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ZLR 2024, 599
Nöhle 

Health claims – Rolle rückwärts?

Die sogenannte “Health claims”-Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 in Verbindung mit der “Liste” der zugelassenen Claims gem. Verordnung (EU) Nr. 432/2012 sind doch eigentlich ein schönes Stück der lebensmittelrechtlichen Entwicklung mit Bezug zum Gesundheits- und Täuschungsschutz. Nach anfänglicher Kritik und zuweilen leichtem Chaos bei Beantragung und Zulassung bzw. Ablehnung von beantragten Claims – teils abenteuerlicher Art – verläuft doch jetzt alles in geordneten Bahnen. Das Antragsverfahren nach Verordnung (EG) Nr. 353/2008 unterstützt durch eine “Guidance” ist klar, die Evaluierung der Zulassung verläuft in wissenschaftlich nachvollziehbaren Bahnen und am Ende weiß ich, woran ich bin: entweder ich lande auf der Liste der zugelassenen oder eben der abgelehnten Claims. Besonders praktisch: Unternehmen, die nicht über die wissenschaftlichen oder finanziellen Ressourcen verfügen, einen eigenen Antrag zu stellen bzw. wissenschaftlich zu begründen, können zugelassene Claims einfach übernehmen, sofern ihr Produkt die Zulassungskriterien erfüllt. Das Ganze ist wunderbar transparent dargestellt auf der Kommissionseite “Food and Feed Information Portal Database”.

Für mich auf dieser Seite ebenso wichtig: Die abgelehnten Claims. Hier kann jeder schnell und einfach die zuweilen abstrusen Träume einiger weniger Marketing-Kollegen einbremsen – Entschuldigung, vorab einer ersten Prüfung unterziehen – und so zu einer allerersten Einschätzung kommen, ob es Sinn macht, einen angedachten Claim weiter zu verfolgen.

Einige Highlights von abgelehnten Claims mögen diese Despektierlichkeit veranschaulichen:

“Fats are needed to absorb fat soluble-vitamins”, “Soups give you a feeling of satiety”, “Standardisierter Kartoffelextrakt hilft Ihnen, kontrolliert und nicht zwischen den Mahlzeiten zu essen”. Und mein persönlicher Favorit: “Wasser schützt vor Verdursten”, sorry, genau heißt es: Regular consumption of significant amounts of water can reduce the risk of development of dehydration and of concomitant decrease of performance.”

Prinzipielle Kritiker der Health Claims bemängeln zuweilen eher grenzwertig sinngebende, aber zugelassene Claims wie z. B. “Calcium wird für die Erhaltung normaler Knochen benötigt”.

Dennoch, die EFSA als von der Kommission beauftragte EU-Oberbehörde für Lebensmittelsicherheit, investiert viel Arbeit und wissenschaftlichen Input in die Bewertung der beantragten Werbeaussagen. Und dieser Anspruch kommt nicht von ungefähr, denn in Erwägungsgrund Nr. 17 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 heißt es:

Eine wissenschaftliche Absicherung sollte der Hauptaspekt sein, der bei der Verwendung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben berücksichtigt wird, und die Lebensmittelunternehmer,ZLR 2024 S. 599 (600) die derartige Angaben verwenden, sollten diese auch begründen. Eine Angabe sollte wissenschaftlich abgesichert sein, wobei alle verfügbaren Daten berücksichtigt und die Nachweise abgewogen werden sollten.

Und weiter in Erwägungsgrund Nr. 23:

Gesundheitsbezogene Angaben sollten für die Verwendung in der Gemeinschaft nur nach einer wissenschaftlichen Bewertung auf höchstmöglichem Niveau zugelassen werden. . . ..

Doch der Stand von Wissenschaft und Technik ist im ständigen Fluss und eine Aussage, die heute wissenschaftlich als abgesichert gilt oder ein Lebensmittel oder ein zu bewertender Inhaltsstoff, der heute als sicher i. S. der Basis-Verordnung (EG) Nr. 178/2002 eingestuft wird, kann bei einem geänderten Kenntnisstand der Wissenschaft anders bewertet werden.

Dafür sieht die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 denn auch im Erwägungsgrund Nr. 27 vor:

Zur Anpassung an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt sollte die vorstehend erwähnte Liste umgehend geändert werden, wann immer dies nötig ist. . . .

Und dafür gibt es ein konkretes Beispiel aus jüngster Vergangenheit. Mit der Verordnung (EU) 2024/2041 v. 29.7.2024 hat die Kommission den bisher zugelassenen Health Claim für Monacolin K in Rotschimmelreis zurückgezogen. Die bisher zugelassene Aussage “Monacolin K aus Rotschimmelreis trägt zur Aufrechterhaltung eines normalen Cholesterinspiegels im Blut bei” ist bereits am 19.8.2024 aus der Liste der zugelassenen Claims nach der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 gestrichen worden. Grund waren neue toxikologische Erkenntnisse der EFSA mit gesundheitlichen Bedenken zu Monokolin K, die durch eine einschlägige “Scientific Opinion” im EFSA-Journal publiziert wurden, naturwissenschaftlich richtig und i. S. der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 gesundheitspolitisch sachlich nachvollziehbar.

Merke: Ein einmal zugelassener Health Claim ist nicht unbedingt für die Ewigkeit.

Doch es kommt noch mehr und vor allem gravierender.

