Editorial
Peter Graf von Kielmansegg, emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Universität Mannheim, warnte in der Süddeutschen Zeitung, dass sich die Dritte Gewalt in die Förderung der Energiewende einschalte. Anlass war der berühmte Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz vom 24. März 2021 (vgl. ZNER 2021, 262 – 267. Dabei zeigen nationale und internationale Vorgängerentscheidungen, dass es längst eine Bewegung in der Dritten Gewalt gibt, die wohl nicht mehr aufzuhalten ist. Sie ist der Anlass für dieses Schwerpunktheft.
Wir beginnen mit dem Beweisbeschluss des OLG Hamm vom 30. November 2017 (ZUR 2018, 118) im Fall eines peruanischen Bauern, der RWE auf Kostenersatz für CO2-Ausstoß in Anspruch nimmt. Der Fall wird im Aufsatz der Rechtsanwältinnen Dr. Roda Verheyen und Clara Goldmann näher dargestellt. Frau Verheyen ist auch die Prozessbevollmächtigte in diesem sensationellen Rechtsstreit.
Die ZNER nimmt auch zwei Entscheidungen niederländischer Gerichte auf, die die Redaktion in die deutsche Sprache übersetzt hat – das Urgenda- und das Shell-Urteil. Im Fall der Stiftung Urgenda entschied der Hoge Raad, der oberste Gerichtshof der Niederlande, am 20. Dezember 2019, dass der holländische Staat aufgrund der Art. 2 und 8 EMRK verpflichtet ist, die Treibhausgasemissionen bis Ende 2020 um mindestens 25 Prozent zu reduzieren. Und am 26. Mai 2021 hat das Bezirksgericht Den Haag in einem Verfahren zahlreicher Kläger gegen den Shell-Konzern diesen verpflichtet, seine CO2-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent zu reduzieren, bezogen auf das Jahr 2019. Die ZNER druckt zahlreiche redaktionelle Leitsätze ab, da der vollständige Abdruck des sehr langen Urteils das Heftformat sprengen würde.
Mit den Urteilen befasst sich auch Prof. Walter Frenz in seinem interessanten Aufsatz Haftung für Hochwasser- und Klimaschäden.
Prof. Felix Ekardt (Mitglied der ZNER-Redaktion) diskutiert im Aufsatz Rentenreform und Wärmewende: Maßstäbe der Eigentumsgarantie nach dem BVerfG-Klima-Beschluss, den er zusammen mit Ass. jur. Theresa Rath verfasst hat, welche auf die Eigentumsgarantie des Art. 14 GG gestützten Einwendungen gegenüber nötigen Reformen bei den Renten und im Gebäudesektor überhaupt zulässig sind.
Im Aufsatzteil befasst sich Prof. Lorenz Jarass unter dem Thema Von der Energiewende zur Energierevolution mit der Frage, wie die Energiewende beschleunigt werden kann.
Erheblichen Disput in der Redaktion hat das Buch von Henrik Paulitz StromMangelWirtschaft (2021) verursacht. Prof. Jarass und der Schriftleiter der ZNER hatten seinerzeit das Buch rezensiert (ZNER 2021, 145). Sodann hat Prof. Uwe Leprich als intimer Kenner der Materie in seinem Aufsatz „Stromlücke, die Zweite“ (ZNER 2021, 443) Paulitz’ Thesen widerlegt. Paulitz bestand auf einer Replik, die die ZNER aus Fairnessgründen in diesem Heft abdruckt. Zu dieser Replik nimmt Prof. Leprich wie folgt Stellung:
Das Thema Versorgungssicherheit hat zwischenzeitlich durch den Krieg in der Ukraine noch einmal eine viel weitere Dimension angenommen, wird in diesem Heft aber nur am Rande durch die Replik von Henrik Paulitz auf den Beitrag von Uwe Leprich im Heft 5/2021 gestreift. Inhaltlich sieht er seine Befürchtungen vor einer Stromlücke in vielerlei Hinsicht von kompetenter Seite bestätigt, wobei ihm Leprich diese Bestätigung nun gerade in den meisten Punkten versagt hatte. Dass man sich um die Überbrückung von Dunkelflauten kümmern muss, ist so trivial wie seit mindestens 20 Jahren bekannt, und es ist seither viel dafür getan worden. Aktuell findet eine differenzierte Expertendiskussion statt, was zusätzlich getan werden muss, und die ZNER wird hierzu weiter am Ball bleiben. Warum sich Paulitz mit seinen Publikationen in eine erbitterte Abrechnung mit der ihm offensichtlich verhassten Energiewende hinein steigert, bleibt sein Geheimnis, dürfte ihm künftig aber allenfalls noch feuilletonistische Aufmerksamkeit bescheren.
Peter Becker/Uwe Leprich