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ZNER 2022, 337
Tigges 
ZNER 2022, Heft 04, Umschlagteil S. 337 (IV)

Editorial

Noch vor der parlamentarischen Sommerpause wurden mit den Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat vom 8. und 9. Juli wichtige und umfangreiche Änderungen im Recht der EE regelrecht „durchgepeitscht“, mit teilweise unzumutbar verkürzten Stellungnahmefristen. Die als „Oster- und Sommerpaket“ angekündigten Vorhaben der Bundesregierung sind damit, siehe die Verkündung im Bundesgesetzblatt Nr. 28 vom 28. Juli, im Wesentlichen Gesetz geworden.

Das beschert uns u. a. das „EEG 2023“, dazu im Einzelnen der Aufsatz von Hennig, Ekardt et al.. Ziel des Gesetzes ist die Steigerung des EE-Anteils an der Stromerzeugung auf mindestens 80 Prozent im Jahr 2023, § 1 Abs. 2 EEG 2023. Der in § 4 geregelte Ausbaupfad macht deutlich, dass der Gesetzgeber dabei vor allem auf Wind- und Sonnenenergie setzt.

Während größere Teile der EEG-Änderungen erst zum neuen Jahr wirksam werden, ist § 2 EEG schon mit der Verkündung in Kraft getreten. Der EE-Ausbau liegt ab sofort im „überragenden öffentlichen Interesse“ und dient der öffentlichen Sicherheit. Bis zum Erreichen der wesentlichen Klimaziele sollen die EE als vorrangiger Belang in die jeweiligen Schutzgüterabwägungen eingebracht werden. Zu den daraus erwachsenden vielfältigen Anwendungsfragen verhält sich der Aufsatz von Bader, Deißler und Weinke.

Fundamentale Neuerungen in Form verbindlicher Flächenvorgaben und eines Systemwechsels im Planungsrecht bringt das „Wind-an-Land-Gesetz“. Mit dem neuen „Windenergieflächenbedarfsgesetz“ werden die Länder dazu verpflichtet, bis Ende 2027 durchschnittlich 1,4 Prozent und bis Ende 2032 zwei Prozent ihrer Flächen als Windenergiegebiete auszuweisen, zum Ganzen siehe den Aufsatz von Benz und Wegner.

Schließlich folgt der Gesetzgeber mit dem 4. Gesetz zur Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes (– teilweise –) dem Aufruf des Bundesverfassungsgerichts zur Schaffung einheitlicher gesetzlicher Standards zu Fragen der Windenergiesensibilität bestimmter Tierarten, und zwar einschließlich verbindlicher Vorgaben zu tauglichen Vermeidungsmaßnahmen. Gleichzeitig finden sich neue Bestimmungen zum Recht der artenschutzrechtlichen Ausnahme und der Befreiung vom Bauverbot in Landschaftsschutzgebieten.

Der Aufsatzteil des vorliegenden Heftes schließt mit einem „Blick über den Zaun“ von Ekardt, Roos und Bärenwaldt zur Berechtigung der Befürchtung von negativen klimapolitischen Auswirkungen des Energiecharta-Vertrages.

Der Rechtsprechungsteil enthält – wie immer – die wichtigsten aktuellen Entscheidungen zum gesamten Energierecht. Dass einige Entscheidungen nur mit dem Leitsatz im Heft veröffentlicht sind, ist zumindest teilweise auch ihrem Umfang geschuldet, nicht ihrer ohnehin nur subjektiv abschätzbaren Bedeutung.

Zurück zum Oster- und Sommerpaket: Sind die beschlossenen Einzelmaßnahmen zur Erfüllung der gesetzlichen Ziele hinreichend geeignet? Ein Blick auf die „Dynamik“ der aktuellen Ausbauzahlen lässt schnell Ernüchterung aufkommen. Ohne Vorbehalte begrüßenswert erscheint einzig die neue Vorgabe in § 2 EEG. Aber eine Generalklausel macht noch keine Energiewende.

Wie es beim „Lastesel“ der Energiewende, der Windenergie, hätte gehen können (und müssen), hat – neben den Stellungnahmen der Windverbände – Griese bereits in der ZNER (Heft 1/2022) deutlich gemacht: Die Privilegierung erhalten und – mit wenigen Worten! – die Möglichkeit der Ausschlussplanung bis zum Erreichen des 2-Prozent-Flächenziels aufschieben! Aber dazu fehlte es der Politik an Mut, Kraft und Einigkeit. Statt dessen präsentiert uns der Gesetzgeber zwar verbindliche Flächenziele. Aber diese sind in zwei Tranchen aufgeteilt, und die erste davon ist erst bis Ende 2027 zu erfüllen und für die Zwischenzeit werden umfangreiche Zurückstellungsmöglichkeiten neu geschaffen oder bleiben erhalten. Das passt mit der – siehe § 4 EEG 2023 – zwingend erforderlichen Verstetigung des Ausbaus nicht zusammen, zumal hier eine Fülle von neuen Rechtsanwendungsproblemen geschaffen wird und die unvermeidlichen Rechtsstreitigkeiten die endgültige Durchsetzung der Ziele in eine (ferne?) Zukunft verlagern. Noch größere Skepsis lässt der Umstand aufkommen, dass der Zeitpunkt der Zielerreichung außerhalb der aktuellen Legislaturperiode liegt. Die „Koalition der Unwilligen“ hat sich über das Schaffen immer neuer Zurückstellungsmöglichkeiten (in der Vergangenheit schon insgesamt vier Mal!) hier stets und offenbar erfolgreich durchmogeln können. Stets wurde das Mantra hochgehalten, ohne „ordentliche“ Planung verliere man die Akzeptanz. Daher wusste man schon seit der grundlegenden Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. 12. 2002 doch, wie eine solche Planung aussehen muss. Trotzdem orientierte man sich allen Meinungsumfragen zum Trotz lieber an rückwärts gewandten Minderheiten und ignorierte die klimapolitischen Notwendigkeiten.

Und die Neuerungen im Artenschutzrecht bilden letztlich auch nur einen enttäuschenden politischen Kompromiss ab, der Erkenntnis zum Trotz, dass gerade der Artenschutz zu den wichtigsten Ausbauhemmnissen der Windenergie gehört und gleichzeitig die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse für die meisten Tierarten deren besondere Windenergiesensibilität verneinen.

Was also bleibt? Die „Koalition der Willigen“ stärken! Dass die EE nicht nur dem Klimaschutz dienen, sondern auch in der Lage sind, Versorgungssicherheit und Preisstabilität zu bieten, hat sich herumgesprochen. Das Chaos ist auch in Gebieten ohne planerische Steuerung nicht ausgebrochen. Betroffene Kommunen und Industrie haben vielmehr profitiert. So mancher, der früher das „Gespenst der Deindustrialisierung“ gegen den Ausbau der EE bemühte, sieht diese Rhetorik nunmehr wegen der eigenen Versäumnisse gegen sich gerichtet.

Franz-Josef Tigges

 
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