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ZVglRWiss 119 (2020), 369-372
Schurr/Maggiolo 

Reformaussichten des italienischen Zivilgesetzbuches

Francesco A. Schurr* und Marcello Maggiolo**

Die Beiträge zu dem vorliegenden Heft der Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft drehen sich um zahlreiche Fragen des italienischen Privatrechts und insbesondere um die Reformaussichten des Italienischen Zivilgesetzbuchs (Prospettive di Riforma del Codice Civile Italiano). Zu diesem Thema fand am 27. 1. 2020 an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Innsbruck eine – vom Institut für Italienisches Recht der Universität Innsbruck in Zusammenarbeit mit dem Dipartimento di Diritto Privato e Critica del Diritto dell'Università di Padova organisierte – Tagung statt. Dabei handelte es sich um die erste Tagung an einer nichtitalienischen Universität zu dem vom italienischen Rechtswissenschaftler und Regierungschef Professor Giuseppe Conte vorgelegten Gesetzesentwurf (DDL S. 1151), durch den der italienischen Regierung die Vollmacht zur Reform des Italienischen Zivilgesetzbuches erteilt werden wird. Der Gesetzesentwurf wurde am 19. 3. 2019 dem Senat vorgelegt.

Der Gesetzesvorschlag zielt auf eine punktuelle Anpassung des aus dem Jahr 1942 stammenden Italienischen Zivilgesetzbuchs (codice civile) ab: Zunächst wird die Reform eine bessere Einbindung und Koordination der Rechtsinstitute der Vereine (associazioni) und der Stiftungen (fondazioni) mit den Regelungen des dritten Sektors (terzo settore) mit sich bringen, insbesondere in Bezug auf ihre Anerkennung, auf die Möglichkeit der Erwerbstätigkeit und auf das Liquidationsverfahren. Die Reform wird auch zentrale Aspekte des Familienrechts berühren, wie beispielsweise die Möglichkeit, Eheverträge (prenuptional agreements) abzuschließen, welche bis zum jetzigen Zeitpunkt als nichtig gelten, sowie Aspekte des Erbrechts. Dabei wird die Rechtsnatur jener Quote abgeändert werden, die den Pflichtteilsberechtigten zusteht, undZVglRWiss 119 (2020) S. 369 (370) die Möglichkeit eingeführt, Erbverträge (patti successori) abzuschließen, was bislang nur für Familienunternehmen in Form des Familienvertrags (patto di famiglia) zulässig ist. Der Gesetzgeber wird zudem Änderungen im allgemeinen Teil des Vertragsrechts einführen, vor allem in Bezug auf die Pflicht der Gegenpartei, für den Vertragsabschluss wichtige Informationen mitzuteilen. Daran reihen sich Änderungen bezüglich der zivilrechtlichen Haftung mit dem Ziel, eine etwaige Häufung oder ein etwaiges Zusammenwirken von vertraglicher, außervertraglicher oder vorvertraglicher Haftung besser zu koordinieren. Im Hinblick auf die Vertragspraktiken im Banken- und Finanzsektor und die Verfahren für die Errichtung sowie die Ausführung von Trust- und Treuhandverträgen ist schließlich die Einführung neuer Formen von Kreditgarantien geplant. Das Rechtsinstitut des Trusts hat sich in den letzten Jahren in Italien sehr stark verbreitet, ohne jegliche nationale Regelung, insbesondere was den so genannten internen Trust (trust interno) betrifft.

Auch wenn die aktuelle weltweite Covid-19-Pandemie zu einer politischen Verzögerung der geplanten italienischen Zivilrechtsreform geführt hat, ist das wissenschaftliche Interesse an den geplanten Neuerungen des Zivilgesetzbuchs – in Europa und weit darüber hinaus – ungebrochen. Auch im gesamten deutschsprachigen Raum wird jede rechtsvergleichende Forschungsarbeit, die sich thematisch in einem der zuvor angesprochenen Reformbereiche bewegt, von der herausragenden Grundlagenforschung profitieren, die dem politischen Vorstoß zur Reform vorausgegangen war und sich in den folgenden für die Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft verfassten Abhandlungen widerspiegelt.

Die prominenten VerfasserInnen der Beiträge sind Ordinarien an führenden italienischen Rechtsfakultäten. Sie waren selbst maßgeblich an den beschriebenen Vorarbeiten zur Reform des italienischen Zivilgesetzbuches beteiligt und haben anlässlich der Innsbrucker Tagung vom 27. 1. 2020 die einzelnen Neuerungen rechtsvergleichend analysiert. Insoweit geben die Beiträge des vorliegenden Heftes der Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft einen tiefen Einblick in das von der italienischen Privatrechtswissenschaft vorangetriebene Vorhaben der Reform des Zivilgesetzbuchs.

In seinem einführenden Grundlagenbeitrag erläutert Guido Alpa die zentrale Frage nach der Notwendigkeit, das italienische Zivilrecht neu zu gestalten bzw. das geltende italienische Zivilgesetzbuch zu reformieren. Dabei geht Guido Alpa auf die historische Entwicklung des italienischen Zivilgesetzbuchs sowie auf die im Laufe der Jahrzehnte durchgeführten Anpassungen ein. Er vertieft insbesondere die Neuerungen des Schuld- und Vertragsrechts und verdeutlicht für den deutschsprachigen Leserkreis die “Konstitutionalisierung des Privatrechts” sowie die “Europäisierung des Privatrechts”. Zuletzt hinterfragt Guido Alpa die ratio des Gesetzesentwurfs (DDL S. 1151) zur Reform des italienischen Zivilgesetzbuches.

