Editorial
Die ZNER widmet ihrem Mitgründer, dem am 14. Oktober 2010 verstorbenen Dr. Hermann Scheer, ein Gedächtnis-Symposium. Es hat am 24./25. Juni in Berlin stattgefinden. Sein Schwerpunkt war die energiepolitischen und -rechtlichen Weichenstellungen, über die in diesen Wochen entschieden wird: Wochen, die kaum spannender sein könnten! Denn die Flut neuer Regelungen, nicht nur zum Atomgesetz, sondern auch zum EnWG steuert nicht nur die Geschwindigkeit der Energiewende, sondern verändert auch die Machtverhältnisse zwischen der konventionellen und der erneuerbaren Stromerzeugung. Daher werden die Stromkonzerne alle Kanäle nutzen, um ihre Interessen bestmöglich zu wahren. Es wird deswegen darauf ankommen, alle „Stellschrauben“ in den neuen Regeln frühestmöglich zu orten und dazu beizutragen, dass der – ohnehin unaufhaltsame – Aufstieg der Erneuerbaren Energien so verläuft, dass die Sicherheit der Stromversorgung nicht gefährdet wird. Es wäre fatal, wenn es zu Stromausfällen käme und diese den Erneuerbaren Energien in die Schuhe geschoben werden könnten.
Die Schaltstelle, an der es zu Problemen kommen könnte, ist das Netz. Sein Betreiber entscheidet über Einspeisekonkurrenzen, die rechtlich zwar weitgehend vorgezeichnet sind (vgl. §§ 11 ff. EnWG, 6, 8 und insbesondere 11 EEG). Aber es gibt keineswegs für alle Streitfälle klare Regeln. Aus diesem Grund widmet die ZNER drei Aufsätze den Fragen des Einspeisemanagements. Kment liefert zunächst einen Überblick über die Felder, auf denen es zu Stromeinspeisungskonkurrenzen kommen kann. Altrock/Vollprecht befassen sich dann mit den konkreten Problemen des Einspeisemanagements (im Anschluss an ihren Aufsatz in ZNER 2010, 350), Schmelzer/Beck mit den Rechtsfragen zu technischen und betrieblichen Vorgaben an Anlagenbetreiber gemäß § 6 EEG.
Zum Thema gehört schließlich der Aufsatz von Sailer zur Speicherung von Elektrizität nach dem EEG: Kann ein Netzbetreiber überschüssigen Strom in Speicher „fahren“, kommt es gar nicht erst zur Konkurrenz? Deswegen sieht das Energiekonzept der Bundesregierung (vgl. dazu Verf., ZNER 2010, 531 ff.), das insoweit auf den Gutachten des Sachverständigenrats für Umweltfragen (SRU) basiert, zu Recht in diesem unerlässlichen Infrastrukturbereich einen vorrangigen Ausbaubedarf.
Die Entscheidungen machen auf mit dem sehr weitreichenden Urteil des EuGH vom 12. Mai 2011, in dem es um eine Klage des BUND gegen die Bezirksregierung Arnsberg ging, die der Trianel Kohlekraftwerk GmbH & Co. KG die Genehmigungen für Errichtung und Betrieb eines Steinkohlekraftwerks in Lünen erteilt hatte. Das OVG Münster hatte dem EuGH das Verfahren vorgelegt mit der Bitte um eine Vorabentscheidung zu der Frage, ob sich aus den Richtlinien 85/337 EWG, geändert durch die Richtlinie 2003/35/EG über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten Projekten, eine Verpflichtung des Mitgliedstaats ergibt, das Klagerecht eines Umweltverbandes vorzusehen, wenn die angefochtene Entscheidung gegen Rechtsvorschriften verstößt, die dem Umweltschutz dienen. Der EuGH hat die Frage bejaht. Das Urteil wird Deutschland zwingen, im nationalen Recht eine solche Klagebefugnis entsprechend den Richtlinien einzuführen. Der EuGH gibt auch den Hinweis, dass sich der Kläger vor den nationalen Gerichten unmittelbar auf die Richtlinie stützen kann, wenn der Mitgliedstaat die Richtlinien nicht fristgemäß oder nur unzulänglich in das nationale Recht umgesetzt hat. Das Urteil könnte daher zumindest eine beträchtliche Verzögerung beim Bau des Kohlekraftwerks Lünen herbeiführen.
Die ZNER hat sich schließlich schon früher dem Problem gewidmet, ob der Spotmarkt an der EEX ausreichend behördlich überwacht ist und ob insbesondere Manipulationen des börslichen Spotmarktes strafbar sind (vgl. Jahn, ZNER 2008, 297 ff.; Verf., ZNER 2008, 289; ders., WuW 2010, 398 ff.); Fragen, die durch das Missbrauchsverfahren der Kommission gegen E.ON aufgeworfen worden waren, das die Kommission nach der Entgegennahme von Verpflichtungszusagen eingestellt hat (ZNER 2009, 77 f.). Der Themenkreis hat inzwischen die Wissenschaft erreicht. In zwei Dissertationen werden zum einen die Strafbarkeit marktmissbräuchlichen Verhaltens am EEX-Spotmarkt, andererseits die Anwendung des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) auf den deutschen Stromgroßhandel untersucht. Beide Dissertationen kommen zu dem Ergebnis, dass die behördliche Aufsicht nicht ausreicht. Das gilt erst recht für den EPEX-Stromspotmarkt in Paris, der nur börsenintern, aber nicht behördlich überwacht ist (vgl. auch Canty/Lüdemann, FAZ 19.11.2010). Der Gesetzgeber ist gefragt.
Peter Becker