Editorial
Gleich zwei Mal ist die Bundesrepublik bereits gerichtlich zu mehr Klimaschutz verpflichtet worden: Vor zwei Jahren BVerfG, am 30. 11. 2023 noch einmal vor dem OVG Berlin-Brandenburg. Beide Male war der Editor als Rechtsvertreter beteiligt, beim BVerfG außerdem seit 2000 mit der wissenschaftlichen Vorbereitung. Das OVG judiziert nun, dass die Bundesregierung schon ihre eigenen, gemessen am damaligen BVerfG-Beschluss weiterhin unzureichenden Klimaziele (näher dazu Ekardt/Heß/Bärenwaldt/Hörtzsch/Wöhlert, Judikative als Motor des Klimaschutzes? Bedeutung und Auswirkungen der Klimaklagen, UBA-Texte, 2023) seit Jahren nicht einhält, und zwar konkret im Gebäude- und im Verkehrssektor.
§ 8 KSG sieht für diesen Fall den Erlass von Sofortprogrammen vor – also das Anschieben schnell wirkender Maßnahmen. Das hat die Regierung bislang unterlassen. Nunmehr geht sie in Revision und will mit einer KSG-Novelle tricksen und eine Erledigung des Verfahrens erreichen: Künftig soll die Regierung als Ganze dafür verantwortlich sein, dass die Klimaziele erreicht werden, nicht mehr jeder einzelne Bereich für sich. Vor allem will sie sich laut Vorentwürfen fürs neue Gesetz deutlich großzügigere Zeiträume einräumen, um nachzubessern. Käme dieses seit einem Jahr angekündigte, aber immer wieder aufgeschobene Gesetz, wäre es eine massive Peinlichkeit für die selbsternannte Klimavorreiter-Regierung.
Im übergreifenden Klimaschutzprogramm vom Herbst 2023, das die geplanten Maßnahmen aller Sektoren mittelfristig konzipiert, geht die Regierung gar davon aus, dass sie bis 2030 insgesamt hinter ihren Zielen zurückbleibt. Das ist fatal, selbst wenn die endgültigen Emissionsdaten für 2023 wegen der sehr warmen Witterung vielleicht noch ein wenig korrigiert werden. Dabei gibt es gerade im Verkehrsbereich reichlich Instrumente, die die Emissionen zeitnah verringern würden und fast nichts kosten oder sogar Geld sparen. Dazu gehören ein Tempolimit auf Autobahnen oder mehr Tempo 30 in Innenstädten. Die Pendlerpauschale ließe sich so reformieren, dass nur noch die Nutzung von Rad und ÖPNV begünstigt wird. Ein Aus für die Steuerbegünstigung der privaten Nutzung von Dienstwagen, die ohnehin primär Besserverdienenden nützt, wäre ebenfalls förderlich für das Klima. Gestrichen werden könnte auch die Dieselkraftstoff-Vergünstigung, und auch die Begünstigung des inländischen Flugverkehrs etwa beim Flugbenzin könnte radikaler angegangen werden, als es die Bundesregierung jetzt plant.
Damit wäre dann auch Geld frei, um im Gebäudebereich diejenigen beim Sanieren stärker zu fördern, die ohne Förderung in größere finanzielle Schwierigkeiten geraten. So ließe sich tatsächlich kurzfristig eine Sanierungsoffensive in Gang bringen. Subventionsstreichungen sind entgegen dem, was etwa protestierende Bauern und Handwerker dieser Tage verlautbaren, auch nicht etwa unsozial oder unwirtschaftlich. Eine Fortführung des fossil basierten Wirtschaftens hat mittel- und langfristig weit höhere Kosten – eben wegen der Folgen von Klimawandel und fossil basierten Schadstoffbelastungen. Und das wird besonders sozial weniger gut Gestellte treffen.