Danach folgt ein Beitrag von Pietro Sirena und Francesco Paolo Patti zur Änderung der Vorschriften über die übermäßige Belastung. Die Verfasser ge-ZVglRWiss 119 (2020) S. 369 (371)hen von der gegenwärtigen Regelung aus, wonach die Partei, die eine Leistung schuldet, die aufgrund des Eintritts außergewöhnlicher und unvorhersehbarer Ereignisse übermäßig belastend geworden ist, den Vertrag aufheben kann. Die Partei, gegenüber der die Aufhebung verlangt wird, kann diese abwenden, indem sie eine billige Änderung der Vertragsbedingungen anbietet. Pietro Sirena und Francesco Paolo Patti vertiefen die rechtsdogmatischen Grundlagen der im Reformvorschlag enthaltenen Lösung: Dabei setzen sie an der Pflicht zur Neuverhandlung des Vertrages und der Anerkennung einer ausgeprägten richterlichen Befugnis zur Anpassung des Vertrags an. Die wesentlichen Aspekte des Reformvorschlags werden auch im Vergleich zum französischen und dem deutschen Rechtssystem herausgearbeitet.

In seinem Beitrag verdeutlicht Marcello Maggiolo, dass sich die Zivilrechtswissenschaft seit dem Auftreten von Covid-19 vielfach mit dessen Einfluss auf das Vertragsrecht auseinandergesetzt hat, während im Bereich der zivilrechtlichen Haftung für nichtwirtschaftliche Schäden bislang kaum Überlegungen angestellt worden sind, obwohl die mit Covid-19 verbundenen bzw. hervorgerufenen Erkrankungen großen Schaden für die individuelle Gesundheit darstellen. Marcello Maggiolo arbeitet zunächst die Entwicklung in der italienischen Rechtsprechung zum Nichtvermögensschadensersatz für den deutschsprachigen Leserkreis auf und geht dann auf zwei einschlägige Gesetze aus den Jahren 2011 und 2017 zur Arzthaftung ein. Danach prüft Marcello Maggiolo vertiefend die Aussichten für die anstehende Reform der Regelung der zivilrechtlichen Haftung für Nichtvermögensschäden.

Die wesentlichen Neuerungen im Stiftungs- und Vereinsrecht werden im Beitrag von Andrea Fusaro thematisiert. Bereits im Jahr 2017 war es zu einer grundlegenden Reform des sog. Dritten Sektors gekommen. Dabei wurden die Vorschriften zum Sozialunternehmen reformiert und der sog. Kodex des Dritten Sektors erlassen. Andrea Fusaro analysiert die wesentlichen und kritischen Aspekte dieser Reform, wobei er die Notwendigkeit einer Revision des Zivilgesetzbuchs im Vereins- und Stiftungsrecht verdeutlicht, um die bestehenden normativen Widersprüche zu beseitigen und eine umfassende Regelung zu erzielen.

In ihrem Beitrag stellt Matilde Girolami grundlegende rechtsdogmatische und rechtsvergleichende Überlegungen zum italienischen Vertragsrecht an. Dabei zeigt sie auf, dass die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen der letzten Jahrzehnte dazu beigetragen haben, dass sich das italienische System der gesetzlich geregelten Rechtsbehelfe im Vertragsrecht als ineffizient und unwirksam erwiesen hat. Ausgehend vom nationalen Kontext, in dem die italienischen Regelungen zu den Mängeln von Rechtsgeschäften vertieft werden, wirft Matilde Girolami einen vergleichenden Blick auf andere europäische Rechtsordnungen und nimmt daraufhin den Entwurf des Ermächtigungsgesetzes genau unter die Lupe. Dabei analysiert Matilde Girolami die Regelungen zu den unlauteren Geschäftspraktiken, den Abhängigkeits-ZVglRWiss 119 (2020) S. 369 (372)szenarien, den Begriff der natürlichen Handlungsunfähigkeit und das Konzept der echten Absicht.

Besonderer Dank gebührt unseren wissenschaftlichen MitarbeiterInnen am Institut für Italienisches Recht der Universität Innsbruck, Barbara Knoll, Serena Scalera und Riccardo Fedrizzi, für die wertvollen Übersetzungsarbeiten im Zusammenhang mit der Veröffentlichung der deutschsprachigen Beiträge.

Die Herausgeber wünschen den Lesern eine anregende und spannende Lektüre!

Francesco A. Schurr und Marcello Maggiolo, Innsbruck

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Prof. Dr. Francesco A. Schurr ist Inhaber des Lehrstuhls für Italienisches Privatrecht und Rechtsvergleichung am Institut für Italienisches Recht der Universität Innsbruck sowie Professor am Institut für Wirtschaftsrecht der Universität Liechtenstein.

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Prof. Avv. Dr. Marcello Maggiolo ist Ordentlicher Professor an der Universität Padua – Scuola di Giurisprudenza und Honorarprofessor an der Universität Innsbruck – Rechtswissenschaftliche Fakultät.

 
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