Mit der Verordnung (EU) 2025/2105 berichtet die Kommission über die Nichtzulassung eines beantragten Claims für das Süßungsmittel Isomaltulose mit der Aussage “Isomaltulose trägt zu einem normalen Energiestoffwechsel bei”. Isomaltulose besteht ähnlich wie Saccharose aus einem Molekül Glucose und einem Molekül Fructose, die jedoch sterisch anders angeordnet sind, mit der Folge, dass Isomaltulose langsamer verstoffwechselt wird, weniger Insulin pro Zeiteinheit bedarf und zudem noch als “zahnfreundlich” eingestuft ist. Der geringere Insulinbedarf pro Zeiteinheit drückt sich in einem so genannten geringeren “Glykämischen Index” aus und der Verzehr kann sich günstig auf Verbraucher auswirken, die auf ihr Körpergewicht achten wollen. Gleichwohl, kalorisch wirkt sich Isomaltulose wie Saccharose ausZLR 2024 S. 599 (601) und wird letztlich identisch zu Saccharose in Glucose und Fructose hydrolysiert und danach gleichartig weiter verstoffwechselt. Der vorbezeichnete Claim ist sachlich richtig und der Darstellung der Verstoffwechselung durch den Antragsteller wurde durch die EFSA auch nicht widersprochen.

Doch die Kommission hat den Claim dennoch abgelehnt. In der Begründung zur Ablehnung durch die Kommission fällt folgende Argumentation in Erwägungsgrund Nr. 7 zur Verordnung (EU) 2024/2105 auf:

Die Zulassung kann rechtmäßig verweigert werden, wenn eine gesundheitsbezogene Angabe anderen allgemeinen oder spezifischen Anforderungen der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 nicht entspricht, und zwar auch dann, wenn ihre wissenschaftliche Bewertung durch die Behörde positiv ausgefallen ist. Es sollten keine gesundheitsbezogenen Angaben gemacht werden, die den allgemein anerkannten Ernährungs- und Gesundheitsgrundsätzen zuwiderlaufen. In diesem speziellen Fall würde die Verwendung einer solchen gesundheitsbezogenen Angabe ein widersprüchliches und verwirrendes Signal an die Verbraucher senden. Isomaltulose ist ein Disaccharid, das aus einem Glukose- und einem Fruktosemolekül besteht, und deshalb würde eine solche gesundheitsbezogene Angabe zum Verzehr von Zucker aufrufen, für den nationaler und internationale Behörden aufgrund anerkannter wissenschaftlicher Nachweise den Verbrauchern eine Verringerung des Verzehrs empfehlen.

Hoppla, das ist aber jetzt eine ganz andere Art der Argumentation. Die EFSA hat nichts gegen den Claim, die Kommission aber schon, weil “internationale Behörden” eine Verringerung des Zuckerverzehrs empfehlen. Mit letzteren können wohl nur z. B. die WHO (letztes Paper “Reducing free sugars intake in adults to reduce the risk of noncommunicable diseases” v. 9.8.2023) sowie z. B. die DGE (Empfehlung zur maximalen Zuckerzufuhr in Deutschland, 2024) gemeint sein – beides bekanntlich keine Behörden.

Nun ja, der Erwägungsgrund Nr. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 gibt eine derartige Argumentation tatsächlich her: “Eine nährwert- und gesundheitsbezogene Angabe sollte nicht gemacht werden, wenn sie den allgemein akzeptieren Ernährungs- und Gesundheitsgrundsätzen zuwiderläuft oder wenn sie zum übermäßigen Verzehr eines Lebensmittels verleitet oder diesen gutheißt oder von vernünftigen Ernährungsgewohnheiten abbringt.”

Der Blickwinkel scheint sich bei der Kommission zu verändern – nicht nur der wissenschaftliche Aspekt der Nachvollziehbarkeit zählt, sondern zunehmend auch der ernährungspolitische. Mit dieser Erkenntnis und den “Nationalen Reduktionsplan Fett/Zucker/Salz” des BMEL heranziehend, die neue Ernährungspyramide der DGE vom Frühjahr 2024 berücksichtigend (weniger Milch und Fleisch) und die Empfehlungen des “Bürgerrates Ernährung” vom Februar 2024 mit der durch das BMEL propagierten, politisch gewollten Einschränkung des Fleisch- und Milch(produkte)verzehrs nebst angedachter Erhöhung des MWSt-Satzes von 7 auf 19 % für LetztereZLR 2024 S. 599 (602) bin ich einmal die Liste der zugelassenen Claims nach der Verordnung (EU) Nr. 432/2012 durchgegangen. . ..und dabei fällt mir auf, dass ich unter diesem Blickwinkel völlig konsterniert bei folgenden – zugelassenen – Angaben bin:

Milch(produkte)bezogen:

sämtliche Calcium-Claims mit Bezug zu einer Milchproduktequelle sämtliche “Joghurt-Kultur-Claims” Beispiele: “Calcium trägt zu einer normalen Muskelfunktion bei” “Bei Personen, die Probleme mit der Verdauung von Lactose haben, verbessert Lactase die Lactoseverdauung”

Fleisch(produkte)bezogen:

sämtliche Eisen-Claims mit Bezug zu Fleischerzeugnissen Beispiel: “Fleisch trägt bei Verzehr mit anderen eisenhaltigen Lebensmitteln zu einer verbesserten Eisenaufnahme bei”

Zuckerbezogen:

Der Verzehr von Lebensmitteln, die Fructose enthalten, führt zu einem geringeren Glucoseanstieg im Blut im Vergleich zu Lebensmitteln, die Saccharose oder Glucose enthalten”

Das könnte noch anstrengend werden, wenn Ernährungspolitik wissenschaftliche Aussagen zu relativieren droht.

Lebensmittelchemiker Prof. Dr. Ulrich Nöhle, Otterndorf

 
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