All das ist noch viel ungünstiger, wenn man bedenkt, dass gemessen am Verfassungsrecht und an der rechtsverbindlichen globalen 1,5-Grad-Grenze aus dem Pariser Klima-Abkommen die deutschen Ziele im alten und möglichen neuen Klimaschutzgesetz völlig unzureichend sind. Man kann anhand der 1,5-Grad-Grenze ein für Deutschland verfügbares CO2-Restbudget grob errechnen, basierend auf einer gleichen Pro-Kopf-Verteilung der noch möglichen Emissionen weltweit. Global gibt der IPCC bei einer Einhaltungswahrscheinlichkeit von 83 % für 1,5 Grad ab dem 1. 1. 2020 ein globales Gesamt-Restbudget von 300 Gigatonnen CO2 an. Bei einem Pro-Kopf-Ansatz würde das für Deutschland, das ein Hundertstel der Weltbevölkerung stellt, verbleibende 3 Gigatonnen CO2 bedeuten. Die hätte Deutschland bereits jetzt verbraucht.
Will man (vgl. § 3 KSG) erst 2045 klimaneutral sein, und verfehlt dann gar noch die eigenen unzureichenden Ziele, dann geht das also völlig an der realen Situation vorbei. Zumal das dargestellte Budget für Deutschland sogar noch sehr günstige Annahmen enthält. Gerechter wäre etwa eine Umverteilung des Budgets zugunsten der Länder des Globalen Südens, die eine geringere ökonomische Leistungsfähigkeit haben und überdies pro Kopf viel, viel weniger zum Klimawandel beigetragen haben. Eigentlich haben wir unser Budget also längst überschritten.
Auch die geopolitische Lage legt raschere Postfossilität nahe. Ein sich ausweitender Nahostkonflikt wird zum Beispiel die Ölpreise massiv beeinflussen. Dazu kommt: Europa fördert derzeit die russische Aggression aktiv, indem es fossile Brennstoffe weiter fleißig verbraucht, nunmehr oft statt direkter russischer Importe etwa Flüssiggas aus Indien, das seinerseits das Gas von russischen Staatsunternehmen bezieht. Das zu ändern, liegt in unserem ureigenen Interesse. Besonders dann, wenn Donald Trump erneut US-Präsident wird, Europa wie mehrfach angedroht den Beistand aufkündigt und Russland sodann den Krieg ausweitet. Im staatlich kontrollierten russischen Fernsehen werden bereits Baltikum, Moldau, Polen und Ostdeutschland als russische Interessensphäre reklamiert.
Bereits 2022/2023 hat die ZNER solchen Fragen einigen Raum gegeben. Sie wird das sicher auch weiterhin tun, dabei aber – als Organ gerade auch von und für Praktiker/innen – handfeste Rechtsanwendungsfragen ebenso stark fokussieren. Der erste Aufsatz im vorliegenden Heft – aus energierechtsanwaltlicher Sicht – von Dr. Florian Valentin, Dr. Bettina Hennig und Sascha Bentke betrachtet in diesem Sinne „Baukostenzuschüsse für Speicher – Anmerkung zum Beschluss des OLG Düsseldorf zum Aktenzeichen 3 Kart 183/23“. Der zweite, ebenfalls energieanwaltliche Aufsatz von Sascha Bentke und Dr. Bettina Hennig analysiert in Fortsetzung eines früheren ZNER-Beitrags „Hindernisse für Multi-Use-Speicher – Teil 2: Weitere Unsicherheiten und Gesetzesvorschläge“. Neben der im ersten Teil ausführlich analysierten Auslegung der diesbezüglichen Vorschriften im EEG bestehen auch weitere Hindernisse und Unsicherheiten für den Betrieb von ökologisch und volkswirtschaftlich eigentlich vorteilhaften Multi-Use-Speichern, etwa in InnAusV, EnWG und StromStG angelegt. Der Beitrag analysiert dies sowie optimierende Regelungsoptionen.
Das Heft wird durch eine Vielzahl wichtiger Judikate abgerundet, neben dem Judikat zur Verpflichtungen der Bundesregierung zu Klimasofortprogrammen nach § 8 KSG (OVG Berlin-Brandenburg) und zu Baukostenzuschüssen für Speicher (OLG Düsseldorf) etwa zum fehlenden Beihilfecharakter der KWKG-Förderung (EuG), zu Energy from Waste (zweimal BGH) und zu planungsrechtlichen Fragen einer Energietransportleitung nach dem anhaltend kontroversen LNGG (BVerwG).
Wir wünschen wie immer viel Freude und Erkenntnisgewinn bei der Lektüre – bleiben Sie uns auch dieses Jahr gewogen!
Prof. Dr. Dr. Felix Ekardt, LL.M., M.A.