum gesamten Lebensmittelrecht. Begleiten Sie uns weiter, gerne auch kritisch, vielleicht demnächst einmal wieder oder erstmals selbst als Autorin oder Autor, damit die ZLR auch in den nächsten 50 Jahren ein lebhaftes und interessantes Forum für den Austausch zum Lebensmittelrecht bleibt. In einem der kommenden Hefte werden wir den runden Geburtstag der ZLR noch einmal aufnehmen und die Zeitschrift aus unterschiedlichen Perspektiven kurz beleuchten lassen, freuen Sie sich darauf!

Die Redaktion

1

Siehe Eckert, ZLR 1974, 265.

2

So Eckert, ZLR 1974, 265, 265 f.

3

Vgl. Hagenmeyer, ZLR 2020, 215, 218 ff.

4

Zum lebensmittelrechtlichen Vorsorgeprinzip vgl. Böhm, ZLR 2000, 241; Meisterernst, ZLR 2017, 439; Metthe, ZLR 2024, 6 (in diesem Heft) m. w. N.

5

Vgl. Eckert, ZLR 1974, 265 und Eckert, ZLR 1974, 427.

6

Zipfel, ZLR 1974, 5.

7

Eckert, ZLR 1974, 25.

8

So Schulze, ZLR 1974, 43.

9

Vgl. Franck, ZLR 1974, 125.

10

Zipfel, ZLR 1974, 288.

11

Beginnend mit ZLR 1974, 64.

12

OLG Köln, ZLR 1974, 175.

13

OLG Stuttgart, ZLR 1974, 186.

14

Bayer. Oberstes Landesgericht, ZLR 1974, 321.

15

KG Berlin, ZLR 1974, 328.

16

Nahezu uneinholbar vorne ist Hans-Jörg Koch mit mehr als 150 Beiträgen, gefolgt von Erich Lück, Walter Zipfel und Dietrich Gorny (Danke an den Statistiker Moritz Hagenmeyer). Vom ersten ZLR-Jahr an dabei war auch Rathke, vgl. ZLR 1974, 204 (“Die Mengenkennzeichnung von Blattgelatine in Kleinpackungen”).

17

Mettke, ZLR 2024, 6 (“Vergangene Zukunft”; in diesem Heft); der erste Beitrag war Mettke, ZLR 1977, 562 (“Anwendung und Grenzen des § 36 MilchG”).

18

Vgl. Eckert, ZLR 1974, 265 und Eckert, ZLR 1974, 427.

19

Siehe z. B. allein zu der Entscheidung des EuGH über das deutsche Reinheitsgebot bei Bier, u. a.: Dauses, ZLR 1987, 243; Krohn, ZLR 1987, 265; Klinke, ZLR 1987, 289; Zipfel, ZLR 1987, 337; Gündisch, ZLR 1987, 347.

20

Vgl. etwa Welsch, ZLR 1992, 273; Eckert, ZLR 1992, 305.

21

Vgl. Pfannschmidt, ZLR 1990, 377 mit einem in die stürmischen Zeiten eingebetteten Überblick über die Lebensmittelkontrolle in der DDR.

22

Etwa Horst, ZLR 2000, 475; Streinz/Fuchs, ZLR 2002, 169; Schroeter, ZLR 2003, 509; v. Jagow, ZLR 2007, 479.

23

Vgl. Meisterernst, ZLR 2003, 569; Loosen, ZLR 2006, 521, und zum Verhältnis zu § 12 LFGB Sosnitza, ZLR 2007, 423.

24

Vgl. Loosen, ZLR 2011, 443; Gehrmann, ZLR 2012, 161.

25

Vgl. Ballke, ZLR 2018, 4.

26

Siehe etwa Hahn, ZLR 2002, 1 und Meisterernst/Gebhart/Rothe-Dietrich, ZLR 2018, 163.

27

Streinz, ZLR 2016, 572 (“Lebensmittelrecht als interdisziplinäre und intradisziplinäre Wissenschaft”).

28

Siehe etwa das Editorial von Holle, ZLR 2023, 443 “Ist künstliche Intelligenz intelligent?”.

 
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