Editorial
Am 20. September 2019 sind deutschlandweit über 1,4 Millionen Menschen für mehr Klimaschutz auf die Straße gegangen. Praktisch gleichzeitig – und nur unweit vom Ort der größten Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin – hat das sog. Klimakabinett in Berlin lange erwartete Maßnahmen beschlossen, die im Ergebnis mehr als enttäuschend sind. Die Diskrepanz zwischen den Anliegen eines Großteils der Bevölkerung einerseits und den politischen Maßnahmen andererseits ist also offensichtlich sehr groß. Die Mutlosigkeit der Maßnahmen des Klimapakets manifestiert sich besonders an den Aussagen zum Ausbau der erneuerbaren Energien im Strombereich. Einerseits bekennt man sich – immerhin – zu dem schon im Koalitionsvertrag festgehaltenen 65-%-Ziel bis 2030. Als Maßnahme zur Umsetzung wird dann jedoch beschlossen, den Mindestabstand für Windenergieanlagen zu Wohnbebauung auf 1.000 Meter festzulegen und damit die potentiellen Flächen für die ohnehin unter mangelnden Genehmigungen stark gebeutelte Windkraft weiter zu beschränken. So wird ein weiteres Ausbauhindernis geschaffen, anstatt Anreize für eine dringende Beschleunigung des Ausbaus der erneuerbaren Energien zu setzen.
Unabhängig von den Inhalten wird aus den Beschlüssen des Klimakabinetts aber auch deutlich, dass es an vielen Stellen – entgegen stets wiederholter Appelle zu einer notwendigen Vereinfachung und Entbürokratisierung des Energierechts – rechtlich nicht einfacher wird. Man denke nur an die Aufsetzung eines komplett neuen Emissionshandelssystems für Wärme und Verkehr. Auch in dieser Zeitschrift werden wir uns daher mit Sicherheit zukünftig intensiv mit den aus dem Klimapaket resultierenden Rechtsfragen beschäftigen müssen.
Erstmal geht es in diesem Heft aber um zeitlich vorgelagerte vielfach nicht minder relevante Themen der Energiewende, so z. B. das eminent wichtige Thema Kohleausstieg. Auf Bundesebene ist das Ergebnis der Kohlekommission nun auch durch das Klimakabinett aufgegriffen worden. Die konkrete Umsetzung steht allerdings auch weiterhin noch aus. Interessante – und bereits deutlich konkretere – Entwicklungen gibt es hingegen auf Landesebene, namentlich in Hamburg. Dort ist im Juni 2019 – unter dem Eindruck einer Volksinitiative – ein Kohleausstiegsgesetz beschlossen worden. Dieses sieht u. a. vor, dass der Kohleeinsatz in der Wärmeerzeugung bis 2030 weitgehende eliminiert wird. Der (kurze) Aufsatz von Verheyen/Legeler beschreibt die Hintergründe und die wesentlichen Inhalte des Gesetzes. Der Gesetzestext mit Begründung wird außerdem in diesem Heft dokumentiert.
Kirsten Hasberg beschäftigt sich mit der für die Energiewewende enorm wichtigen Rolle der Verteilnetze. Der Aufsatz betrachtet die zukünftige Rolle der Verteilnetze – mit Bezug auf die Situation in Deutschland und Dänemark – abseits der tagespolitischen Diskussionen aus einer übergeordneten Perspektive und sieht grundlegenden Änderungsbedarf für die Systematik der Netzregulierung. Der Beitrag enthält zahlreiche interessante Denkanstöße, die Eingang in die aktuellen fachlichen und politischen Diskussionen finden sollten.
Dem Thema der Entflechtung (Unbundling), eine der „heiligen Kühe“ der Strommarktliberalisierung, widmet sich der Aufsatz von Schwintowski/Sauer/Heim. Die Sinnhaftigkeit einer strengen Entflechtung kann man vor dem Hintergrund des sich wandelnden Energiesystems und der neuen Rollen mit guten Gründen in Frage stellen – der Rechtsrahmen scheint sich gleichwohl eher in eine andere Richtung zu entwickeln, wenn man sich die Vorgaben der in diesem Jahr in Kraft getretenen Strombinnenmarktrichtlinie anschaut. Der Aufsatz von Schwintowski/Sauer/Heim beschäftigt sich in diesem Zusammenhang mit einer Spezialfrage, nämlich der Zulässigkeit des sog. Netz-Mutter-Modells, bei dem der Verteilernetzbetrieb innerhalb eines Konzerns von der Muttergesellschaft wahrgenommen wird und die wettbewerblichen Aktivitäten von ausgegründeten Tochtergesellschaften verfolgt werden.
Schließlich geht es in dem Aufsatz von Bauer/Walter um das wichtige Thema der Flexibilisierung von Biogasanlagen. Der Ausbau der Stromerzeugung aus Biomasse ist zwar durchaus umstritten und mittlerweile angesichts der Rahmenbedingungen seit dem EEG 2014 weitgehend zum Erliegen gekommen. Unumstritten ist jedoch, dass Biogasanlagen einen wichtigen Beitrag zur Flexibilisierung des Stromsystems leisten können und müssen. Als Anreiz für die Flexibilisierung bestehender Anlagen hat der Gesetzgeber im EEG daher die Flexibilitätsprämie eingeführt, deren Förderumfang jedoch gedeckelt ist. Dieser Deckel wurde nun erreicht und führt dazu, dass nach einem Übergangszeitraum von 15 Monaten für neue Flexibilisierungen keine Prämie mehr beansprucht werden kann. Das Gesetz regelt die genauen Rechtsfolgen jedoch nicht hinreichend präzise. Bauer/Walter zeigen daher Wege auf, wie man damit in der Rechtspraxis umgehen sollte.
Abschließend sei noch auf eine interessante aktuelle Entwicklung hingewiesen, die für die – auch in der ZNER breiten Raum einnehmende – Rechtsprechung im Energierecht möglicherweise weitreichende Bedeutung haben könnte. Am Bundesgerichtshof ist im Rahmen einer Neu-Strukturierung ein neuer XIII. Zivilsenat geschaffen worden, der seit Ende August 2019 vom ehemals zuständigen VIII. Senat die Zuständigkeit für Verfahren zum EEG und KWKG übernommen hat. Der XIII. Zivilsenat ist gleichzeitig personenidentisch mit dem Kartellsenat, der auch für die EnWG-Regulierungssachen zuständig ist. Der Senat – unter Vorsitz von Prof. Dr. Maier-Beck, ehemals Vorsitzender des Patentsenats und auch schon Mitglied des früheren – nicht-ständigen – Kartellsenats – hat also zukünftig das Sagen über alle wichtigen Bereiche des Energierechts. Es bleibt daher mit Spannung abzuwarten, ob und ggf. welche neuen inhaltlichen Impulse von dem Senat ausgehen werden.
Wieland Lehnert