Editorial
Windenergie onshore, die auf Sicht wohl bedeutendste Säule der allseits angestrebten Vollversorgung mit erneuerbarem Strom, befindet sich in einer dramatischen Krise: Von den notwendigen 4 bis 5 GW jährlich werden seit Jahren nur noch knapp 1 GW hinzugebaut. An den Potentialen fehlt es nicht. Lediglich 2 Prozent der Fläche müssten zur Zielerreichung bundesweit zur Verfügung gestellt werden. Dafür, dass dem nicht so ist, gibt es viele Gründe. Der Habitat-, vor allem aber der Artenschutz, rangieren in der Liste der bedeutendsten Restriktionskriterien – leider – seit Jahren ganz vorn. Dies spiegelt sich auf der Ebene der planerischen Ausweisung von Windenergiekonzentrationsflächen ebenso wider wie vor allem in der Genehmigungspraxis und findet seine Fortsetzung viel zu oft vor den Verwaltungsgerichten, sofern die entnervten Planer das konkrete Projekt nicht schon vorher aufgegeben haben.
Obwohl Klima- und Artenschutz eigentlich nur zwei Seiten derselben Medaille sind, wird der Artenschutz leider nur allzu oft für eine Fundamentalopposition gegen jedwede Landschaftsbildveränderung durch Windenergieanlagen missbraucht. Tatbestandliche Unschärfen der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote des § 44 BNatSchG und daraus folgende Unsicherheiten bei der praktischen Handhabung leisten dabei oft unfreiwillige Schützenhilfe. In der Situation hatte bereits Ende 2018 das Bundesverfassungsgericht gegen die in der Rechtsprechung entwickelte „naturschutzfachliche Einschätzungsprärogative“ festgestellt, dass die richterliche Kontrolle aus verfassungsrechtlichen Gründen nur dort ihre Grenzen finde, wo sie auf ein echtes fachwissenschaftliches Erkenntnisvakuum stoße. Gleichzeitig forderte es den Gesetzgeber auf, die Rechtsanwendung nicht allein zu lassen und auf Sicht zumindest für eine untergesetzliche Maßstabsbildung zu sorgen.
Das daraufhin in der Diskussion aufkommende Schlagwort von der notwendigen Entwicklung einer „TA-Artenschutz“ macht dabei jenseits aller terminologischen Unschärfe jedenfalls eines deutlich: Dafür bedürfte es sowohl der Einbringung des bestverfügbaren Fachwissens als auch einer hinreichenden demokratischen Legitimation. Wenn in einer solchen Situation das Bundesamt für Naturschutz (BfN) mit der Entwicklung eines „Methodenvorschlags zur Prüfung und Bewertung eines signifikant erhöhten Tötungsrisikos von Vögeln durch Windenergieanlagen“ vorprescht und sich dabei als „wissenschaftlicher“ Grundlage des nicht nur in der Fachwelt höchst umstrittenen sogenannten „Helgoländer Papiers“ der Vogelschutzwarten bedient, muss schon allein dies Stirnrunzeln hervorrufen. Dass dann zumindest versucht wurde, das Papier kurzfristig und ohne vorherige Diskussion mit der betroffenen Branche von der Umweltministerkonferenz, die im Mai stattfand, absegnen zu lassen und damit praktisch Standards zu setzen, verursacht allerdings angesichts dessen, was hier auf dem Spiel steht, deutliches Unverständnis. Es bedurfte einigermaßen energischer Proteste, um die Entscheidung auf die nächste UMK im Herbst zu verschieben. Die Einbettung des Artenschutzes in den übergreifenden Umwelt- und Klimaschutz lässt zudem die Frage aufkommen, ob die Moderation des notwendigen Prozesses tatsächlich beim BfN verbleiben kann.
Deutlich wird aber auch, dass die Diskussion umgehend und in aller Breite zu führen ist. Deshalb widmet die ZNER diese Ausgabe dem Schwerpunkt „Artenschutz“. Brandt eröffnet mit einer Betrachtung des Methodenvorschlags aus verfassungsrechtlicher und wissenschaftstheoretischer Sicht. Ihm folgen Ratzbor mit einer naturschutzfachlichen und Frank/Rolshoven mit einer rechtlichen Kritik im Detail. Sailer schließlich fasst den aktuellen Diskussionsstand zur artenschutzrechtlichen Ausnahme bei Windenergieanlagen zusammen. Die geschilderten etlichen Unsicherheiten bei der Rechtsanwendung verpassen der Euphorie, der dieses Instrument in den Vorgaben einiger Ländererlasse, nicht zuletzt aber auch in einem BfN-Papier begegnet, einen gehörigen Dämpfer. Ausnahmen lassen sich eben schlecht zur Regel machen und sollten nicht von der notwendigen Lösung des viel drängenderen Problems, ob nämlich überhaupt ein Verbotstatbestand verwirklicht wird, ablenken.
Am Ende der Aufsatzreihe etwas Unjuristisches, aber nicht minder Interessantes: Stegen deckt die Zusammenhänge zwischen der reichen amerikanischen Rechten und dem Kampf um die deutsche Windkraft auf, unverzichtbares Hintergrundwissen für die weitere Diskussion.
Zu guter Letzt: Das EEG ist zwanzig Jahre alt geworden, Altrock erinnert.
Franz-Josef Tigges